Themenwoche „Was ist uns heilig?“ (5) - aus Uedem

Maria-Helene Wiggenhorn ist die Pilgerfahrt nach Südfrankreich „heilig“

  • Mehr als 20 Mal besuchte Maria-Helene Wiggenhorn aus Uedem Lourdes.
  • Auch mit 84 Jahren lässt ihre Begeisterung für den französischen Marienwallfahrtsorts nicht nach.
  • Die Fahrten dorthin sind ihr „heilig“ geworden.

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Auf der antiken Eichenbank im Gasthaus des Hotels Haus Nachtigall bei Uedem stapeln sich Ordner, Foto-Alben und Akten. Maria-Helene Wiggenhorn hat alles zusammengetragen, was sie mit ihren Lourdes-Reisen verbindet. Das ist nicht wenig: Mehr als 20 Mal war sie in dem südfranzösischen Marienwallfahrtsort. Da ist einiges an Material zusammengekommen. Und viele Erinnerungen.

„1969!“ Wiggenhorn muss nicht lange überlegen. „Mit meiner gehbehinderten Tante Miken.“ Ein Griff und sie zaubert ein paar Fotos und Dokumente aus den Stapeln. Ein genauer Ablaufplan der Reise, noch auf Matrize vervielfältigt, ist dabei: „5.05 Uhr Bus-Abfahrt in Kellen, Neue Kirche“ steht in der Liste. „Unser Startpunkt.“ Auch zur Wagenfolge des Zuges aus Oberhausen nach Lourdes hat sie noch einen Zettel. „An die Nummer unseres Wagens kann ich mich nicht mehr erinnern“, sagt sie. „Aber, hier, der Wagen fünf war es nicht – das war der Kapellenwagen.“ Zum Beweis präsentiert sie ein Foto: „Mit Altar, Marienfigur und Blumen.“

Erste große Auslandsreise nach Lourdes

Weder die Fotos noch die Erinnerungen an diese erste Fahrt sind verblasst. Wiggenhorn muss fast gebremst werden, wenn sie davon berichtet – so dicht und intensiv waren die Erlebnisse. Von dem Klappstuhl auf dem Gang im Zug erzählt sie. „Ich habe dort gesessen, damit meine Tante im Abteil die Füße ausstrecken konnte.“ Vom Zwischenstopp in Paris: „Ich habe Tante Miken dort aus der Metro gezogen, kurz bevor die Tür zuschlug.“ Und natürlich von den vielen Eindrücken in Lourdes selbst: „Es hat die ganze Zeit geregnet, das Wasser stand uns in den Schuhen.“

Es gab viel, was sie damals „gepackt“ habe, sagt Wiggenhorn. „Die ganze Atmosphäre, die Menschen, die Fürsorge, die Frömmigkeit.“ Das französische Flair tat sein Übriges. Es war ihre erste große Auslandsreise, mit 30 Jahren. Raus aus dem Familienbetrieb mit Hotel und Bus-Unternehmen am Niederrhein, rein in die weite Welt. Sie kam begeistert zurück.

Drei Jahrzehnte Pause

Diese Begeisterung musste sie aber erst einmal zügeln. Und das lange: Drei Jahrzehnte ging es nicht wieder nach Lourdes. „Familie und Arbeit gingen vor.“ Das änderte sich erst im Jahr 2004. Da war sie bereits 64 Jahre alt. „Meine Patentante starb – sie war immer nach Lourdes gereist.“ Der Anlass, diese regelmäßigen Reisen zu übernehmen, lag für Wiggenhorn damals auf der Hand: „Es musste ja jemand anderes dorthin fahren, um der Gottesmutter zu danken.“

Ab jenem Jahr nahm ihre Lourdes-Beziehung richtig Fahrt auf. Sie fuhr regelmäßig, nur 2007 pausierte sie noch einmal. „Mein Mann und meine Tochter pilgerten dorthin und ich wollte den Betrieb nicht allein lassen.“ Sie sagt, dass sie auf der Pilgerfahrt keine Ruhe gehabt hätte. „Und die braucht man in Lourdes – mit den Gedanken daheim hat man nichts davon.“

Lourdes bleibt unerreicht

Wagenfolge des Pilgerzugs im Jahr 1969 – in Waggon Nummer fünf war eine Kapelle eingerichtet.
Wagenfolge des Pilgerzugs im Jahr 1969 – in Waggon Nummer fünf war eine Kapelle eingerichtet. | Foto: Michael Bönte

Sie hat seither viele Reisen zu vielen anderen Orten gemacht. Meist mit der Diözesanpilgerstelle Emmaus-Reisen, „weil Organisation, Gemeinschaft und Atmosphäre dort immer so wunderbar sind“. Rom war ein Ziel, Fatima ein anderes. Auch in Santiago de Compostela und im Heiligen Land war sie schon. Aber an Lourdes kam das alles nicht heran. „Das ist etwas anderes, das ist noch intensiver“, sagt Wiggenhorn.

„Ich sehe dort einen anderen Himmel als sonst.“ Sie legt das Album zur Seite und zeigt nach oben. „Da ist man dem da oben sehr nah.“ Gerade beim Blick zur Mariengrotte spürt sie das immer intensiv. Sie steht dafür oft schon um fünf Uhr auf, um dort in der Dämmerung allein Platz zu nehmen. „Es wächst ein Vertrauen, eine Zuversicht, Mut.“

Keine Show, tiefer Glauben

Nicht nur bei ihr. Die anderen Menschen stärken sie in diesen Gefühlen. Die Alten, Kranken, Menschen mit Behinderung und ihre Begleiter vor der Grotte, stundenlang, bei jedem Wetter, im Gebet vertieft: „Das macht keiner für die Show, da ist tiefer Glaube zu spüren.“ Einmal sah sie einen jungen Mann auf den Knien, die Treppen zum großen Kreuzweg hinaufkriechen. „Das tut niemand, um sich darzustellen oder herauszuheben.“

Und genau das sind die eigentlichen Wunder, denen sie in Lourdes begegnet, sagt Wiggenhorn. „Nicht die großen, spektakulären, sondern die kleinen, am Rande.“ Sie erlebt in dem Wallfahrtsort eine Kraft, die „Großes im Kleinen“ ermöglicht. „Wenn Sorgen und Nöte gemeinsam ausgehalten werden – dann ist das schon ein ganz beachtliches Wunder.“

Kraft für den Alltag

Auch sie nimmt diese Kraft jedes Mal mit nach Hause. „Ich kann sie ja genauso gut gebrauchen.“ Ihr ist jetzt anzusehen, was sie meint. Ein paar Tränen rollen. „Ich habe hier im Haus an einigen Sterbebetten gesessen und letzte Atemzüge erlebt.“ Auch die von ihren Eltern. Lourdes hat ihr dabei Halt gegeben. Auch für andere Herausforderungen im Alltag. Sie ist in der ambulanten Hospizbewegung aktiv, sitzt auch dort an Sterbebetten und erlebt letzte Atemzüge. „Mit dem Vertrauen, der Zuversicht und dem Mut aus Lourdes.“

Das ist der Grund, warum der jährliche Weg dorthin für sie „heilig“ ist. Und schon gar nicht langweilig wird. Dafür sorgen die immer neuen Erlebnisse, nicht nur die tief beeindruckenden, auch die lustigen Anekdoten. „Mein Koffer ist mal nicht in den richtigen Reisebus zum Flughafen gekommen.“ Erst nach vielen Wochen kam er zu ihr nach Hause. „Aus Italien – der hatte sicher einiges erlebt.“

Ein Profi in Sachen Lourdes

Wiggenhorn beunruhigt so etwas nicht mehr. Zu gut sind die Erfahrungen, dass am Ende alles irgendwie funktioniert. „Das ist eben Lourdes.“ Wenn das jemand wissen muss, dann sie. Sie fährt mittlerweile als „Profi“ dorthin, kennt jeden Ort, alle Angebote und viele Menschen. „Bevor ich zur Beichte gehe, schaue ich ganz genau, welcher Geistliche dort gerade sitzt – ich habe da meine Favoriten.“ Und sie weiß genau, wie lang die Schlange vor der Bäder-Abteilung sein darf, damit das Anstellen sich lohnt.

Es hat sich vieles verändert, seit ihrer ersten Wallfahrt 1969. Die lange Reise per Zug ist dem Flug nach Südfrankreich gewichen. „Und der ganze Ort ist viel moderner geworden“, sagt sie. „Gerade baulich hat sich einiges verändert.“ Nicht alles zum Guten, findet Wiggenhorn. „Weil es von der ursprünglichen, mir lieb gewordenen Kulisse etwas genommen hat.“ Ein Detail ist ihr aber sofort positiv aufgefallen, als sie 2004 nach der langen Pause das erste Mal wieder vor der Grotte stand: Die vielen Sträucher davor waren gerodet, der „Blick auf Maria“ war frei. „Das war wunderbar, weil ich bei meinem ersten Besuch echte Angst hatte, durch das düstere Gestrüpp zu gehen.“

Unvergleichbares Gefühl

Das alles ist ihr persönliches Lourdes-Gefühl. Ihr eigenes, mit keinem vergleichbaren, von dem sie auf der Eichenholzbank so viel erzählen kann. „Das versteht nur einer, der selbst mal da war.“

Auch sie wurde schon einmal gefragt, was sie mit dem „ganzen Hokuspokus“ dort überhaupt anfangen könne. „Fahr hin, erlebe den Ort und die Menschen“, war Wiggenhorns Antwort. „Dann weißt du, was mir heilig geworden ist.“

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