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Nein, sie überraschen nicht mehr wirklich, die neuen Kirchenaustrittszahlen. Aber wer jetzt ernsthaft meint, durchatmen zu können, hat offenbar nichts verstanden, sagt Chefredakteur Markus Nolte in seinem Kommentar.
Angesichts von mehr als 400.000 Kirchenaustritten von einer „Verschnaufpause“ zu sprechen, wie ausgerechnet aus dem Erzbistum Köln zu hören war – man weiß nicht, ob man es Galgenhumor oder Realitätsverlust nennen soll. Immerhin, sagte Generalvikar Guido Assmann im „Domradio“, gebe es „die positive Entwicklung, dass die Zahl der Austritte im Vergleich zum Zeitraum davor kleiner geworden ist“. – What?!
Richtig ist: Der Spitzenwert von 2022, als über eine halbe Million Katholikinnen und Katholiken ihrer Kirche den Rücken kehrten, wurde 2023 nicht erreicht – aber es gibt nunmal keine kleinen Katastrophen.
Zwei Erzbistümer könnten dicht machen
Katastrophe ist Katastrophe, und per definitionem immer groß: Zwei Millionen Mitglieder hat die katholische Kirche in Deutschland in den letzten fünf Jahren verloren, nahezu die Hälfte davon 2022 und 2023. Zwei Millionen Menschen – das sind so viele wie die Einwohner von Köln, Düsseldorf und Münster zusammen.
Oder so: Das komplette Erzbistum Köln könnte dicht machen, das Hauptstadterzbistum Berlin gleich mit. Das wäre eine recht ausgiebige Verschnaufpause, zumal in Köln weiterhin die meisten Austrittszahlen zu verzeichnen sind – mit 40.000 nämlich 10.000 mehr als im zweitgrößten Bistum Münster.
Katholisches Paradox: fromme Arroganz
Es dürften also ganz offenbar nicht nur Entfremdungs- und Säkularisierungsprozesse dafür verantwortlich sein, sondern maßgeblich das Gebaren örtlicher Kirchenführer, nicht zuletzt eine flächendeckende Reformverweigerung, die bei nicht wenigen als ein typisch katholisches Paradoxon ankommt: fromme Arroganz.
Nein, es geht nicht, wie aus diesen Kreisen gern gesagt, um Reformen der Reformen wegen. Auf dem Spiel steht weiterhin und immer mehr die Glaubwürdigkeit der Kirche als Künderin und Zeugin einer zum Leben befreienden Botschaft.
Rückenwind für Reformen
Das kann logisch so lange nicht gelingen, wie sie Menschen ausgrenzt, ihren eigenen Umgang mit Macht nicht klärt. Wer da von Dienst und Liebe spricht, tut nicht die Wahrheit. Menschen merken das und gehen, so schmerzlich wie folgerichtig.
Die neuen Zahlen mögen manche verschnaufen lassen. Sie müssen umso mehr denen Rückenwind geben, die sich für eine menschenfreundliche und damit gottgefällige Kirche einsetzen – und dafür viel einstecken.