Dülmener ist für Lichtkreuze bekannt

Ludger Hinse: „Katholischer Anarchist“ und Künstler wird 75 Jahre alt

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Nie fertigt Ludger Hinse Kreuze, die den Körper Jesu zeigen: „Ich kann Gott nicht darstellen, höchstens abstrakt durch das Licht.“ Inzwischen sind die „Lichtkreuze“, die in vielen Kirchen zu sehen sind, sein Markenzeichen. Am 19. Mai wird der Künstler aus Dülmen 75 Jahre alt.

Es dauerte viele Jahre, bis Hinse sein künstlerisches Thema fand. Bei einer Ausstellung 1997 in Chile hatte ihm ein von dort stammender Künstler erzählt, wie die Mütter verschwundener Kinder mit Holzkreuzen gegen das Regime demonstriert hatten. Diese Begegnung mit dem Kollegen faszinierte ihn derart, dass er seither Kreuze aus Kunststoffglas in verschiedenen Größen fertigt und sie in hellen Farben zum Leuchten bringt.

Hierzu beschichtet Hinse die gleichschenkeligen Stücke mit einer Folie aus Radiant. Häufig befestigt er seine Arbeiten mit einem Seil an einer Kirchendecke. So leuchten die Kreuze je nach Lichteinfall und Luftstrom in verschiedenen Tönen.

„Wir sind zu sehr leidfixiert“

Die Exemplare präsentiert er europaweit. Manche Priester stören sich an den leuchtenden Werken und wollen unter den Lichtkreuzen nicht die Messe feiern. Hinse überrascht das nicht: „Das Kreuz ist immer ein provozierendes Zeichen, es steht für Bewegung und Veränderung.“ Mit seinen Stücken kritisiert er, wie die Kirche das Kreuz seit der Gotik verstehe.

Es sei nicht mehr das Symbol des Sieges, sondern der Sünde und des Leids. Dabei sei es doch genau umgekehrt. „Karfreitag kann man nur ertragen, weil es Ostern gibt.“ Und seine lichthellen Kreuze spiegelten diese Botschaft wider. „Wir müssen zu einer österlichen Religion werden. Wir sind zu sehr leidfixiert.“

Nur Herrschaft Gottes zählt

Hinse, der Hosen- und kein Anzugträger ist, bezeichnet sich selbst als „katholischen Anarchisten“. Er akzeptiert nur die Herrschaft Gottes, nicht die von anderen Menschen. Als junger Erwachsener trat er aus der Kirche aus, weil ihm ein Priester nicht half, aus religiösen Gründen seinen Wehrdienst zu verweigern. Inzwischen ist er nach einem Klos­teraufenthalt und Gesprächen wieder eingetreten.

Als Kind ministrierte und boxte er. Kunst war in seinem Elternhaus in Recklinghausen bedeutungslos. In der Wohnung der Bergarbeiterfamilie hing nur der Fotokalender der Apothekenumschau, der einmal die Woche abgerissen wurde.

Überzeugter Autodidakt

„Zuhause gab es keine Anregung.“ Dennoch drängt es ihn zur Kreativität. Mit Buntstiften zeichnete er auf Tapetenresten. Kunstkurse besuchte der Autodidakt nie.

32 Jahre arbeitete der studierte Sozialarbeiter für die IG-Metall Bochum, davon 22 Jahre als gewählter Erster Bevollmächtigter. Als er anfing, war er der jüngste IG-Metall-Vorsitzende. „Auch als Chef muss man Künstler sein, um die Probleme kreativ zu lösen.“

Neben seiner Arbeit als Gewerkschafter malte Hinse. Als er 1988 in Recklinghausen erstmals seine Bilder ausstellte, verkaufte er auf Anhieb alle Arbeiten: „Ich war bei der ersten Ausstellung 2. Kreisklasse, danach Regionalliga.“

Mehr als 300 Ausstellungen konzipiert

Intensiv beschäftigte sich Hinse seither mit den Lichtmalern William Turner und Claude Monet: „Licht ist nicht greifbar, es ist allumfassend und verändert.“ Materialien und Techniken wechselten über die Jahre, die Auseinandersetzung mit dem Thema Licht blieb.

Er fertigte in seinem mehr als 30-jährigen Schaffen neben den Lichtkreuzen vor allem farbige und weiße Bilder, Skulpturen aus Stahl und Bronze und bewegliche Objekte. „Wenn du erfolgreich bist, musst du dich ändern.“ Erfolg interessiert ihn aber nicht: „Ich mache Kunst, weil ich es für richtig halte.“

Seit der Pensionierung 2005 widmet sich Hinse völlig der Kunst und fertigt meist Lichtkreuze. Mehr als 300 Ausstellungen konzipierte er über die Jahre, und 30 Bildbücher zeugen von seinem Schaffen. Arbeiten wolle er, solange er geistig und körperlich fit ist. „Künstler gehen nicht in Rente.“

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