Zur Rolle der Seelsorger, des Kirchenrechts, der Theologie - und der Laien

Macht und Missbrauch: Buch beleuchtet Ursachen im System Kirche

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Ein neues Buch mit mehreren Aufsätzen widmet sich den systemischen Hintergründen von Macht und Missbrauch in der Kirche. Es weist auf die Rolle der Sakralisierung der Kirche hin, auf die Theologie - und darauf, dass auch Laien Missbrauch decken. Missbrauchsaufarbeitung und Prävention kommen ebenso in den Blick.

Der Satz bewegt Thomas Sternberg sichtlich. „Wenn es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind großzuziehen, dann braucht es genauso ein Dorf, um es zu missbrauchen“, zitiert der Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) aus einem Aufsatz des Tübinger Theologen Michael Schüßler. „Wenn der Satz stimmt, dann müssen wir uns fragen: Wer gehört zu diesem Dorf?“

Sternberg antwortet selbst und nennt auch explizit die Gruppe, die er vertritt: die Laien. „Es hat so etwas gegeben wie das Decken von Missbrauchstaten, von Klerikern durch Gemeinden“, sagt er und spricht sich für eine Konfrontation mit diesem Thema aus.

 

Rolle der akademischen Theologie

 

Das Buch
Buchcover
Jochen Sautermeister/Andreas Odenthal (Hg.): "Ohnmacht. Macht. Missbrauch", Verlag Herder, Freiburg 2021, 200 Seiten, 38 Euro, ISBN 978-3-451-38875-0. Das Buch können Sie bequem direkt hier bestellen...

Der ZdK-Präsident äußert sich bei der Online-Vorstellung des Buchs „Ohnmacht. Macht. Missbrauch“, in dem Schüßlers Beitrag erschienen ist. Herausgegeben vom Moraltheologen Jochen Sautermeister und vom Liturgiewissenschaftler Andreas Odenthal aus Bonn, enthält der Band neun Aufsätze hauptsächlich von Theologinnen und Theologen. Entstanden ist das Buch aus einer Vorlesungsreihe der Universität Bonn. Es widmet sich den systemischen Hintergründen von Macht und Missbrauch in der katholischen Kirche.

Ein weiterer Teil des „Dorfes“, den Sternberg benennt, ist die akademische Theologie. Die Disziplin müsse sich fragen, ob sie Denkformen vermittle, die Machtmissbrauch begünstigten, argumentiert Sautermeister in seinem Beitrag. Die eigenen Machtverstrickungen seien zu durchleuchten.

 

Rolle von Sakralisierungen

 

Der Moraltheologe spricht sich zudem gegen Idealisierungen und Sakralisierungen in der Kirche aus. „Es bedarf einer Theologie, die das Menschsein in all seinen Facetten wahrnimmt und ernst nimmt“, mahnt er. „Wenn das gelingt, kann Kirche wieder zu einem heilsamen Lebensraum werden.“

Ein Aufsatz stammt aus der Psychologie: Andreas Jud und Marion Jarczok, die an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Ulm arbeiten, geben in ihrem Beitrag einen Überblick über die bisherigen Schritte zur Missbrauchsaufarbeitung und Prävention in der katholischen Kirche.

 

Rolle der Seelsorger und des Kirchenrechts

 

Demnach haben sowohl die deutschen Bistümer als auch der Vatikan in den vergangenen Jahren mehrere Verordnungen verabschiedet und Studien zum Thema erstellt. Insgesamt beziehe die Kirche aber die Betroffenen zu wenig ein, befinden die Wissenschaftler. Zudem sei der Aufarbeitungswille in den Bistümern deutlich unterschiedlich und die ergriffenen Maßnahmen würden nur ungenügend auf ihre Wirksamkeit überprüft.

In weiteren Beiträgen geht es unter anderem um die Rolle der Seelsorger und des Kirchenrechts. Der Priester und Freiburger Fundamentaltheologe Oliver Wintzek kritisiert die Selbstinszenierung der Kirche als Hüterin einer „Offenbarung“, die von geweihten Männern vermittelt wird. Diese Verquickung zwischen Heilswahrheit und kirchlichem Amt stelle „einen wesentlichen Grund dafür dar, warum sich eine geradezu systemische Notwendigkeit des Vertuschens etablieren konnte“.

 

Rolle von Riten

 

Mit der Frage, ob religiöse Zeremonien und Riten hinsichtlich des Missbrauchsskandals auch heilsam wirken können, beschäftigt sich Odenthal. Er widmet sich der Karfreitagsfürbitte von 2010, in der sowohl für die Betroffenen von Missbrauch als auch für die Täter gebetet wurde.

Einerseits stelle die Fürbitte einen großen Fortschritt dar, weil „öffentlich in einer zentralen Feier des Kirchenjahres ausgesprochen wird, was jahrzehntelang verschwiegen worden war“. Andererseits hält der Liturgieforscher die Formulierungen des Gebets für wenig leid-sensibel.

 

Was das Buchg leistet - und was fehlt

 

Das Buch „Macht. Ohnmacht. Missbrauch“ gibt einen wertvollen Überblick über die wissenschaftliche Auseinandersetzung zu den systemischen Ursachen von Missbrauch und Macht in der katholischen Kirche. Schade ist, dass sich die Debatte bislang meist auf die Disziplin der Theologie verengt. Zwar enthält der Aufsatzband wenigstens einen Beitrag aus dem Bereich der Psychologie. Weitere nicht-theologische Perspektiven wären für die Debatte aber sicherlich bereichernd.

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