„Was geht?! Von Festen und Feiern im Nordwesten“ im Museumsdorf Cloppenburg

Minikleid, Schnaps und wilde Tänze: So feiert der Nordwesten

Gesundheitsminister Jens Spahn sieht für Karneval schwarz, und der Aufschrei ist groß. Kein Wunder: Feiern sind Menschen ungemein wichtig. Das zeigt auch eine neue Ausstellung im Museumsdorf Cloppenburg.

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„Man kann doch wohl mal für ein Jahr verzichten!“ So zeigen die einen Verständnis und meinen abgesagte Schützen- oder Volksfeste oder den Karneval. Für andere dagegen sind die Monate seit Beginn der Corona-Epidemie eine harte Prüfung. Sie leiden unter dem Verzicht.

Für Eike Lossin ist das kein Wunder. Der Kulturwissenschaftler am Museumsdorf Cloppenburg hat sich in den vergangenen Monaten intensiv mit dem Thema Feiern auseinandergesetzt. „Das Bedürfnis danach ist massiv vorhanden“, sagt er. „Wo sollen sie jetzt hin mit unserer Lust am Feiern?“

 

Party per Bildschirm ist nicht dasselbe

 

Es gebe zwar Alternativen: online, kleiner, abgespeckt. Zuprosten per Bildschirm. „Es ist aber nicht dasselbe! Was fehlt, ist zum Beispiel die körperliche Nähe“, sagt Eike Lossin. „Die ist vielen ganz, ganz wichtig: sich umarmen, um den Hals zu fallen, sich lachend auf die Schulter klopfen. Dieser essenzielle Punkt des Feierns ist komplett weggebrochen. Und das schmerzt viele Menschen.“

Was Feiern in normalen Zeiten bedeutet hat und immer noch bedeutet, das können Besucher des Museumsdorfs Cloppenburg derzeit in einer besonderen Ausstellung sehen und hören. Die Macher um den Leiter der Abteilung Sammlung und Dokumentation haben sie erstellt aus den Ergebnissen einer Online-Befragung und einem Aufruf an Menschen aus der Region: „Schickt uns historische oder aktuelle Fotos und Objekte von euren Festen.“

 

Ohne Alkohol geht scheinbar gar nichts

 

Eike Lossin
Eike Lossin ist Leiter der Abteilung Sammlung und Dokumentation des Museumsdorfs. Er hat die Ausstellung organisiert. | Foto: Michael Rottmann

„Was geht?! Von Festen und Feiern im Nordwesten“ lautete die Überschrift des Projekts, das Menschen zum Beispiel danach fragte, was für sie unbedingt zum Feiern dazu gehört. Platz 1 unter den meistgenannten Antworten: Alkohol. Erst auf Platz 2 folgte das Beisammensein mit Freunden und Familie. 

Eike Lossin: „Das ist eine deutliche Erkenntnis aus unserer Umfrage: In dieser Region, also in den Landkreisen Cloppenburg, Vechta und Oldenburg, spielt Alkohol eine sehr große Rolle. Und zwar zu einem großen Anteil harter Alkohol -  und das durch alle Generationen.“ Die Ausstellung spiegelt das wider mit der Vielzahl der Schnaps-, Branntwein  oder Likörflaschen, die in den Regalen ausgestellt sind.

 

Bilder-Collagen aus mehreren Jahrzehnten

 

Ein Schwarz-weiß-Foto im Eingangsbereich der Ausstellung stammt aus einem Jugendlager aus den 1950-er Jahren. Die abgebildeten Jugendlichen prosten mit Bierflaschen in die Kamera. Auf einem anderen Foto wird ein so genannter „Schachtelkranz“ aufgehängt, als Symbol für junge Frauen, die mit 25 Jahren noch unverheiratet sind.

Wird heute denn eigentlich mehr oder weniger gefeiert als früher? Eike Lossin. „Man kann weder das eine noch das andere sagen.“ Aber: Die Anlässe sind breiter über das Jahr gestreut. Er liefert die Erklärung: Früher waren eigentlich nur die staatlichen oder kirchlichen Festtage als Anlass fürs Feiern vorgegeben. Dazwischen wurde meist hart gearbeitet.

 

Die Anlässe sind heute vielfältiger – und beliebiger

 

„Heutzutage dagegen kann jeder selbst entscheiden, welchen Tag er für sich zum Feiertag erklärt.“ Auch deshalb, weil das nötige Zubehör an Lebens- und Genussmitteln oder Musik nahezu beliebig zur Verfügung steht. „In früheren Zeiten musste man unter Umständen Monate warten, bis zufällig mal ein fahrender Musikant in der Gegend war, ein Tier fett genug zum Schlachten oder gerade Bier gebraut werden konnte.“

Eike Lossin: „Heute kann man beliebig auf einen Knopf drücken, um Musik zu hören, sich im Supermarkt das ganze Jahr über frisches Fleisch für einen Festtagsbraten an der Theke holen, und das Bier gibt es jederzeit im Großhandel.“

 

Die Ausstellung will nicht bewerten

 

Hat diese ständige Verfügbarkeit das Feiern nicht entwertet? Eike Lossin antwortet mit einer Gegenfrage: „Romantisiert man nicht das Feiern zu sehr, wenn man sagt, dass man es wertgeschätzt hat, weil es seltener war?“ Und wenn man es denn so romantisiert, „verkennt man dann nicht die Tatsache, dass es damals auch Menschen gegeben hat, die hart arbeiten mussten, damit andere feiern konnten?“

Die Schau im Museumsdorf stellt solche wertenden Fragen nicht, sondern versteht sich als rückblickende und aktuelle Bestandsaufnahme gelebter Feierkultur. Mal ist es der gesittete Kaffee-Geburtstag mit Hausmusik und Kaffeetafel. Manche Fotos lachender und tanzender Menschen aus den vergangenen 100 Jahren zeigen aber auch: Dazu gehörte der gezielte Ausbruch aus dem Alltag.

 

Gezielter Ausbruch aus dem Alltag

 

Wer sich heute über wilde Übertreibungen mokiert, wird schnell feststellen: Exzesse gab es immer schon. Lossin zieht daraus den Schluss: „Es scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein, sich im Rahmen eines Festes dem Exzess hinzugeben.“ Als Beispiel führt er den Karneval an. Die Regel laute: „Wenn du es krachen lassen willst, dann tu das dann! Du kannst Dampf vom Kessel lassen. Und dann ist auch erst mal wieder gut.“ Eike Lossin: „Man kann massiv sündigen, und hat die Chance darauf, dass ab Aschermittwoch mit dem Kreuz auf der Stirn alles wieder gut ist.“

Die Ausstellung zeigt aber eben nicht nur exzessive Orgien, sondert richtet den Blick des Besuchers auch auf die ruhigen Feiern im Jahreskreis, die das Leben der Menschen strukturieren, die Gemeinschaftsgefühl und Lebensrhythmus schaffen: Weihnachten, Erstkommunion, Hochzeiten, Geburtstage, Jubiläen. Oder Feiern unter widrigen Bedingungen.

 

Weihnachtsbaum im Schuhkarton

 

Da ist zum Beispiel ein unscheinbares dunkelgrünes Paket, etwa so groß wie ein kleiner Schuhkarton. „Gruß aus der Heimat“ steht auf dem reichlich vergilbten Aufkleber des Päckchens, das im Ersten Weltkrieg als Feldpostsendung an die Front geschickt werden konnte. Einziger Inhalt ist ein winziger geschmückter Weihnachtsbaum.

„Man hat solche Päckchen zu den Soldaten geschickt, damit sie auch unter schwierigsten Verhältnissen miteinander Weihnachten feiern konnten“, erklärt Eike Lossin. Das zeigt dem Ausstellungsmacher: „Feiern ist ein Grundbedürfnis des Menschen.“

 

Feiern hat eine feste Struktur

 

Die Anlässe dazu seien vielfältig. Mal ist er religiös, mal wird ein Fest erwartet, etwa, weil man Geburtstag hat oder es so Brauch ist. Und immer läuft Feiern nach einer ähnlichen Struktur ab. Am Anfang steht die Einladung, dann folgt die Vorbereitung, das Feiern selber und die Nachbesprechung.

Darin unterscheide sich Weihnachten, eine Goldene Hochzeit oder ein Jubiläum grundsätzlich auch nicht vom allwöchentlichen Freitagabend, zu dem es etwa junge Leute in der Stammkneipe oder zum Tanzen verabreden. Sie nennen das „Feiern Gehen“, weil sie zum Beispiel den Beginn des Wochenendes feiern wollen.

 

Menschen machen sich schick fürs Feiern

 

Für das eine wie für das andere machen Menschen sich schick. Die Ausstellung zeigt auch, wie unterschiedlich das aussehen konnte. Vom historischen Hochzeitsgewand über ein Trevira-Minikleid aus den Sechzigerjahren bis hin zu Schlaghosen und roten Plateauschuhen aus den Siebzigern ist der sich verändernde Stil dargestellt.

Wer die Ausstellung besucht, fühlt sich beim deren Anblick und dem der schwarz-weißen oder gelbstichiger Abbildungen von Menschen in Ringelpullis, Trachten oder Anzügen schnell in eine andere Zeit versetzt. „Ach ja, so war das damals.! Allerlei Party-Zubehör aus Omas Wohnzimmerschrank, ein Plattenspieler oder Zeitschriften mit Party-Rezepten unterstreichen diesen Eindruck.

 

Musik aus der Jukebox und Glitze von der Diskokugel

 

Wer möchte, kann alte Feiergefühle wiederauferstehen lassen. Eine Original-Jukebox spielt auf Knopfdruck Gus Backus, Heidi Brühl oder Roy Black und andere Schlager aus den Siebziger- und Sechzigerjahren. An der Decke dreht sich dabei eine glitzernde Diskokugel und wirft bunte Lichter an die Wand.

So können Kinder in der Ausstellung auch sehen, was für ihre Vorfahren beim Feiern wichtig war. Was Eike Lossin zu einer weiteren Erkenntnis führt: „Wir erlernen Feiern“, sagt er. „Von einer Generation zur nächsten werden Rituale und Gepflogenheiten weitergegeben. Was zieht man wann an? Wie formuliert man Einladungen? Was ist schicklich?“

Es klingt seltsam, ausgerechnet in der Zeit der Corona-Pandemie eine Ausstellung übers Feiern zu machen. Aber vielleicht ist gerade jetzt eine gute Zeit dafür, um den Gedanken daran wach zu halten, wie wichtig Feiern für Menschen sind. 

Öffnungszeiten und weitere Informationen im Internet unter www.museumsdorf.de.

Die Ausstellung „Was geht?! Von Festen und Feiern im Nordwesten“ im  Museumsdorf Cloppenburg ist ein Ergebnis eines Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit der Universität Vechta. Sie wird noch mindestens bis in den Frühsommer 2021 zu sehen sein. Die Uni Vechta hatte dazu im vergangenen Winter eine Online-Umfrage unter rund 100 Teilnehmern organisiert. Dabei ging es unter anderem um Fragen wie: Was feierst du? Wann feierst du? Was brauchst du unbedingt dazu? Welches sind die wichtigsten Anlässe zum Feiern? Weiterhin an der Konzeption beteiligt war das kulturanthropologische Institut des Oldenburger Münsterlandes, das in Cloppenburg seinen Sitz hat.

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