Kommentar von Markus Nolte zu neuem Skandal in Münsteraner Gartenlaube

Missbrauch: Auch die bürgerliche Fassade vertuscht

Ein neuer Missbrauchsskandal, in dessen Zentrum eine Kleingartenanlagen in Münster steht, erschüttert das Land. Die harmlose Fassade funktioniert nicht nur in der Kirche, auch die Gesellschaft hat ein Problem, kommentiert Chefredakteur Markus Nolte.

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Die Aufdeckung eines neuen massiven Missbrauchsskandals und eines Netzwerks sexueller Gewalt an Kindern, in dessen Zentrum eine Kleingartenanlagen in Münster steht, erschüttern das Land. Beschuldigt werden neben einem 27-jährigen Münsteraner und womöglich seiner Mutter auch weitere Männer bundesweit. Drei Kinder wurden bisher als Opfer massivster sexueller Gewalt identifiziert. Das zeigt: Das Muster der harmlosen Fassade funktioniert nicht nur bei Missbrauch in der Kirche. Die Gesellschaft insgesamt hat ein massives Problem, sagt Chefredakteur Markus Nolte in seinem Kommentar.

Man kann kaum heimeliger und man kann kaum perfider vorgehen, um einen heimlichen Tatort für monströsesten Kindesmissbrauch auszuwählen: eine Laube in einer kleinbürgerlichen Kleingartenanlage in einem Münsteraner Stadtteil mit dem nunmehr geradezu sarkastisch klingenden Namen Kinderhaus. Harmloser kann die Fassade für hochgradig professionell organisierte sexuelle Gewalt an Kindern nicht sein.

Zugleich verbietet es sich von selbst, aus kirchlicher Sicht mit dem Finger auf diese abscheulichen Taten zu deuten. Doch was Polizei und Staatsanwaltschaft in einem mehr oder weniger betulichen Vorort Münsters aufdecken konnten, zeigt: Auch eine aufgeklärte Gesellschaft ist nicht stärker vor Missbrauch gefeit als Kirchengemeinden und Klöster.

 

Schrebergarten, Sakristei, Darknet

 

Ob Schrebergärten oder Campingplätze, ob Sakristei oder Darknet, ob Münster, Lügde oder Bergisch Gladbach: Sexueller Missbrauch ist ein massives Problem der gesamten Gesellschaft. Das ist es gleichwohl nicht erst seit zehn Jahren. Dass lange – auch, aber nicht nur in der Kirche, in ihrer Leitung, in den Gemeinden – weggesehen wurde, weil man es lieber nicht so genau wissen wollte, weil vermeintlich ehrenwerten und harmlosen Erwachsenen mehr geglaubt wurde als brutalst verletzten Kindern – dieses Muster machen sich Täter zunutze.

Die Fassaden funktionieren: ob die der Heiligkeit kirchlicher Räume, der Friedlichkeit einer Kleingartenanlage, der entspannten Atmosphäre eines Campingplatzes.

Über all dem aber wiegt schwer, mächtig und brutal die Macht angeblich erwachsener Menschen, sich das Vertrauen von Kindern zu erschleichen und mit ihnen zu machen, was die Täter wollen. NRW-Innenminister Herbert Reul nennt das Netzwerk von Pädokriminellen einen „Sumpf“. Das klingt beinahe harmlos angesichts der desaströsen Größe einer weit vernetzten, heimlichen Gewalt-Szene.

Umso wichtiger ist die Erkenntnis: Missbrauch geschieht weiterhin. Darum gilt es, wachsam zu sein, die Präventionsarbeit großer Organisationen auszubauen, um viele zu sensibilisieren. Und keine Fassade wichtiger zu nehmen als das, was sie verbergen kann.

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