Leiter der Missbrauchsstudie sprach in Münster

Missbrauch: Forscher Dreßing erwartet Rücktritte in der Kirche

Der Mannheimer Psychiater Professor Harald Dreßing hat die Kirche aufgefordert, die Verantwortung für den sexuellen Missbrauch zu übernehmen: „Es gibt kein Unternehmen, bei dem es nicht zu Rücktritten käme.“

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Der Mannheimer Psychiater Professor Harald Dreßing hat die Kirche aufgefordert, die Verantwortung für den sexuellen Missbrauch an Kindern durch Kleriker zu übernehmen. „Es gibt kein Unternehmen, bei dem es nicht in einem solchen Fall zu Rücktritten käme“, sagte der Projektleiter der im Herbst 2018 vorgelegten Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz am Dienstagabend in Münster.

Jeder Beschuldigte im Missbrauchsskandal habe mehrere Mitverantwortliche, die etwas gewusst hätten, „darunter Leute, die noch in Amt und Würden sind“, so Dreßing. Diese Personen, auch Bischöfe und Generalvikare, müssten benannt und aufgefordert werden, Verantwortung zu übernehmen. Der Wissenschaftler äußerte sich bei einer Veranstaltung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und der Pfarrei St. Lamberti.

 

„Missbrauch ist anhaltendes, kein historisches Problem“

 

Dreßing betonte ausdrücklich, dass das Risiko sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen innerhalb der Strukturen der Kirche fortbestehe: „Es gibt nach wie vor neue Taten.“ Die Quote der beschuldigten Priester habe in den Jahren 2009 bis 2015 gegenüber früheren Jahren nicht abgenommen, sondern bleibe relativ gleich.

„Der Missbrauch ist ein anhaltendes, kein historisches Problem, deshalb ist Prävention unbedingt nötig“, unterstrich der Psychiater.  Die Kirche leiste viel Präventionsarbeit, aber das könne auch eine Feigenblatt-Funktion erfüllen. Als wichtigsten nächsten Schritt bezeichnete Dreßing die Erstellung einer großen nationalen Dunkelfeld-Studie mit belastbaren Zahlen: „Die von uns ermittelten Zahlen sind ja nur die Spitze eines Eisbergs.“

 

Kritik an Entschädigungszahlungen der Kirche

 

Dass die Mehrzahl der Betroffenen männlich sei, sei spezifisch für die katholische Kirche nicht nur in Deutschland. Weder der Zölibat noch Homosexualität seien Ursachen dafür, aber der Zölibat habe für Menschen mit sexueller Unreife oder verleugneten homosexuellen Neigungen eine magnetische Anziehungskraft, so Dreßing: „Deshalb sollte man überlegen, den Pflichtzölibat abzuschaffen oder die zölibatären Priester  intensiv vorzubereiten und zu begleiten.“

Bei sexuellem Missbrauch handle es sich in der Regel nicht um einen einmaligen „Ausrutscher“, sondern um ein Geschehen, das sich über Monate und Jahre hinziehe – mit erheblichen gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen. Deshalb muss die Kirche Dreßing zufolge angemessene Entschädigungen zahlen: „5.000 Euro sind für viele eine Demütigung.“ Der Psychiater erinnerte auch an die Verantwortung der Beichtväter, Täter zur Anzeige zu drängen, statt vorschnell die Absolution zu erteilen.

 

Betroffener berichtete aus Rhede

 

Zu Beginn des Abends hatte Martin Schmitz aus Rhede berichtet, wie er von Kaplan Heinz Pottbäcker – dessen Namen er nicht nannte – missbraucht worden war und welche schweren gesundheitlichen Folgen dies für ihn hatte. „Die Kirche hat viel für Prävention getan und ist dabei ein gutes Stück vorausgegangen“, lobte Schmitz. Sie müsse aber auch hinschauen, was gewesen sei, und Aufarbeitung leisten.

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