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Rund 80 Prozent aller Beisetzungen in Deutschland waren 2023 Urnenbestattungen. Was geschieht im Krematorium? Eine Reportage aus Werl.
Die November-Sonne spiegelt sich in den hohen Edelstahl-Schornsteinen am Bergstraßer Weg 54 am Rande von Werl im Kreis Soest. Fast unsichtbarer Rauch steigt in den blauen Himmel. Es ist eine friedliche Umgebung mit Blick auf Felder und Wiesen. Ein Ort der Trauer und des Abschieds, an dem für viele Verstorbene ihre vorletzte Reise endet. Im Sinn des christlichen Gedankens „Asche zu Asche, Staub zu Staub“ wird dort in einem Krematorium (zu Lateinisch „cremare“ für verbrennen) der Leichnam mit dem Sarg eingeäschert.
Alltag im Krematorium, das ein Ort der Ethik und gleichzeitig ein Ort der Technik ist, wie man bei einem Blick hinter die Kulissen erfährt: Ein Bestatter aus Soest fährt mit einem Leichenwagen vor, während sich ein großes Rolltor öffnet. Dahinter wartet Krematoriums-Techniker Andreas Viets mit einem Transportwagen, mit dem der Sarg in einen der beiden Kühlräume geschoben wird.
Bei sechs Grad sind dort bereits einige Särge für die Feuerbestattung gelagert. Alle sind mit Informationen zu dem Verstorbenen gekennzeichnet. Jeden Tag bekommt das Krematorium Besuch von einem Amtsarzt, der vor der Einäscherung nochmals eine Leichenschau vornimmt. „Das verlangt der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen so“, berichtet Matthias Degener (45), seit 2013 Geschäftsführer der Krematorien in Hamm und Werl.
Kein Geruch, aber Ruhe und würdevolle Umgebung
Krematorien Hamm und Werl
Im September 2000 wurde das Krematorium in Hamm in Betrieb genommen. Im Januar 2005 wurde das Krematorium in Werl eröffnet. Die beiden Einrichtungen werden von 38 Bestattern aus dem nördlichen und südlichen Ruhrgebiet in einer GmbH betrieben. Im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten in Werl 13 und in Hamm 17 Mitarbeiter von montags bis freitags. Rund 15.000 Kremierungen finden an beiden Standorten jährlich statt.
Beide Einrichtungen sind im Laufe der vergangenen Jahre aufgrund der steigenden Nachfrage erweitert worden und haben inzwischen drei Ofenlinien. Eine davon ist besonders für adipöse Verstorbene mit einem Gewicht bis zu 350 Kilogramm errichtet worden. Zurzeit laufen im Krematorium in Hamm weitere Umbau- und Sanierungsarbeiten.
Anschließend wird der Sarg fest verschlossen und erhält auf dem Deckel einen Schamottstein mit einer Identifikationsnummer. „Sie garantiert die Identifizierung der Asche mit den persönlichen Daten des Toten“, so Degener. Damit soll jede Verwechslung ausgeschlossen werden. Die Marke wird später der Urne beigelegt. Aus einem Kühlraum schiebt Andreas Viets einen Sarg in einen großen Raum mit den Kremierungsöfen, gedämpftem Licht und vier Kerzenständern. Kein Geruch, aber Ruhe und eine würdevolle Umgebung. Viets hat die drei Öfen auf eine Betriebstemperatur von 850 Grad Celsius gebracht.
Moderne Technik hat auch hier längst Einzug gehalten. Per Knopfdruck wird der Sarg von dem Einfahrwagen auf die Sargeinfahrmaschine gehoben. An vier Computer-Bildschirmen kann Dominik Dausend die mit Gas und durch Zugabe von Sauerstoff befeuerten Öfen steuern und die Einäscherung bei bis zu 1.300 Grad Celsius überwachen. Langsam öffnet sich die schwarze Tür zur Brennkammer, und der Sarg fährt in den blutroten Ofen ein. Was bei der Erdbestattung im Lauf von 25 Jahren durch Mikroorganismen geschieht, erfolgt hier in ungefähr dreieinhalb Stunden.
Ganz selten Angehörige dabei
In einem Aschekasten werden die Überreste gesammelt und müssen zunächst abkühlen. Nach Entfernung aller metallischen Bestandteile wie künstliche Gelenke oder Prothesen werden Asche und Schamottmarke in eine mit den Daten des Verstorbenen beschriftete Biokapsel gefüllt, die sich später im Erdreich zersetzt.
„Der komplette Erlös des anfallenden und recycelten Edelmetalls geht als gemeinnützige Spende an soziale und karitative Einrichtungen“, berichtet Degener. Anschließend kann diese Aschenkapsel von dem Bestatter in eine Schmuckurne für die dann letzte Reise der Beisetzung gelegt werden. Nur ganz selten wollten Angehörige der Einäscherung beiwohnen, so der Geschäftsführer. Möglich sei dies aber.
Zu würdevollen Kremierung verpflichtet
Themenwoche „Wenn der Tod nahe kommt“
Keiner spricht gern über ihn, aber vieles um Sterben und Tod herum interessiert dann doch. Darum schaut Kirche+Leben in dieser Woche hinter die Tore eines Krematoriums, fragt nach dem Medienerfolg eines jungen Bestatters, besucht einen Hof, auf dem der Opa seine letzte Ruhe finden durfte, und stellt die Trauerinsel in Greven vor.
„Die Feuerbestattung ist umweltschonend und schadstoffarm“, sagt der Geschäftsführer mit Verweis auf eine Filteranlage im Kellergeschoss. Dort befindet sich ein Wunderwerk der Technik. Mit einem Zyklonfilter werden die Rauchgase gereinigt, bevor sie durch die Schornsteine abgelassen werden. „Eine permanente Emissionsmessung durch eine externe Firma läuft im Hintergrund mit“, betont Degener. Er beziffert die Kosten für eine Einäscherung mit circa 400 Euro.
Was macht die tägliche Arbeit in einem Krematorium mit den Angestellten? „Unsere Mitarbeiter fühlen sich zu einer würde- und respektvollen Kremierung verpflichtet bei aller täglich anfallenden Routine, auch wenn es sich um eine technische Dienstleistung handelt“, versichert Matthias Degener.
Im Unterschied zu Bestattern müsse man in einem Krematorium jedoch keine Trauerarbeit leisten. Der Geschäftsführer selbst will sich eines fernen Tages auch verbrennen lassen, erklärt er, während bereits ein weiterer Bestatter vorfährt. Vielleicht mit einem Verstorbenen, für den das Feuer auch Symbol für den Sieg des Lebens über den Tod ist und der sich wie Phönix aus der Asche erhebt. Wer weiß das schon.
Glaube und Feuerbestattung
Die ersten Feuerbestattungen gab es neben der Erdbestattung bereits zum Ende der Steinzeit in Europa und in Nahost. Historische Urnenfunde, welche die frühen Feuerbestattungen belegen, reichen bis etwa 3.000 v. Chr. zurück.
In der Bronzezeit (2500 bis 1000 v. Chr.) breitete sich die Feuerbestattung allmählich nach Nordeuropa aus. Im antiken Griechenland und später bei den Römern überwog die aufwändige Feuerbestattung. Die ersten Christen, meist aus der ärmeren Bevölkerung, bevorzugten die Erdbestattung, weil sie an die Auferstehung des Leibes glaubten. Entsprechend wurde die Erdbestattung etwa 400 n. Chr. für Christen vorgeschrieben.
Erst im 17. Jahrhundert, mit dem Zeitalter der Aufklärung, veränderte sich diese Denkweise. So wurden 1876 in Mailand und zwei Jahre später in Gotha die ersten Krematorien in Europa gebaut. 1886 reagierte die katholische Kirche. Sie verbot die Verbrennung von Leichen und verschärfte 1892 diese Bestimmung. Gleichwohl wurden immer mehr Krematorien errichtet. Papst Johannes XXIII. hob 1963 schließlich das Verbot der Einäscherung auf. Somit können Gläubige heute über die unterschiedlichen Bestattungsformen frei entscheiden.