Wenn die Generationen weit entfernt wohnen

Marie und Heinrich Hemker hatten über viele Jahre „Leih-Enkel“

Nicht immer wohnen Großeltern und Enkelkinder so nah beieinander, dass sie sich regelmäßig sehen können. So war es auch bei Maria und Heinrich Hemker aus Harsewinkel. Aber das kinderfreundliche Ehepaar wusste einen Ausweg. Der lautete: „Leih-Enkel"!

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Nicht immer wohnen Großeltern und Enkelkinder so nah beieinander, dass sie sich regelmäßig sehen können. So war es auch bei Maria und Heinrich Hemker aus Harsewinkel. Aber das kinderfreundliche Ehepaar wusste einen Ausweg. Der lautete: „Leih-Enkel"!

Die nächsten Enkel von Maria und Heinrich Hemker (beide 89) leben 300 Kilometer weit weg in Hamburg, andere in Elmshorn und Saarbrücken. Regelmäßige Besuche sind bei solchen Entfernungen nicht möglich.

Auf einem Pfarrfest vor etwa 20 Jahren scherzte das Ehepaar, dass es sich ja „Leih-Enkel“ vermitteln lassen könnte. „Wir hatten davon aus Hamburg gehört. Aber das haben wir doch nur aus Spaß gesagt“, sagt Maria Hemker.

Eine junge Familie, deren Großeltern ebenso weit weg wohnten, bekam das mit, und sie kamen ins Gespräch. „Nach ein paar Tagen fragten sie uns, ob wir wirklich bereit dazu wären. Natürlich waren wir das. Wenige Tage später kamen sie dann alle zu uns. Da konnte der Jüngste gerade mal laufen“, erklärt Maria Hemker und muss lachen.

 

Keine Langeweile

 

Drei Kinder waren es anfangs, die die Eltern vorbeibrachten. Das Mädchen, die Älteste, war vier Jahre und die beiden Jungs drei und ein Jahr alt: „Eigentlich nannten uns alle Kinder aus der Nachbarschaft immer Tante und Onkel Hemker. Allerdings hatte die Mutter ihren Kindern schon gesagt, dass es jetzt zu Oma und Opa Hemker geht. ‚Völlig in Ordnung‘, sagte ich, und von da an waren wir Opa und Oma Hemker.“

Großeltern spielen im Leben eine große Rolle. | Foto: Rita Köhler (pixelio.de)
Großeltern spielen im Leben eine große Rolle. | Foto: Rita Köhler (pixelio.de)

Einmal die Woche besuchten die „Leih-Enkel“ ihre neuen Großeltern. Langweilig wurde es dabei nie. Maria Hemker blättert in einem kleinen Fotoalbum aus den Jahren. Sichtlich war immer viel los. Entweder verkleideten sich die Kinder, spielten im Garten oder die Jungs beobachteten auf der Mauer sitzend gespannt mit „Opa Hemker“, wie die Müllabfuhr die Behälter leerte.

Das Vertrauen sei sofort da gewesen, berichtet das Ehepaar. Und endlich war mal wieder was los in ihrem Haus: „Es war so, als wären sie schon immer da gewesen. Sie waren so friedlich, Streit gab es nie.“

Nach einiger Zeit bekam die Familie eine weitere Tochter. Selbstverständlich, dass auch sie mitkam. Besonders angetan war sie von Heinrich Hemker. Ihn habe sie gerne mit einer Bürste, Zopfgummis und Schleifen frisiert, erzählen die Hemkers und müssen lachen. „Einmal hat sie auf meinen Bauch gezeigt und gesagt: ‚Opa, da ist aber kein Baby drin.‘ Die Mutter war zu dem Zeitpunkt ja schwanger mit dem Jüngsten“, sagt Heinrich Hemker.

Streng habe das Ehepaar in all den Jahren nie sein müssen. Nur ein einziges Mal, erinnert sich Maria Hemker, musste sie lauter werden: „Der Jüngste hat den Hocker in der Küche immer wieder hingeschmissen. Als ich sagte, dass er das bitte lassen soll, weil er sonst kaputt gehen würde, sagte er nur: ‚Dann musst du einen neuen kaufen.‘ Da wurde ich das einzige Mal etwas lauter, und er hörte direkt auf. Er sagte: ‚Aber Oma, du bist trotzdem lieb.‘“ Sie muss erneut laut lachen.

Kinder mochten die 89-Jährigen schon immer. Maria Hemker passte als Jugendliche an Heiligabend immer auf alle Nachbarskinder auf, damit die Eltern in Ruhe das Fest vorbereiten konnten: „Als ich dann gesehen habe, dass mein Mann so gut mit Kindern umgehen konnte, wusste ich: Er ist der Richtige. Wir sind jetzt seit 63 Jahren verheiratet.“ – „62!“, berichtigt Heinrich Hemker seine Frau. Beide lachen. „Ja, gut, aber seit 63 Jahren sind wir verlobt.“

Ursprünglich kommt Heinrich Hemker aus Ahaus, seine Frau aus Neuenkirchen bei Oldenburg. 1957 zogen sie nach Harsewinkel, da Diplom-Ingenieur Heinrich Hemker dort seine Stelle bei einem Landmaschinenkonzern antrat.

Maria Hemker ist ausgebildete Hauswirtschaftlerin und war Hausfrau: „Bei sechs Kindern gab es genug zu tun. Heutzutage glaubt das keiner, aber Hausfrauen haben trotzdem immer ein Stück Freiheit.“

Ein Interview mit Eva Polednitschek-Kowallick zu diesem Thema ist in der akutellen Ausgabe von Kirche+Leben zu lesen. Polednitschek-Kowallick ist Leiterin des Referats Ehe- und Familienseelsorge im Bischöflichen Generalvikariat. Ein Einzelexemplar der Bistumszeitung können Sie hier bestellen.

In ihrem Haus mit dem großen Garten war immer viel los: „Die Kinder haben ihre Freunde mitgebracht, und alle tobten hier gemeinsam. Noch heute werden wir oft von mittlerweile erwachsenen Leuten angesprochen, und sie schwärmen davon, wie schön es immer bei uns war.“

In Harsewinkel baute das Ehepaar die St.-Paulus-Kirche mit auf. Heinrich Hemker engagierte sich im Pfarrgemeinderat, seine Frau in der KFD. Mit anderen Frauen verbrachte sie viel Zeit mit Handarbeiten und veranstaltete Basare. Noch heute gilt: Braucht jemand aus der Nachbarschaft Socken, bringt er ein wenig Wolle zu ihr, und sie strickt welche. Zudem sammelt sie seit vielen Jahren Kleidung für Bedürftige.

 

Kontakt bis heute

 

Manchmal haben fremde Kinder, die nicht ins Haus der Eltern gelangten, bei dem Ehepaar geklingelt. „Sie kamen aus schwierigen Verhältnissen und sagten uns, dass sie so großen Hunger hätten. Natürlich haben sie etwas bekommen.“

Vor einigen Jahren, als der Jüngste ihrer „Leih-Enkel“ in die Pubertät kam, haben die Familie und das Ehepaar die wöchentlichen Besuche mit einem Abschluss-Ausflug beendet. Doch die Beziehung zu den Kindern, die teilweise bereits erwachsen sind, bleibt weiterhin: In jedem Jahr kommen sie an Heiligabend vorbei. Gemeinsam verbringen sie schöne Stunden, spielen Karten und reden.

Groß sei auch die Freude, wenn sie sich zufällig auf der Straße begegnen: „Der Jüngste ist Messdiener. Wenn er uns auf dem Kirchplatz sieht, müssen selbst seine Freunde schnell zur Seite, und er umarmt uns.“

Für Kinder steht die Tür der Hemkers immer noch jederzeit offen: „Wir winken ihnen immer zu oder sie bekommen mal ein Bonbon. Es freut uns, Kinder um uns zu haben.“

Es klingelt an der Haustür. Ein kleines Mädchen betritt das Haus. An diesem Nachmittag hat das Ehepaar die Nachbarschaft samt Kindern zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Die Spiel-Ecke nebenan ist immer bereit.

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