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Nachrichten vom Krieg klingen abstrakt, das Leid der Menschen scheint weit weg. Jens Ehebrecht-Zumsande aber hat erfahren, dass es sehr nahe kommen kann.
„Ich will doch nur ein normales Leben, ohne Krieg und Terror! Warum können wir nicht einfach im Frieden leben, so wie jeder andere Mensch auch?“ Die Frau ringt um Fassung. Tränen laufen ihr über die Wangen.
Ich bin zur Supervision in einer psychosozialen Einrichtung und hatte wie üblich zu Beginn eine scheinbar harmlose Frage gestellt: „Wie geht es Ihnen heute, wie sind Sie jetzt da?“ Reihum erzählen alle. Von Begegnungen mit Patienten, vom Stress in der Familie, vom bevorstehenden Umzug.
Bericht aus dem Iran
Und dann ist die erwähnte Kollegin an der Reihe und fängt direkt an zu weinen. Vor einigen Jahren war sie mit ihrem Mann aus dem Iran geflüchtet und hatte sich in Deutschland als Psychologin ein neues Leben aufgebaut. Ein großer Teil ihrer Familie lebt noch im Iran.
Während wir jetzt reden, tobt der Krieg zwischen ihrer Heimat und Israel. Sie erzählt, was sie durch Telefonate und Mails in Erfahrung bringen konnte. Vom nächtelangen Bombenhagel und der Angst um die Liebsten. Seit dem Vorabend ist außerdem die Verbindung zur Schwester im Iran abgebrochen. „Ich weiß nicht mal, ob meine Schwester noch lebt“, sagt die Frau unter Tränen.
Das „Leiden der Zivilbevölkerung“
Der Autor
Jens Ehebrecht-Zumsande ist Religionspädagoge und Supervisor in Hamburg.
Betretenes Schweigen in der Runde. Manchen Kollegen kommen ebenfalls die Tränen. Einige reagieren einfühlend und sprechen ihr Mitgefühl aus. Wir kommen miteinander ins Gespräch über die Ohnmacht, die alle spüren. Sie fragen, was die Kollegin braucht und wie sie unterstützen können. Das Team kann verabreden, wie sie gemeinsam mit dieser Situation umgehen können.
Noch Tage später denke ich an diese Begegnung. Wenn ich die Nachrichten sehe und vom „Leiden der Zivilbevölkerung“ höre, oder wenn Bundeskanzler Friedrich Merz von der nötigen „Drecksarbeit“ spricht, dann denke ich an diese Frau.
Jede und jeder trägt Verantwortung
Ich erkenne ihre Fragen wieder in dem, was Papst Leo vor Kurzem gesagt hat: „Krieg löst keine Probleme, sondern vergrößert sie und reißt tiefe Wunden… Kein bewaffneter Sieg kann den Schmerz der Mütter, die Angst der Kinder und die geraubte Zukunft ausgleichen. Möge die Diplomatie die Waffen zum Schweigen bringen! Mögen die Völker ihre Zukunft mit Werken des Friedens gestalten, nicht mit Gewalt und blutigen Konflikten!“
Doch Frieden ist nicht nur Aufgabe der Politik. Jeder Mensch trägt dafür Verantwortung. Es beginnt im Kleinen - mit Empathie, mit Zuhören, mit dem Mut, Ohnmacht auszuhalten. Jeder kann Teil einer friedlicheren Zukunft sein – da, wo er lebt, nach seinen Möglichkeiten.
In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.