Kommentar von Chefredakteur Markus Nolte zur Segnung homosexueller Paare am 10. Mai

#liebegewinnt 2022: ein Ritualchen statt klarer Reformen?

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Am 10. Mai soll es eine Fortsetzung der Aktion #liebegewinnt geben. Erstmals hatten 2021 Gemeinden zu Segnungsgottesdiensten bewusst auch für homosexuelle Paare eingeladen, nachdem der Vatikan solche Segnungen erneut untersagt hatte. Eigentlich aber, sagt Chefredakteur Markus Nolte in seinem Kommentar, geht es selbstbewussten queeren Katholik:innen um viel mehr. Die Aktion #liebegewinnt dürfe nicht zum Trostpflaster für deutlichere Reformen werden.

Alles, was in der Kirche mehr als einmal stattfindet, hat das Zeug, zur Tradition zu werden. Das kann gut sein – es kann aber auch das genaue Gegenteil bewirken. Die Aktion „Liebe gewinnt“ vom vergangenen Jahr ist auf dem bes­ten Weg dahin, sich von dieser traditionsanfälligen Dynamik kirchlicher Riten einspinnen zu lassen: Eh man sich‘s versieht, wird aus der Protest­aktion ein Ritualchen, das das Rom trotzende Einfordern des Segens auch für homosexuelle Paare von 2021 ab 2022 mit einer Art queerem Valentinstag im Wonnemonat Mai abspeist.

Ein bisschen Regenbogen in der Farbenlehre des katholischen Kirchenjahrs? Queere Menschen sind in der Hinsicht nicht nur zu Recht äußerst sensibel, sie haben auch auf ihrem Weg der Emanzipation ein Selbstbewusstsein entwickelt, das auf barmherzige Gnaden­gaben gut und gern verzichtet und halbgare Zugeständnisse nicht nötig hat.

Annäherung oder entwürdigendes Mitleid?

Ja, es gibt Signale einer mal mutigen, mal halbherzigen, mal putzigen Annäherung zwischen Kirchenverantwortlichen und queeren Katholik:innen: Der Synodale Weg hat sich klar positioniert, kirchliche Mitarbeitende bekannten sich bewegend bei „OutInChurch“ und Kardinal Marx feierte einen Queergottesdienst in München. Es berührt, dass Münsters Bischof Felix Genn sogar mehrfach beklagte, wie auch queere Menschen von der Kirche verletzt wurden, wie sehr sie unter ihrer Lehre leiden mussten.

Doch Vorsicht: Auch hier spricht die „Verletzer-Organisation“ über die Verletzten! So gut solche bischöfliche Ges­ten manchem tun werden, für andere werden sie sich weiter nach dem entwürdigenden Mitleid anfühlen, das sich der Katechismus gegenüber Homosexuellen abgerungen hat. 

Weder Opfer noch Bittsteller

Selbstbewusst queere Personen wollen weder als Opfer noch Bittsteller gesehen werden. Sie bekennen als Getaufte, dass ihre Liebe Liebe ist, damit göttlich und längst gesegnet, und beanspruchen dafür einen Ort in der Kirche – und einen sicheren Arbeitsplatz. 

Darum kann ihnen ein Schlangestehen zum Segen bei „Liebe gewinnt“ nicht genügen, sondern nur eine individuelle Segensfeier für einzelne Paare. Darum können sie sich nicht mit arbeitsrechtlichen Zugeständnissen nur für nicht-pastorale Mitarbeitende zufriedengeben.

Es braucht jetzt klare Entscheidungen, wenn die Signale der letzten Monate mehr sein sollen als pure Symbolpolitik. 

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