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Faustschläge, Züchtigungen, sexuelle Handlungen – nur einige Beispiele von Misshandlungen und Missbrauch im Jungeninternat „Collegium Josephinum“ in Bad Münstereifel. Ein Studie klärt jetzt auf.
Es ist ein weiteres dunkles Kapitel bei der Aufarbeitung von Misshandlung und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Diesmal geht es um ein Jungeninternat des Erzbistums Köln, dem 1997 geschlossenen „Collegium Josephinum“ in Bad Münstereifel. Am Mittwoch stellen der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und die Mönchengladbacher Erziehungswissenschaftlerin Claudia Bundschuh eine Studie vor, die ein großes Ausmaß an Gewalt belegt.
Danach beeinflussten Misshandlung und Missbrauch bis weit in die 1970er Jahre das Leben der Kinder und Jugendlichen. Ehemalige berichteten über sexuelle Übergriffe, Ohrfeigen, Faustschläge, Tritte, Züchtigungen mit Verletzungen sowie psychische Gewalt. Sechs Priester und eine weitere Fachkraft waren sexuell übergriffig.
Woelki bekundet Scham
Laut Studienautorin Claudia Bundschuh gab es zwar keine Vergewaltigung und keinen Geschlechtsverkehr, wohl aber den Versuch, Opfer zur Masturbation an sich selbst oder den Tätern zu bewegen. Vier der Priester wie acht weitere Fachkräfte seien körperlicher Misshandlungen beschuldigt worden. Woelki bekundete Scham und „tiefe Trauer“, zumal Priester beteiligt waren. Und Anerkennung für das Leid der Opfer.
Zweieinhalb Jahre nahmen sich Bundschuh und weitere Forscher Zeit, um Ehemalige zu befragen. Es sei „kein Bericht über Betroffene“, sondern ein „Bericht von den Betroffenen“, so die Wissenschaftlerin. Sie hätten auf die Inhalte maßgeblich Einfluss genommen. 100 frühere Schüler teilten schriftlich oder mündlich ihre Erfahrungen mit. Dabei berichtete ein Drittel auch über positive Erfahrungen. Die Angaben dieser „tertiär Betroffenen“ zeigten, dass es im Umgang der Fachkräfte mit den Kindern und Jugendlichen im Laufe der Jahrzehnte einen Wandel gegeben habe, hieß es.
Kritik an der Veröffentlichung
Obwohl der Bericht auch dieser Gruppe und ihrer Sicht der Dinge einen breiten Raum gibt, meldeten sich in den vergangenen Tagen Personen aus dem Kreis und übten massive Kritik. Sie befürchten, dass mit der Veröffentlichung der Studie alle ehemaligen Schüler als „potenzielle Missbrauchsopfer“ und frühere Erzieher als Täter gesehen werden.
Eigentlich wollte das Erzbistum direkt nach der Pressekonferenz die früheren Internatskinder und -jugendlichen in einer eigenen Veranstaltung informieren. Doch diese wurde kurzfristig abgesagt, nachdem es im Vorfeld Rückmeldungen „in unangemessener Tonlage“ und nicht spezifische Drohungen gegeben habe. Eine emotionale Konfrontation zwischen „primären“ und „tertiären“ Betroffenen und erneute Verletzungen wollten das Erzbistum und Bundschuh unbedingt vermeiden.
Heftige Reaktionen
Angesprochen auf die heftige Abwehr bekundete die Wissenschaftlerin die Vermutung, dass noch Unkenntnis über die Studienergebnisse bei diesen Ehemaligen ohne Gewalterfahrung herrsche. Überdies stellten die „tertiär Betroffenen“ keine homogene Gruppe dar.
Wie schwierig es auszuhalten ist, wenn Opfer als Lügner dargestellt werden, darüber berichtet vor den Journalisten Werner Becker. Der Professor der Zahnheilkunde sah sich Angriffen in „übelster Form“ von ehemaligen Internatsangehörigen ausgesetzt. Auch seine Eltern hätten ihm als Kind niemals geglaubt, weil Priester als „heilige Persönlichkeiten“ galten. Und als Becker sagen will, wie unbegreiflich es ist, dass es für manche Priester bislang keine Konsequenzen gegeben hat, bricht ihm die Stimme weg. Die Sekunden des Schweigens sagen mehr als manche Worte.
Konsequenzen für beteiligte Geistliche
Strafrechtlich sind die Fälle verjährt. Kirchenrechtlich werden Missbrauch und Gewalt weiter geahndet. Allerdings reichen dazu nicht anonyme Angaben für die Studie, wie der Missbrauchsbeauftragte der Erzdiözese, Oliver Vogt, betont. Betroffene müssen sich also aus der Deckung wagen und Personen beim Erzbistum anzeigen.
Im Fall von Bad Münstereifel wurden bei zwei von vier noch lebenden Geistlichen personalrechtliche Konsequenzen gezogen. Sie dürfen öffentlich keine Gottesdienste mehr halten. Zudem wurden ihre Fälle zur Entscheidung an die Glaubenskongregation in Rom weitergeleitet. Vogt stellt klar: Im Fall von Missbrauch sind Priester heute nicht mehr vor Sanktionen geschützt.