Kerzen, Rosenkränze & Co. - wo gibt's das eigentlich noch? (2)

Kuhlmanns Knisterkerzen als Renner - Geschäft nach 133 Jahren zu

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Vor Taufe, Kommunion oder Firmung ging es in Münster zu „Kerzen Kuhlmann“. 133 Jahre lang war das Familiengeschäft Anlaufstelle Nummer eins für Kerzen und Devotionalien. Vor wenigen Monaten musste es geschlossen werden. Mit dem religiösen Leben ging auch die Nachfrage zurück.

Manchmal rufen immer noch Kunden an. So wie jetzt, als Bernard Kuhlmann und seine Frau Hildegard am offenen Fenster im Obergeschosse ihres ehemaligen Geschäfts in der Salzstraße in Münster sitzen. Schon vor einigen Monaten haben sie ihre Kerzen- und Kunsthandlung geschlossen. Wo früher Verkaufsräume waren, stehen heute Tische und Stühle des Cafés, das in das Gebäude eingezogen ist. Kuhlmann erklärt dem Anrufer auf seinem Handy, wo er eine Glühbirne bekommen kann, in der ein Kreuz zum Leuchten gebracht wird. Seine Frau lächelt. „Früher hatten viele Menschen eine solche Illumination als eine Art ewiges Licht daheim.“

Es gibt einige Dinge, die im Sortiment der Kuhlmanns waren, für die heute kaum noch eine Nachfrage besteht. Die Geschichte ihres Geschäfts ist eine mit großer Tradition, die viel erzählt von der religiösen Entwicklung in der Gesellschaft, von Trends bei den Devotionalien und von Umgestaltungen der Kirchenfeste. Sie erzählen sie mit Stolz, manchmal mit Unverständnis und am Ende auch mit Wehmut.

 

Kuhlmann-Gründer war Vizeküster von St. Lamberti

 

Ganz am Anfang des Familienunternehmens stand ein münstersches Original. „Onkel Philipp“, nennt Bernard Kuhlmann ihn, obwohl er nicht wirklich sein Onkel war. Drei Generationen liegen zwischen ihm und dem Gründer des Kerzenhandels, dem Vizeküster von St. Lamberti im Jahr 1887. „Der zweite Küster in der Hierarchie – diese Position gab es damals wirklich.“  Dass sein Vorfahr es trotzdem zu lokaler Berühmtheit gebracht hat, zeigt eine Erinnerung aus Sandstein an einem Rundbogen der alten Kaplanei von St. Lamberti. Mit Kerzen und einem „Domphörn“ zum Löschen der Dochte in der Hand ist er dort eingemeißelt.

„Onkel Philipp“ war es, der damit begann, Hostien zu backen und Kerzen herzustellen. Zum Verkauf war er im ganzen Umland unterwegs und brachte viele Geschichten mit, die im Hause Kuhlmann weitererzählt wurden. Dabei waren auch die Erlebnisse auf einer Verkaufsfahrt mit einem befreundeten Senf-Händler. Als die Kutsche auf dem Heimweg von Telgte liegenblieb, wurde es für den Vizeküster eng. „Er musste schnell zurück nach Münster, um die Sakristei für die Abendmesse aufzuschließen“, erzählt Bernard Kuhlmann. „Zum Glück kam eine Einheit berittener Soldaten vorbei, die ihn im Galopp rechtzeitig in die Stadt brachte.“

 

Die Knisterkerzen waren Verkaufsschlager

 

„Onkel Philipp“ (links), Küster in St. Lamberti und münstersches Original gründete die Kerzen- und Kunsthandlung Kuhlmann 1887. | Foto: Michael Bönte
„Onkel Philipp“ (links), Küster in St. Lamberti und münstersches Original, gründete die Kerzen- und Kunsthandlung Kuhlmann 1887. | Foto: Michael Bönte

Solche Geschichten kennen die Kuhlmanns unzählige. Der kleine Bernard hörte sie von Beginn seines Lebens an, als er noch im Sandkasten im Hinterhof des Geschäfts spielte. Das war in den 1950er Jahren, in denen seine Großeltern und Eltern immer noch einen absoluten Renner verkauften, den schon „Onkel Philipp“ auf den Markt gebracht hatte: „Küster Kuhlmanns Knisterkerzen.“ Das waren handgerollte Exemplare aus reinem Bienenwachs. Weil dieser nur mit den Händen und nicht maschinell bearbeitet wurde, gab es kleinste Unreinheiten und Lufteinschlüsse. Und die knisterten beim Abbrennen der Kerze.

Sie sollten sich noch lange Zeit großer Beliebtheit erfreuen. Obwohl der Bezug des Bienenwachses immer schwieriger wurde und die handwerkliche Arbeit aufwendig und anstrengend war, hatten die Kuhlmanns ihre Knisterkerzen noch bis vor einigen Jahren im Programm. Und mit ihnen täglich viele Erinnerungen. „Mein Vater zerbrach die großen Wachsplatten der Imker immer in kleine Stücke“, erzählt Bernard Kuhlmann. „Er wollte sicher sein, dass die Lieferanten keine Steine darin versteckten, um beim Wiegen einen besseren Preis zu erzielen – was durchaus vorgekommen war.“ Eine andere Erinnerung duftet für ihn ebenfalls nach Bienenwachs: „Allerheiligen auf dem Zentralfriedhof hatten wir zwei Stände mit Kerze und Lichtern – wenn ich mit meinem Cousin bei einbrechender Dunkelheit zwischen den Gräbern gelaufen bin, war das ein wunderschönes Lichtermeer.“

 

Geschäft als Ort des Gesprächs

 

Die Nachfrage nach den „Knisterkerzen“ überdauerte Generationen. Kurz vor der Schließung des Geschäfts riefen noch Kunden an, die danach fragten. „Da hatten wir die Produktion schon längst eingestellt“, sagt Hildegard Kuhlmann. „Viele hatten aber große Bestände, die sie über mehrere Jahre nutzten.“

Einen solchen Verkaufsschlager hatten die Kuhlmanns nie wieder im Bestand. Die Trends wechselten, neue Stile entwickelten sich, die Nachfrage setzte neue Akzente – und das immer schneller. „Wir haben stets reagiert und unser Sortiment angepasst“, sagt Bernard Kuhlmann. Heiligenfiguren, Kreuze, Krippen, später auch profane Kunst wie Bilder, Gemälde und Souvenirs. „Die Menschen aber sahen in uns immer das Kerzen- und Devotionaliengeschäft.“ Und sie sahen in der religiös ausstrahlenden Kulisse des Geschäfts einen besonderen Ort des Gesprächs. Zwischen Kreuzen und Taufkerzen kam so manche Lebensgeschichte der Kunden auf den Verkaufstresen. „Ein Pfarrer sagte uns einmal, unsere Kerzenhandlung sei ein wichtiger Ort der Seelsorge.“

 

Nicht Rosenkranz, sondern Perlenkette mit Kreuz

 

Mit Kerzen und einem „Domphörn“ in der Hand – ein Andenken aus Sandstein an den Vizeküster „Onkel Philipp“ an der alten Kaplanei in St. Lamberti. | Foto: Michael Bönte
Mit Kerzen und einem „Domphörn“ in der Hand – ein Andenken aus Sandstein an den Vizeküster „Onkel Philipp“ an der alten Kaplanei in St. Lamberti. | Foto: Michael Bönte

Religiöse Gegenstände aber verloren in den vergangenen Jahren wie das religiöse Leben nach und nach an Bedeutung. Das bekamen die Kuhlmanns immer deutlicher zu spüren. „Kirchliche Feste wie Kommunion oder Firmung wurden zunehmend anders gefeiert“, sagt Hildegard Kuhlmann. „Das spiegelte sich auch in den Geschenken wider.“ Heute ist nur noch selten ein Kreuz oder ein Rosenkranz dabei. Als die Mutter und Großmutter eines Kommunionkinds in ihrem Laden nach einem Geschenk suchten, wurde ihr das einmal sehr deutlich vor Augen geführt. „Die Oma hatte etwas Passendes gefunden, aber ihre Tochter hielt sie vom Kauf ab.“ Sie erinnert sich noch genau an deren Worte: „Das kannst du ihm nicht schenken, damit kann er nichts anfangen.“

Wenn junge Menschen in ihr Geschäft kamen und nach einer Perlenkette mit Kreuz fragten, zeigte ihnen das deutlich, dass sich im religiösen Bewusstsein etwas verschob. „Den Begriff Rosenkranz kannten viele gar nicht mehr“, sagt Hildegard Kuhlmann. Ebenso zeigte ein genereller Trend bei Wohnungseinrichtungen seine Wirkung im Geschäft. „Die Menschen dekorieren zurückhaltender, wollen lieber einen großen Fernseher als ein Steh-Rümchen.“  Jene kleinen und großen künstlerischen Accessoires, von denen sie so viele im Programm hatten.

 

Schöne Stücke mit nach Hause genommen

 

Ein solch puristischer Stil passt nicht zu den Kuhlmanns, weder geschäftlich noch privat. „Wir lieben die Dinge, die wir über Jahrzehnte verkauft haben“, sagt Bernard Kuhlmann. „Und haben uns immer wieder besonders schöne Stücke mit nach Hause genommen.“ Ihre Tochter heißt Elisabeth, deswegen steht eine geschnitzte Holzfigur der Heiligen bei ihnen. Für ihren Sohn Matthias wurde eine Ikone des Apostels aufgehangen. Und der riesige Rosenkranz mit kirschgroßen Perlen, den sie von der Großmutter erbten, hängt genauso wie bei ihr über einem großen Holzkreuz.

Es ist die Liebe zu den religiösen Darstellungen und ihren normalen Plätzen im Alltag, die sich nach und nach aus dem Leben der meisten Menschen verabschiedet haben. Die Zeit, in der die Kuhlmanns auch mal gefragt wurden, ob sie mit einigen Figuren und Bildern anreisen könnten, um im frisch renovierten Haus bei der Dekoration zu helfen, ist vorbei. Bei dieser Erinnerung muss Hildegard Kuhlmann lachen. „Ich hatte zwei blattvergoldete Heiligenfiguren auf dem Arm und bin beim Weg zum Kunden im schneeglatten Eingang ausgerutscht.“ Die Heiligen hielt sie so fest, dass diesen nichts passierte. „Meine Knie aber waren kaputt.“

 

Corona-Lockdown gab Kuhlmann den Rest

 

Dass nach 133 Jahren keine Möglichkeit mehr bestand, die Geschichte und Geschichten ihres Geschäfts weiterzuschreiben, war letztlich eine Zuspitzung dieser Entwicklungen. Zu den allgemeinen religiösen und gesellschaftlichen Veränderungen kamen die generellen Probleme des Einzelhandels und die Entwicklung im Internet-Handel. „Die Corona-Krise mit ihren Lockdowns war dann wie ein letzter Todesstoß.“

Einer der richtig weh tat. Das ist dem Ehepaar anzumerken. Der intensive, oft liebevolle Kontakt mit den Kunden fehlt ihnen heute noch. Sie hatten durchaus Pläne, dass die Tochter das Geschäft einmal übernimmt. „Letztlich war die Schließung aber der richtige Schritt“, sagt Bernard Kuhlmann. „Onkel Philipp war ein guter Kaufmann, er hätte es aus wirtschaftlichen Gründen genauso gemacht – auch wenn er kaum verstanden hätte, warum die Menschen sein Angebot nicht mehr wahrnehmen wollen.“ Froh wäre der Gründer aber auf jeden Fall darüber, dass sein Name auf der Salzstraße in Münster weiter präsent bleibt: Das Café hat den Namen Kuhlmann übernommen, der Schriftzug bleibt über dem Eingang hängen.

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