Vor Corona entwickelt, in der Krise besonders gefragt

Kreuzbund bietet seit Pandemie-Beginn Chat für Suchtkranke

  • Der Kreuzbund als katholischer Verband von Selbsthilfegruppen für Suchtkranke und ihre Angehörigen bietet seit gut einem Jahr einen täglichen Chat für die Kontaktaufnahme an.
  • Das Angebot wurde vor der Corona-Pandemie geplant, gewann in der Krise aber eine besondere Bedeutung. Knapp 800 Betroffene nahmen das Angebot wahr.
  • Das digitale und datengeschützte Angebot soll die Gruppentreffen vor Ort nicht ersetzten, sondern ergänzen.

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Es war so nicht geplant und deshalb ein echter Glücksfall. Als der Kreuzbund im Herbst 2019 mit einer Testphase für ein datengeschütztes Chat-Angebot begann, war von Corona noch keine Rede. Der bundesweit organisierte katholische Verband von Selbsthilfegruppen für Suchtkranke und ihre Angehörigen wollte diese Form der digitalen Kontaktaufnahme ermöglichen, weil es einen generellen Bedarf dafür gab. Dass der offizielle Start im März 2020 in die Zeit des ersten Corona-Lockdowns fiel, war für die akut Hilfesuchenden ein ebenso großes Glück wie für die langjährigen Teilnehmer der bestehenden Gruppen.

„Die Situation für Menschen, die in ihrer Sucht Hilfe suchten, war durch die Corona-Krise extrem schwierig“, sagt Michael Tremmel, Suchtreferent in der Bundesgeschäftsstelle des Kreuzbundes in Hamm. „Beratungs-Angebote gab es gerade zu Beginn nur eingeschränkt oder gar nicht.“ Auch die Kontaktaufnahme zu Selbsthilfegruppen war kaum möglich. Wer zum Zeitpunkt des Pandemie-Beginns wegen seiner Sucht in Not geriet, hatte es schwer, Begleiter und Hilfe zu finden.

 

Corona ist zusätzliche Belastung

 

„Wir wissen alle, dass die Krise uns psychisch herausfordert“, sagt Tremmel. Stress, Ängste und Einsamkeit seien Faktoren, die für Menschen mit Suchterkrankungen zur besonderen Gefährdung werden könnten. Die Nachfrage nach dem neuen Kreuzbund-Chat belegte das von Beginn an. Bereits im April 2020 nahmen fast 160 Hilfesuchende das Angebot an. Bis Ende des Jahres hatten sich 765 Menschen digital zugeschaltet, wenn die Chat-Räume täglich geöffnet und betreut wurden. „Besonders in den ersten Monaten, als noch keine anderen Hilfsangebote möglich waren, wurde unser neues Angebot intensiv angenommen.“

Sucht-Selbsthilfe im Kreuzbund-Chat
Das tägliche Angebot schützt die persönlichen Daten und wird von erfahrenen Helfern moderiert:
www.kreuzbund.de/chat

Dass die Pandemie ein zusätzlicher Stressfaktor gerade für Suchtkranke ist, hat der Kreuzbund mit einer Befragung von fast 300 Leitern ihrer Selbsthilfegruppe belegt. Zum Ende des Corona-Jahrs 2020 gaben diese unter anderem an, dass die Sorge um die eigene Gesundheit und die der Familie zugenommen hat. Die Befragten berichteten auch, dass sie das seelische Wohlbefinden bei über der Hälfte ihrer Gruppenmitglieder seit Beginn der Pandemie als mehrbelastet erfahren.

 

Chat war Ersatz für bestehende Angebote

 

Auch für die Suchtkranken, die schon viele Jahre an den regional organisierten, regelmäßigen Selbsthilfe-Treffen teilnehmen, war der Chat anfangs eine wichtige Form, Kontakt zu halten. „Diese Gruppen sind für viele wie eine zweite Familie, die ihnen dauerhaft hilft, mit ihrer Sucht das Leben zu meistern“, sagt Joachim Heine, Gruppenleiter eines Treffs in Ehingen bei Ulm. Bis klar wurde, wann und wie direkte Kontakte wieder möglich wurden, griffen deshalb viele auf die Möglichkeiten des Chats zurück. „Erst nach und nach entwickelten sich Alternativen wie gemeinsame Spaziergänge oder regelmäßige Telefonate.“

Aus seiner Mitarbeit als Moderator im Kreuzbund-Chat weiß Heine, dass die Teilnehmerzahlen immer da in die Höhe gingen, wo die Lockdown-Maßnahmen verschärft wurden. Gerade in der niederschwelligen Kontaktaufnahme über das neue Angebot sieht er große Vorteile. „Wer in einer Notsituation ist, hat nicht immer Ansprechpartner in der Nähe, braucht sie aber schnell, um Druck loszuwerden, Zuversicht zugesprochen zu bekommen und von weiteren Hilfen zu erfahren.“ Selbsthilfegruppen vor Ort gebe es aber nicht flächendeckend. Das Internet biete damit nicht nur die Möglichkeit in allen Regionen Deutschlands einen Erstkontakt zu finden, sondern auch die Präsenz in Zielgruppen zu erhöhen, für die eine digitale Kontaktaufnahme gewohnter ist – etwa bei jüngeren Suchtkranken.

 

Chat ist Ergänzung für Treffen

 

Das alles gilt generell, hat in der Pandemie aber noch einmal an Gewicht gewonnen. Michael Tremmel betont, dass das digitale Angebot dabei keine Konkurrenz zu den Gruppentreffen vor Ort sein soll, sondern eine Ergänzung. „Was der Stuhlkreis und die Umarmung bewirkt, kann kein Chat leisten.“ Die Rückkehr in die normale Präsensarbeit nach den Corona-Einschränkung bleibt deshalb Ziel. Genauso wie das Vermitteln neuer Anfragender an Hilfs- und Beratungsangebote sowie die Suche nach „analogen Selbsthilfegruppen“ in ihrer Nähe.

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