Interview mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz

Marx zu Synodalem Weg: Wir brauchen Gespräch, Gespräch, Gespräch

Kardinal Reinhard Marx ist einer von zwei Präsidenten des Synodalen Wegs, dessen erste Versammlung am Donnerstag beginnt. Im Interview spricht er über Erwartungen, Verbindlichkeit – und den Vorwurf der Kirchenspaltung.

 

Anzeige

Kardinal Reinhard Marx ist neben ZdK-Präsident Thomas Sternberg Präsident des Synodalen Wegs, dessen erste Synodalversammlung am Donnerstag in Frankfurt beginnt. Im Interview für die deutschen Bistumszeitungen spricht über Erwartungen, verbindliche Beschlüsse – und über den Vorwurf der Kirchenspaltung.

Herr Kardinal, was darf man realisitisch vom Synodalen Weg erwarten?

Dass sich Priester, Bischöfe und Laien gemeinsam Gedanken machen, wie wir in dieser schweren Umbruchzeit und Krise in die Zukunft gehen. Wir wollen die Kirche nicht neu erfinden. Aber wir haben das Notwendige und Mögliche zu erkennen und dann zu tun. Wir können nicht ausweichen und die Situation schönreden.

Was erhoffen Sie sich von den vier einzelnen Themenforen?

Der Ausgangspunkt war die Diskussion um die Missbrauchskrise. Das wird immer schnell vergessen, weil man meint, die Krise sei vorüber. Nein, wir haben uns den Ursachen und Konsequenzen noch nicht ausreichend gestellt. Die Themen des Synodalen Wegs sind aus der Studie über den Missbrauch erwachsen. Es ist auffällig, dass die Wissenschaftler dieselben Fragen aufwerfen, die schon seit längerem in der Kirche diskutiert werden.

Was erwarten Sie konkret im Themenfeld Macht und Gewaltenteilung?

Auch wenn wir in der Kirche in Deutschland eine längere Tradition der Mitverantwortung haben, ist mehr nötig. Macht muss geteilt und kontrolliert werden. Wir müssen sagen können, wir sind in den Entscheidungen transparent, wir haben klare Verantwortlichkeiten, es gibt eine Kontrolle der Macht, etwa durch Verwaltungsgerichtsbarkeit und Nachprüfbarkeit von Entscheidungen. Das ist alles im Ansatz im jetzigen Recht da. Aber da ist noch nicht das erreicht, was man erreichen müsste. Darüber sollte man reden.

Worum sollte es bei der Diskussion über die Sexualmoral gehen?

Dass ein Mann und eine Frau wünschen, eine lebenslange Beziehung zu haben, sich für immer zum anderen zu bekennen und das auch in der sexuellen Liebe auszudrücken, ist doch für die meisten Menschen ein richtiges Ideal. Es ist also gar nicht so abwegig, was die Kirche zur Sexualität sagt. Aber wie gehen wir mit Scheitern und Suchbewegungen um? Wie gehen wir mit veränderten sozialen und kulturellen Voraussetzungen um? Sexualität ist etwas Gutes, ein großes Geschenk Gottes. Das sollten wir sagen. Lange Zeit haben wir den Zeigefinger gehoben und gemeint, Sexualität sei eigentlich etwas Gefährliches und Schlechtes.

Was wollen Sie bei der priesterlichen Existenz und Lebensform thematisieren?

Wir können die katholische Kirche nicht verstehen ohne die Gestalt des Priesters und damit der heiligen Eucharistie. Manche meinen ja gleich, wenn man über das Thema spricht, soll diese zentrale Rolle relativiert werden. Nein. Der katholische Priester ist ein Erkennungsmerkmal, ist Teil des Profils der katholischen Kirche. Aber was bedeutet das? Ich hoffe auf ein Klima, in dem man offen überlegen kann, was wir gemeinsam tun können, damit die Gestalt des Priesters wieder neu leuchtet, die durch die Missbrauchstäter so beschädigt wurde.

Es geht aber auch um die priesterliche Ehelosigkeit.

Ja, diese Lebensform ist eine besondere Herausforderung. Der Zölibat ist aber – denke ich – nicht so gedacht, dass Priester alleine in großen Pfarrhäusern leben und sich aus dem Kühlschrank versorgen. Man muss diese Lebensform einbetten in ein soziales Miteinander, eine Lebenskultur entwickeln. Es geht um eine ganzheitliche Berufung, nicht nur um einen Verzicht auf Sexualität. Diese Berufung geht nicht nur die Priester an, sondern das ganze Volk Gottes. Das kann dieser Themenbereich voranbringen. Es wäre sehr traurig, wenn es nur darum ginge, wann wir den Zölibat abschaffen. Ich will ihn jedenfalls nicht abschaffen! Aber schon bei der Amazonas-Synode haben wir diskutiert, ob man über Ausnahmen vom Zölibat neue Wege zum priesterlichen Dienst eröffnen kann.

Was erhoffen Sie sich in dem Forum, in dem es um die Rolle der Frau geht?

Kardinal Reinhard Marx
wurde 1953 in Geseke (Kreis Soest) geboren. Nach seinem Theologiestudium in Paderborn und Paris empfing er 1979 in Paderborn die Priesterweihe. 1996 wurde er Weihbischof in Paderborn, 2002 als Bischof von Trier eingeführt. 2007  ernannte ihn Papst Benedikt XVI. zum Erzbischof von München und Freising, 2010 zum Kardinal. Seit 2013 gehört er zum Kardinalsrat, dem engsten Beratergremium von Papst Franziskus. 2014 wurde er in Münster zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt. | mn

Unabhängig von der Frage nach der Zulassung zu den Weiheämtern ist die Beteiligung von Frauen in verantwortlichen Positionen in der Kirche absolut notwendig. Das gilt bis in die Bischofskonferenz, in die Synoden hinein. Ich kann mir in Zukunft nicht vorstellen, dass bei einer Synode 200 Männer zusammensitzen und alleine über die Kirche beraten. Das ist nicht gut. Warum soll nicht am Ende des Synodalen Weges ein Vorschlag stehen, dass Synoden auf Weltebene oder auch auf nationaler Ebene die Laien und besonders die Frauen stärker berücksichtigen, nicht nur als Berater, sondern auch mit einer Stimme?

Gilt das auch für die Bischofskonferenz?

Wollen wir in Zukunft Bischofskonferenzen, wo nie Frauen oder überhaupt Laien präsent sind? Wir wollen nicht im geschlossenen Kreis über die Zukunft der Kirche reden. Ich kann mir eine Kirche der Zukunft ohne eine wirkliche Mitverantwortung von Frauen und Männern in den Entscheidungen nicht vorstellen.

Zunächst war von einem „verbindlichen synodalen Weg“ die Rede. Diese Verbindlichkeit war ein Streitpunkt zwischen Rom und Deutschland. Über die Umsetzung der Beschlüsse entscheidet jetzt jeder Bischof selbst. Damit kann man nicht mehr von „verbindlich“ sprechen.

Verbindlich bedeutet, dass wir abstimmen und Beschlüsse fassen. Natürlich muss jeder Bischof entscheiden, ob und wie er diese umsetzt. Die Satzung sieht vor, dass jedem Beschluss jeweils zwei Drittel der Bischöfe zustimmen müssen. Das war für einige etwa im Zentralkomitee der deutschen Katholiken durchaus schmerzhaft. Aber die besondere Verantwortung der Bischöfe wird selbstverständlich gesehen. Wir sind katholisch! Der Synodale Weg soll nicht im Nirgendwo enden, sondern am Ende möglichst klare Ergebnisse oder Voten haben. Und wenn zwei Drittel der Bischöfe Dingen zustimmen, die bei uns in Deutschland geregelt werden können, werden diese das dann wohl auch umsetzen.

Kritiker halten den Synodalen Weg für Selbstbeschäftigung. Was entgegnen Sie ihnen?

Wir fragen uns, was wir als Kirche heute tun können, um glaubwürdig die Botschaft Christi verkünden zu können. Unsere Glaubwürdigkeit ist erheblich durch uns selber beschädigt worden und nicht durch irgendwelche bösen Feinde von außen. Wir sind selber oft ein Hindernis. Das muss man doch angehen! Deswegen ist es eine Selbstbeschäftigung im Sinn einer Selbstkritik. Und die ist der Ausgangspunkt jeder  Umkehr. Und das ist doch ein geistlicher Weg!

Manche befürchten eine Spaltung der Kirche, eine Loslösung von Rom.

Zunächst: Rom ist nicht die Weltkirche. Die eine universale Kirche besteht in und aus Teilkirchen. Das Fundament der Einheit ist der Papst. Daran darf nicht gerüttelt werden. Um die unterschiedlichen Stimmen zusammenzubringen, brauchen wir Gespräch, Gespräch, Gespräch, und zwar in der ganzen Kirche. Und am Ende die Entscheidung durch den Papst oder die eines Konzils. Wir wollen keine Kirche ohne den Papst. Ich bin verärgert, wenn man uns das als Kirche in Deutschland vorwirft.

Es heißt immer wieder, die Themen des Synodalen Wegs würden nur in Deutschland diskutiert. Ist das so?

Manche reden von Weltkirche, meinen aber nur die Bischöfe. Der Leib Christi besteht aber nicht nur aus Geweihten, sondern aus allen Getauften. Ich kann nicht beurteilen, in welchen Ländern welches Thema diskutiert wird. Aber nehmen wir das Frauenthema. Glaubt irgendjemand, dass das ein Thema ist, das nur auf Deutschland und Europa bezogen ist? Diese Bewegung der stärkeren Verantwortung der Frauen geht in allen Kulturen weiter. Das ist nur eine Frage der Zeit. In meinen Gesprächen überall in der Welt spüre ich das, und auch bei den Synoden in Rom wird das deutlich.

Zur Priesterweihe der Frau gibt es eine ablehnende Stellungnahme von Papst Johannes Paul II., anders beim Diakonat der Frau. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Die Frage ist nicht geklärt. Es ist eine offene Frage, die auch auf der Amazonas-Synode stark angesprochen wurde. Dann sollten wir bitte auch darüber sprechen, das Thema vorantreiben und die Argumente austauschen. Diese Diskussion kann der Synodale Weg durchaus weiterführen. Er kann sie aber nicht entscheiden, das ist klar.

In seinem Brief an die Gläubigen in Deutschland vom Juni 2019 schreibt Papst Franziskus, über allen Überlegungen müsse die Evangelisierung stehen. Warum scheint die Glaubensweitergabe immer schwieriger zu werden?

Hinter Ihrer These steht das Bild: Früher war es besser, wir sind schlechter als die Vorfahren. Das ist so nicht richtig. In der Generation meiner Eltern wurde niemals die Frage gestellt, ob ich Christ bin oder nicht. Auch heute empfinden sich selbst die, die aus der Kirche austreten, oft als Christen, brauchen aber die Kirche nicht. Wir stehen in einer neuen Zeit. Wir müssen neu sagen, was es heißt, an Jesus Christus, den Erlöser, zu glauben und dann unser Leben danach ausrichten. Wir wollen, dass der andere Mensch glücklich wird, dass er das Heil findet. Wir wollen ihn nicht zu etwas überreden, das er im Innern gar nicht will. Eins ist klar: Das wird nicht mehr in der Art und Weise der Vergangenheit gehen.

Gottesdienst und Verkündigung sind heute oft weit weg vom Leben der Menschen. Was antworten Sie Menschen auf die Frage, was der Glaube an Gott mit ihrem Leben zu tun hat?

Ich wäre schon froh, wenn sich die Menschen überhaupt eine solche Frage stellen. Die Gottesdienste am Sonntag, aber auch zu Taufen und Firmungen, zu Beerdigungen sind wichtig. Sie sind der erste Ort der Verkündigung auch für die, die den Kontakt zum Glauben nicht so haben. Es ärgert mich, wenn diese Orte vernachlässigt werden, wenn sie nicht sorgfältig vorbereitet sind, es musikalisch nicht stimmt, die Ministranten nicht geübt haben und die Lektoren den Text nicht lesen können. Wir sollten nicht nur über Evangelisierung reden, sondern da anfangen. Die Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen, müssen – menschlich gesprochen – von der Qualität her „top“ sein. Da ist noch viel Luft nach oben.

Wie sieht die Zukunft der Kirche in Deutschland in 20, 30 Jahren aus?

Auch in 30 Jahren wird es in unserem Land überzeugende Orte der Verkündigung des Evangeliums geben. Die Botschaft und Person Jesu ist einfach stark. Es wird weiter lebendige Gemeinden geben. Aber eben nicht an jedem Ort. Nicht jede Pfarrei, die es jetzt gibt, wird so bleiben können. Früher haben wir gesagt: „Wenn du nicht zur Kirche gehst, kommst du in die Hölle.“ Das hat nur die Hälfte geglaubt – aber die ist gekommen. Das geht heute nicht mehr. Es ist eine Illusion zu glauben, es würde wieder wie früher. Schauen wir also nicht immer zurück, sondern nach vorn: Christus kommt von vorn auf uns zu.

Das Interview führten für die Bistumszeitungen in Deutschland Susanne Hornberger (Chefredakteurin Münchner Kirchenzeitung) und Ulrich Waschki (Chefredakteur Verlagsgruppe Bistumspresse, Osnabrück).

Anzeige