VATIKAN

Hat Leo XIV. Missbrauch vertuscht? Experten sehen Racheaktion

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Nach der Wahl des neuen Papstes wurden Vorwürfe bezüglich seines Umgangs mit Missbrauchsfällen laut. Wie Fachleute diese einordnen. 

Von KNA

Als Leo XIV. am Donnerstagabend auf den Balkon des Petersdoms trat, jubelten nicht alle. Initiativen Missbrauchsbetroffener in der katholischen Kirche werfen dem neuen Papst früheres Fehlverhalten im Umgang mit Tätern und Opfern vor. Die Anschuldigungen sind nicht neu und wurden bereits zurückgewiesen.

Der weltweit tätige Kinderschutz-Experte Hans Zollner SJ vermutet hinter den Vorwürfen jene Gemeinschaft, die Robert Prevost in seiner Zeit in Peru entschieden bekämpfte. Unter anderem wegen Fällen sexualisierter Gewalt, Machtmissbrauch und Vertuschung löste der Vatikan Mitte April eben diese Gemeinschaft „Sodalitium Christianae Vitae“ auf.

Konkret geht es bei den aktuellen Anschuldigungen um zwei Fälle. Der erste spielt im Jahr 2000 in Chicago. Prevost war damals Regionalleiter seines Ordens, der Augustiner. Das Erzbistum Chicago musste einen Priester unterbringen, dem Kindesmissbrauch in mehreren Fällen vorgeworfen wurde. 

Zu diesem Zeitpunkt durfte der Beschuldigte bereits seit rund zehn Jahren seinen Dienst nicht mehr ausüben, arbeitete in der Verwaltung der Diözese und wurde überwacht. Weil das Erzbistum den bisherigen Wohnort des damaligen Priesters verkaufte, suchte man nach einer neuen Unterkunft und fand diese in einem Kloster des Augustinerordens - unter Einhaltung der Disziplinarmaßnahmen.

Chicagoer Fall

Als Provinzial musste Prevost den Umzug des überwachten Täters in das Ordenshaus genehmigen. Man wirft ihm nun vor, die örtliche Nähe des Hauses zu einer katholischen Grundschule nicht als Risiko bei der Unterbringung eines mutmaßlichen Sextäters erkannt zu haben. Erst zwei Jahre später veröffentlichte die US-amerikanische Bischofskonferenz die Dallas-Charta mit strengeren Leitlinien zum Kinderschutz und dem Umgang mit Missbrauchsfällen. 

Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2002, entließ die Diözese den Priester komplett aus dem aktiven Dienst und er verließ das Ordenshaus. Mittlerweile ist der Mann, gegen den später noch weitere Missbrauchsvorwürfe erhoben wurden, laisiert.

Vorwürfe aus der Zeit in Peru

Der zweite Fall wurde kirchen- wie zivilrechtlich bereits abgeschlossen, aber nach hoher Aufmerksamkeit in manchen Medien teilweise wieder aufgerollt. Drei Frauen werfen dem Bistum Chiclayo und dem heutigen Papst angebliches Fehlverhalten bis hin zur Vertuschung im Umgang mit den von ihnen gemeldeten Vorwürfe gegen zwei Priester vor. Die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe der Geistlichen fanden vor der Ernennung Prevosts zum Bischof von Chiclayo im Jahr 2014 statt, gemeldet wurden sie erst 2022.

Auf öffentliche Vorwürfe in einem Fernsehbericht im September 2024 reagierte das peruanische Bistum mit einer detaillierten Erklärung, in der es alle Vorwürfe zurückweist. Prevost habe eine Voruntersuchung eingeleitet, den Priester vom Dienst suspendiert und die Ergebnisse der Untersuchung an das Dikasterium für die Glaubenslehre in Rom weitergeleitet. Den Frauen sei psychologische Unterstützung angeboten und zu einer Zivilklage geraten worden. Die staatliche Untersuchung wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Das Ergebnis der erneuten Untersuchung im Vatikan ist noch offen.

Racheakt einer aufgelösten Gemeinschaft?

Während einige Opferverbände Prevost deshalb nun einen angeblich mangelhaften Umgang mit diesen Fällen vorwerfen, verteidigen prominente Missbrauchsbetroffene den neuen Papst. Der Journalist Pedro Salinas, Mitbegründer einer Betroffenen-Initiative, würdigte in einem Statement Prevosts „entscheidende Rolle bei der Aufarbeitung des Sodalicio-Falls - einem der schlimmsten Missbrauchsskandale in Lateinamerika“. Ähnlich wie Zollner vermutet er eine Kampagne von ehemaligen Mitgliedern der aufgelösten Gemeinschaft „Sodalitium Christianae Vitae“.

Zollner, der das Safeguarding-Institut der Päpstlichen Gregoriana-Universität in Rom leitet, erklärte, er habe Prevost bislang als jemanden erlebt, der sich in der Missbrauchsbekämpfung engagiert habe - „ohne zu sagen, dass alles perfekt gewesen sei“. Der Jesuitenpater bescheinigt Leo XIV. eine sehr hohe Sensibilität für das Thema.

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