Islamismus-Experte über die Faszination Salafismus

Mansour: „Eine Ideologie gibt jungen Muslimen Halt“

Was reizt junge muslimische Männer in Europa am Salafismus? Wie radikalisieren sie sich? Was können Eltern, Lehrer, Sozialarbeiter und Verbände dagegen tun? Das haben wir Ahmad Mansour gefragt.

Anzeige

Ahmad Mansour stammt aus einem arabischen Dorf in Irael, er ist Psychologe, Autor und einer der renommiertesten Islamismus-Experten in Deutschland. Er engagiert sich für Projekte, die Extremismus bekämpfen und Toleranz fördern.

Die Zahl islamistischer Anschläge häuft sich. Warum sind so viele junge Muslime, die hier aufgewachsen sind, empfänglich für die Propaganda der Islamisten?

Sie sind empfänglich für eine Ideologie, die ihnen Orientierung und Halt gibt und das Gefühl, zu einer Elite zu gehören. Weil sie dadurch eine Aufgabe und Mission bekommen. Der Salafismus oder Wahhabismus befreit sie von psychologischen Lasten und Zerrissenheiten, die etliche Migranten nun einmal haben. Die Ideologie ist attraktiv für junge Menschen, die auf der Suche sind, die nicht angekommen sind, die unglücklich sind. Salafisten sind gerade in Europa so erfolgreich, weil hier in etlichen Moscheevereinen noch immer nur die erste Generation der Einwanderer, die sogenannten Gastarbeiter angesprochen werden. Da predigen die Imame auf türkisch und arabisch, beschäftigen sich mit Themen aus den Heimatländern. Viele Jugendliche finden sich und ihre Anliegen da nicht wieder. Dann kommen die Salafisten und besetzen genau diese Lücke, beschäftigen sich mit Jugendlichen, sprechen ihre Sprache, sind in allen Sozialen Netzwerken präsent.

Was steht am Anfang eines Radikalisierungs-Prozesses?

Die meisten dieser Jugendlichen sind bereits in ihren patriarchalischen Elternhäusern mit einem Islamverständnis aufgewachsen, das die Basis für die Radikalisierung gelegt hat: klare Feind- und Opferrollen, Abwertung von anderen Lebensformen, ein Verständnis der eigenen Religion als unantastbares Tabu, das man aggressiv verteidigen muss. Ein Buchstabenglaube, der die Texte des Korans nicht im historischen und lokalen Kontext begreift, sondern wortwörtlich. Viele Migranten wurden auch mit der Angst vor einem patriarchalischen Gott groß, der Vergehen mit Hölle bestraft. Wenn dann noch Abwertungen von außen und Diskriminierungserfahrungen dazukommen, ist es kein Wunder, dass sie irgendwann für radikale Islamisten ansprechbar werden.

Angesichts leerer Kirchen könnte man den Eindruck haben, das Christentum mit der Botschaft der Liebe sei uninteressant geworden, während die lebensverachtende Spielart des Islam Anklang findet. Warum ist das so?

Wie ich schon sagte: Der radikale Islamismus befriedigt etliche Grundbedürfnisse. Ein Religionsverständnis, das auf Liebe, Dialog, Toleranz und Barmherzigkeit beruht, ist für viele Jugendliche uninteressant, weil es nicht die Schärfe hat, die sie suchen. So etwas wie Rebellion, Abenteuer, das Gefühl zu einer Elite zu gehören, das Aufwerten von sich selbst, Gott spielen – und vor allem auch die Kontrolle des eigenen Körpers, der unruhigen Seele.

Sie dürfen nicht vergessen, dass viele dieser Jugendliche in einer Umgebung aufgewachsen sind, in der Sexualität total verpönt ist. Viele durften Frauen nicht einmal anschauen. Mit dem geschlossenen Weltbild der Salafisten bekommen sie nun auf einmal das Gefühl, sie könnten wieder „Herr ihrer selbst“ werden, das Böse, den Teufel in sich besiegen. Viele dieser Jugendlichen suchen auch nach starken Vaterfiguren.

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreiben Sie, Salafisten machten die bessere Sozialarbeit. Was können Eltern, Lehrer, Sozialarbeiter, Verbände besser machen?

Zunächst einmal müssen die zugrunde liegenden Probleme solcher Radikalisierungen klar benannt werden. Um die Ideologie zu bekämpfen, brauchen wir dann vor allem Präventionsarbeit, die bisher oft eher noch stiefmütterlich betrieben wird. Lehrer, die in der Lage sind, die Jugendlichen zu verstehen. Schulen, in denen kritisches Denken gefördert wird, in denen auf die verschiedenen Biografien eingegangen wird und wieder mehr über aktuelle politische Themen gesprochen wird. Wir brauchen Sozialarbeiter, die aktiv im Internet unterwegs sind. Die da sind, wo sich Jugendliche bewegen. Und wir brauchen die muslimischen Verbände, die einen Glauben präsentieren, der solche radikalen Auslegungen nicht mehr begünstigt. Wir brauchen Verbände, die ihren Mittelpunkt in Deutschland haben, nicht solche, die säkulare Muslime bekämpfen oder eine Angstpädagogik betreiben. Und wir brauchen eine Politik und auch Kirchen, die in der Lage sind zu erkennen: Wer ist Partner bei der Bekämpfung von Extremismus – und wer ist Teil des Problems?