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Grenzkontrollen, Abschiebungen – Rufe nach schärferen Regelungen für Migration werden lauter. Im Kirche+Leben-Interview sagt Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst, warum das kein Problem löst und wo oft genannte Sichtweisen irren.
Herr Keßler, angesichts der aktuellen Debatte und mehrerer Gewalttaten in Deutschland: Ist die offene Grundhaltung des Christentums für Geflüchtete nicht zunehmend naiv?
Zunächst: Die Vermischung von Terrorismus und Straftaten mit dem Thema Migration ist ein hoch gefährliches Problem der Debatte. Dass die öffentliche Sicherheit nach Taten wie in Solingen und Mannheim bewahrt werden muss, steht außer Frage. Die Taten haben aber mit Flucht nichts zu tun. Das waren Straftäter. Flucht und Zuwanderung sind nicht der Grund der Tat. Ich wehre mich dagegen, dass Menschen, die bei uns Schutz vor Verfolgung, Krieg und Gewalt suchen, pauschal mit Straftätern in einen Topf geworfen werden.
Dennoch nochmals: Ist eine solidarische Haltung gegenüber Geflüchteten und Migranten naiv?
Nein. Es gehört zu den Grundwerten unserer Gesellschaft, Menschen Schutz zu bieten, die auf ihn angewiesen sind.
Der Debatten-Mainstream ruft aber nach Abweisen und Abschieben. Was sagen Sie?
Im Streit der politischen Parteien und in der veröffentlichten Meinung entsteht dieser Eindruck. Wir bekommen aber sehr viel Zuspruch für unsere Arbeit. Eine Online-Petition zum Kirchenasyl der Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“, die wir unterstützen, hat bereits mehr als 50.000 Unterschriften erreicht. Viele Menschen, die sich nach wie vor in der Arbeit mit Geflüchteten engagieren, kommen in der Debatte kaum vor, melden sich nicht zu Wort.
Sie haben den Parteien-Streit angesprochen. Sind die Politiker nur noch im Wahlkampf-Modus?
Die schrille Diskussion hat sicher auch mit aktuellen Wahlkämpfen zu tun. Die Debatte um die Aufnahme von Schutzsuchenden wird nur noch aus populistisch-parteipolitischen Motiven geführt, nicht mehr um der Sache willen. Man meint, das Anliegen einer Mehrheit zu bedienen, wenn man nur kräftig genug auf Asylsuchende, Geflüchtete und Migranten einschlägt. Ich denke nicht, dass das stimmt. Aber auch mit den geplanten Verschärfungen beim Thema Migration wird kein einziges konkretes Problem gelöst.
Warum nicht?