Famlienvater Michael Bönte über genervte Eltern, gefrustete Kinder und ein Dilemma

Lockdown und Familien: Schimpfen ja, Schuldzuweisung nein

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In vielen Familien herrscht absoluter Notstand. Lockdowns, Quarantänemaßnahmen, Schulschließungen – die Grenzen für Eltern und Kinder sind längst erreicht, Kraftreserven langsam aufgebraucht. Die ständigen gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Eltern, Lehrern und Politikern nerven dabei besonders, sagt Kirche-und-Leben-Reporter Michael Bönte.

Ich spreche aus eigener Erfahrung: Home-Office, berufstätige Frau, zwei Söhne bis auf weiteres im Homeschooling. Der geregelte Tagesablauf, wie ihn die Experten in dieser Zeit empfehlen, ist Utopie. Gerade für die Schulkinder ist das ein Desaster. Sie wünschen sich momentan nichts mehr als in einem Raum mit ihren Klassenkameraden zu sitzen, auf dem Schulhof zu spielen oder einfach nur mit Gleichaltrigen abzuhängen. Das alles darf es derzeit nicht geben, ohne Wenn und Aber. Denn die Infektionszahlen fordern unmissverständlich ein, mögliche Ansteckungs-Ketten in Schulen zu verhindern. Ein unvermeidbares Übel also.

An diesem Punkt beginnen die Beteiligten gern mit Schuldzuweisungen. Ein natürlicher Reflex, mit dem sie den Frust und die Hilfslosigkeit dieser Situation loswerden wollen. Die Eltern beschuldigen die Lehrer, sich nicht ausreichend auf die Situation vorbereitet zu haben. Die Lehrer greifen die Politiker an, weil diese immer noch nicht für notwendige technische Home-School-Ausstattung und verlässliche Rahmenbedingungen gesorgt haben. Die Politiker klagen zurück, dass die Akteure mit vorgeschobenen Argumenten des Datenschutzes nicht die digitalen Möglichkeiten ausschöpfen. Und, und, und.

 

Situation ist nicht lösbar

 

Und ich beschuldige mit. Was aber nicht gerecht ist. Denn die Situation ist gar nicht lösbar, auch wenn sich alle Beteiligten so professionell verhalten, wie sie können. Es bleibt eine Ausnahmesituation, in der jeder nur so agieren kann, wie es in seinen Möglichkeiten liegt. Und die sind so unterschiedlich wie die Menschen, die mitwirken.

Es gibt eben nicht nur den einen Typ Lehrer, der die digitale Welt verstanden hat, die Hardware beherrscht und mit der neusten Software die Kinder für seine Inhalte begeistern kann. Es gibt auch nicht nur den einen Typ Politiker, der aus dem Stand heraus zehntausende Laptops für die Lehrer besorgen, entsprechende Schulungen organisieren und Wochen im Voraus entscheiden kann, wann die Infektionszahlen den Präsenzunterricht wieder ermöglichen. Und es gibt auch nicht den einen Typ Eltern, der sich von der außergewöhnlichen Arbeits- und Familiensituation nicht stressen lässt, um kreativ und fröhlich mit den Kindern den Alltag zu meistern. Da fasse ich mir gerade an die eigene Nase.

 

Schimpfen ist erlaubt

 

Seien wir doch mal fair zueinander. Der derzeitige Notstand ist nicht hausgemacht. Genauso wenig hat jemand aus dem schulischen Umfeld oder der Politik seine Freude daran. Wir müssen da durch. Eine schreckliche Durchhalteparole – die im Augenblick aber furchtbar wahr ist. Schimpfen ist dabei sicher erlaubt, weil es befreit. Schuldzuweisungen bringen aber gar nichts.

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