Angebot entstand aus der Palliativmedizin und der Hospizbewegung

Letzte-Hilfe-Kurse geben Sicherheit in der Sterbebegleitung

Die Letzten-Hilfe-Kurse haben ein Ziel: Wer einen Menschen am Ende des Lebens begleiten möchte, hat oft mit Unsicherheiten zu kämpfen. Diese sollen Angehörigen und Freunden genommen werden.

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Wer an diesem Abend in das Foyer des Mehrgenerationenhauses Matildenstift in Münster kommt, bringt seine persönliche Geschichte mit. Die Hospizbewegung hat zu einem Letzte-Hilfe-Kurs eingeladen und jede der elf Teilnehmerinnen hat ihre eigene Erfahrung von Trauer, Sterbebegleitung und Pflege eines Freundes oder Angehörigen im Gepäck. In den kommenden vier Stunden werden sie auf das schauen, was auf diesen gemeinsamen letzten Wegen hilfreich sein kann. Wege, die zum Teil hinter ihnen, zum Teil vor ihnen liegen.

Letzte-Hilfe-Kurs in Münster
Clarissa von Ohnesorg mit Teilnehmerinnen am Letzte-Hilfe-Kurs in Münster. | Foto: Michael Bönte

„Die meisten Menschen absolvieren irgendwann in ihrem Leben einen Erste-Hilfe-Kurs“, sagt Dagmar Hövelmeyer. Die Sofortmaßnahmen an einem Unfallort sind also vielen bekannt, erklärt die ehrenamtliche Mitarbeiterin der Hospizbewegung in Münster. „Was aber, wenn es nicht darum geht, einen Menschen zu retten, sondern ihn im Sterben zu begleiten?“ Sie hat die Erfahrung gemacht, dass dann häufig grundlegendes Wissen und wichtige Fertigkeiten fehlen. Unsicherheit und Ängste sind die Folge. „Oft schrecken sie deshalb vor der Begleitung zurück.“ Um das zu verhindern, hat sie sich zur Kursleiterin in der Letzen Hilfe ausbilden lassen. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Clarissa von Ohnesorg nimmt sie die Teilnehmer in Empfang.

 

Unterschiedliche Motivationen für die Auseinandersetzung

 

Die Vorstellungsrunde gibt Einblick in die Motivation der Frauen, sich vier Stunden mit dem Thema zu beschäftigen. „Ich habe meine Grenzen erlebt, als ich meinen Vater vor seinem Tod gepflegt habe“, sagt Birgit Röhr. „Da habe ich viele Dinge einfach aus dem Bauch heraus gemacht, nicht gefragt, ob es richtig und hilfreich ist.“ Im Rückblick weiß die 53-Jährige, was sie belastet hat und wo sie anders hätte handeln können. Sie ist heute hier, um das zu reflektieren. Ihre Tochter Simone ist mitgekommen. Als Heilerziehungspflegerin arbeitet sie auch viel mit schwerbehinderten Menschen. „Da steht das Thema beruflich immer wieder an.“ Privat ist das nicht anders. Die Großeltern väterlicherseits sind mehr als 90 Jahre alt.

Ähnliche Hintergründe bringen alle in der Runde mit: In der Wohngemeinschaft im Seniorenheim wird das Durchschnittalter immer höher. Die 90-jährige Mutter zieht sich immer weiter zurück. Oder die beste Freundin ist schwer erkrankt und ihr Tod absehbar.

 

Es geht um Grundlagen

 

Vier Einheiten wird es an diesem Abend geben, die in allen Situationen helfen werden: „Sterben ist Teil des Lebens“, „Vorsorgen und entscheiden“, „Körperliche, psychische, soziale und existentielle Nöte lindern“ und „Abschied nehmen“ sind die Titel.

„Wie beim Erste-Hilfe-Kurs gibt es hier nur die Grundlagen“, sagt Clarissa von Ohnesorg. Die Auseinandersetzung ist trotzdem intensiv. Bei Fragen nach Merkmalen und Phasen des Sterbeprozesses genauso wie bei Fragen der medizinisch-ethischen Entscheidung, bei palliativ-medizinischen Hintergründen oder den Möglichkeiten, Trauer zu gestalten. Dabei geht der Weg immer von der grundlegenden Information zu praktischen Tipps. Etwa beim Umgang mit den Nöten des Sterbenden. „Flüssigkeitszufuhr ist wichtig, auch wenn der Mensch das nicht mehr ausdrücken kann.“ Sie zeigt den Umgang mit speziellen Schaumstoff-Stäbchen, mit denen die Lippen befeuchtet werden können.

 

Eine Normalisierung der Situation ist Ziel

 

Es ist zu spüren, dass es bei aller Tragik an diesem Abend um eine Normalisierung der Situation des Sterbens geht. Die Schwere soll nicht heruntergespielt, sondern ein bewusster Umgang mit ihr ermöglicht werden. „Das hilft allen Beteiligten“, erklärt von Ohnesorg. „Der Sterbende bleibt mit seinen Empfindungen und Ansprüchen im Mittelpunkt – der Pflegende erkennt sie, wird handlungsfähig und mutig.“ Für Schritte, die er sonst nicht gewagt hätte. „Wenn der Totkranke sein Lieblingsgetränk haben möchte, dann muss man nicht auf die Vernunft pochen und ihm doch nur Wasser geben – im Sinne der Lebensqualität am Ende des Lebens darf es dann auch mal Eierlikör sein.“

Entwicklung der Letzten-Hilfe-Kurse
Die Idee der Letzten-Hilfe-Kurse geht auf Henry Dunant zurück, den Begründer des Roten Kreuzes. Er leistete Mitte des 19. Jahrhunderts bei Verwundeten etwa auf Schlachtfeldern der napoleonischen Kriege sowohl erste Hilfe, als auch letzte Hilfe, in dem er den Soldaten in ihren Sterbestunden beistand.

2008 entwickelte sich aus diesem Grundgedanken die Letzte-Hilfe-Bewegung, angestoßen durch neue Erkenntnisse in der Palliativ-Medizin. Damals stellte der Arzt Georg Bollig erstmals eine Studie zu diesem Thema vor. Ziel sollte es sein, ähnlich wie in Erste-Hilfe-Kursen Grundfertigkeiten zur Begleitung eines Sterbenden zu vermitteln. Eine Begründung: Der Kontakt zu einem Sterbenden ist im Leben mindestens genauso wahrscheinlich wie der Kontakt zu einem Menschen, der bei einer akuten Krankheit oder nach einem Unfall notversorgt werden muss. 2015 organisierten Bollig und sein Team in Deutschland die ersten Angebote. Sie sollen auch ermutigen, Sterbende aus der Anonymität zu holen und sich ihnen zuzuwenden.

Mittlerweile haben mehr als 9000 Menschen an Letzte-Hilfe-Kursen teilgenommen. Etwa 1000 Kursleiter und –leiterinnen wurden ausgebildet. Auch in Norwegen, Dänemark, der Schweiz, Litauen, Österreich und Schottland werden heute Kurse angeboten.

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