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Die Krebsberatungsstelle in Münster bietet für Erkrankte und ihre Angehörigen ein „heilsames Singen“ an. Eine Stunde, aus der die Betroffenen gestärkt in ihren belastenden Alltag zurückkehren.
Das Licht im Raum des Kapuzinerklosters in Münster ist gedimmt. Mit Absicht: Denn die folgende Stunde soll die Menschen nicht aufwecken oder gar wachrütteln. Sie soll Ruhe bringen, Leichtigkeit schaffen und Gelassenheit auslösen. Die Teilnehmer, die sich im Stuhlkreis zusammensetzen, brauchen das. Sie sind an Krebs erkrankt oder haben Angehörige mit einer Krebserkrankung. Eine seelisch und körperlich stark belastende Situation. Beim „heilsamen Singen“ der Krebsberatungsstelle Münster gibt es die Chance, einen Impuls dagegen zu setzen.
„Es ist keine medizinische Behandlung“, sagt Elke Ohlwein. „Kein Ersatz für die vielen Therapien, die die krebskranken Menschen durchlaufen, sondern eine Begleitung.“ Wenngleich der Effekt wissenschaftlich belegt ist. Die vermehrte Produktion von stressmindernden und positiv stimmenden Hormonen beim Gesang ist nachweisbar. Ohlwein hat das auf ihrem eigenen Lebensweg erfahren. „Ich habe zwei Freundinnen in der Zeit ihrer Therapie begleitet, habe mit ihnen regelmäßig in einer Kapelle gesessen und gesungen.“ Sie fühlte, wie kraftspendend diese Momente waren.
Ein „Kraftkreis“ entsteht
Heute bietet die Betriebswirtin und Führungskrafttrainerin einmal im Monat das offene Singen an. Mit Unterstützung durch Mitarbeiter der Beratungsstelle lädt sie ein, bereitet die Treffen vor und stellt schließlich die passende Anzahl an Stühlen in einen Kreis. In der Mitte ein Notenschlüssel aus Holz und eine Kerze. „Mal kommen sieben, mal 23“, sagt sie. Heute sind acht Teilnehmer dabei.
Stärkender Kreis: Das Singen in der Gemeinschaft gehört seit einem Jahr zum Angebot der Krebsberatungsstelle in Münster. | Foto: Michael Bönte
Ohlwein nennt den Kreis einen „Kraftkreis“. „Bleibt in ihm, auch wenn euch mal nicht nach Singen zumute ist.“ Gleich zu Beginn erklärt sie, dass es heute nicht um den perfekten Klang geht. „Jeder Ton ist richtig, denn es ist euer Ton.“ Zu dem sie die Sänger langsam hinführt. Sie verteilt Steine, die mit dem alltäglichen Ballast in einen Beutel geworfen werden dürfen. Atemübungen, rhythmische Elemente und kleine Selbstmassagen folgen. Erst dann nimmt Ohlwein ihr Hirtion, eine kleine Harmonika, in die Hand. „Ich bin so gut wie ich bin“, heißt das erste Lied. Gemeinsam wird der Text gesprochen, der Melodie gelauscht, gesummt, dann gesungen.
Raus aus den Zwängen und Verpflichtungen
Zum Singen kommt die Gemeinschaft. „Auch diese Verbundenheit erzeugt Wohlbefinden“, sagt Gudrun Bruns. Sie leitet das Netzwerk der Krebsberatungen im Münsterland und ist zum ersten Mal dabei. Nicht nur die Schwingungen der eigenen Stimme, die im Körper Resonanz finde, wirkten. Auch der zwanglose Kontakt in der Gruppe habe eine besondere Ausstrahlung. „Die Teilnehmer sind oft in vielen Zwängen, haben Therapiepläne, werden ständig mit ihrer Krankheit konfrontiert.“ Zum heilsamen Singen kämen sie ohne Voranmeldung, ohne Verpflichtung, ohne Druck. „Dieses Gefühl ist enorm wichtig.“
Der Verein „Singende Krankenhäuser“ bietet eine Ausbildung zum Singleiter im Bereich des gesundheitsfördernden Singens an: www.singende-krankenhauser.de
Das Gemeinschaftsgefühl bekommt Nahrung an diesem Abend. „Immer nur so viel, wie es zur Gruppe passt“, sagt Elke Ohlwein. Sie ist sensibel für die Atmosphäre geworden. Sie spürt mittlerweile, wieviel Nähe den Teilnehmern gut tut. Heute halten sie beim Singen die Hände des anderen oder legen sie ihm auf die Schulter. Beim Abschlusslied gibt es einen Tanz im Kreis.
Thema Krebs beherrscht den Alltag
Die Krankheiten selbst werden nicht thematisiert. Auch das hat einen Grund. Das Thema Krebs beherrscht den Alltag aller hier ohnehin. Die Stunde im Kapuzinerkloster soll einen Raum öffnen, in dem die Gedanken daran nicht im Vordergrund stehen. Auch wenn die Gesichter in einigen Momente Schmerz und Ängsten erahnen lassen: Es wird auffällig viel gelacht in dieser Runde.
Weite Informationen über die Angebote der Krebsberatungsstelle Münster: www.krebsberatung-muenster.de
„Ich bin nicht hier, um noch eine Krankengeschichte zu hören oder meine zu erzählen“, sagt Karl. „Ich will singen, auch wenn ich dafür nur noch ein halbe Lunge habe.“ Ihm wurde ein Lungenflügel entfernt. Im April 2019 gehörte er zu den ersten, die das neue Angebot wahrnahmen. Das gute Gefühl dieser Stunde nimmt er seitdem jeden Monat von neuem mit in die folgenden Wochen. „Ich habe gemerkt, dass Singen in allen Lebenslagen guttut.“ Beim Schlager im Radio singt er mittlerweile bewusst mit. Und auch unterm Motorradhelm beginnt er jetzt oft, eine Melodie zu summen.
Nachhallende Wirkung
„Schönere Rückmeldungen kann es kaum geben“, sagt Ohlwein. „Die stärkende Wirkung des Singens findet ihren Weg in die anstrengenden Tage der Teilnehmer.“ Dafür setzt sie in der Runde sowohl mit den Melodien, als auch mit den Texten Impulse. Beide sind kurz, einfach, einprägsam. Mal begleitet sie mit dem Hirtion, mal mit der Klarinette oder dem Keyboard. „Wir sind wunderbar…“, singen sie. „Ich bin so gut wie ich bin.“ Oder: „Ich wecke mein Herz auf.“ Häufig begleiten sie ihren Gesang mit Bewegungen. Das laute „Ja“ am Ende eines Lieds wird mit ausgebreiteten Armen gerufen.
Ohlwein hat sich in ihrer Freizeit für diese Aufgaben ausbilden lassen. „Singleiterin für heilsames und gesundheitsförderndes Singen“ heißt ihre offizielle Bezeichnung. Sie ist Mitglied in den Vereinen „Singende Krankenhäuser“ und „Sing dich gesund“. Ihre Arbeit ist ehrenamtlich. Und fast einmalig. Nur noch ein weiteres Angebot dieser Art gibt es in Deutschland. Das spiegelt das Einzugsgebiet der Teilnehmer wider. Aus Ostwestfalen kommen einige angereist, auch aus dem Tecklenburger Land. Ohlwein ist sich sicher: „Sie kehren gestärkt dorthin zurück.“