Update, 15.50 Uhr - erste Reaktion von Bischof Bode

Missbrauch im Bistum Osnabrück: Studie belastet auch Bischof Bode

  • Im Bistum Osnabrück ist jahrzehntelang unangemessen auf Hinweise zu sexuellem Missbrauch reagiert worden.
  • In der Studie der Universität Osnabrück wird auch Bischof Franz-Josef Bode kritisiert.
  • Das gesamte Forschungsprojekt ist auf drei Jahre angelegt.

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Auch im Bistum Osnabrück haben Verantwortliche jahrzehntelang nicht pflichtgemäß auf Hinweise zu sexuellem Missbrauch reagiert. Bis in jüngste Zeit sei etwa zum Teil nachlässig kontrolliert worden, was mit Beschuldigten geschieht, die von ihrer Stelle entfernt wurden, heißt es in einer am Dienstag vorgestellten Studie der Universität Osnabrück.

Verbessert werden muss nach Aussage des juristischen Projektleiters Hans Schulte-Nölke vor allem die Kommunikation mit Betroffenen. Abwehrend und bürokratisch im Umgang sowie „knausrig“ in den Anerkennungszahlungen sei die Diözese. Zudem seien die Rechte Betroffener lange Zeit unklar gewesen. Daher habe die Forschungsgruppe auch einen Katalog rechtlicher wie ethischer Pflichten eines Bistums gegenüber Beschuldigten sowie vor allem gegenüber Betroffenen erstellt.

Auch Bischof Bode mit Pflichtverletzungen

Dem seit 1995 amtierenden Bischof Franz-Josef Bode bescheinigt die Studie Pflichtverletzungen „im niedrigen einstelligen Bereich“, so Schulte-Nölke. Diese seien „fahrlässig, aber nicht vorsätzlich“ gewesen. Zudem habe Bode 2010 zwar eine bundesweit aufsehenerregende Bitte um Vergebung ausgesprochen. Sein dabei gegebenes Versprechen, alle Möglichkeiten der Hilfen für Betroffene auszuschöpfen, sei in der Praxis der folgenden Jahre aber nicht umgesetzt worden, kritisierte der Jurist.

In einer ersten Reaktion zeigte sich Bode selbstkritisch: „Jetzt beschäftigt es mich sehr, wie blind wir eigentlich gewesen sind und wie blind ich gewesen bin für das Leiden und die Perspektiven der Betroffenen.“ Dafür und für das System im Bistum trage er Verantwortung. Am Donnerstag will sich der Bischof vor der Presse eingehend zum Inhalt der Studie äußern.

Geheimhaltung lange Zeit erkennbar

Das Bistum Osnabrück hat laut dem vorgelegten 600 Seiten starken ersten Zwischenbericht des Forschungsprojekts zu sexualisierter Gewalt noch über das Jahr 2000 hinaus „teils schwerwiegend gegen die Pflichten“ zur Verhinderung weiterer Straftaten verstoßen.

Lange Zeit seien „Geheimhaltung“ und „die Verhinderung von Bekanntwerden“ erkennbar „handlungsleitende Motive“ der Verantwortlichen gewesen, so die zweite Projektleiterin der Studie, die Historikerin Siegrid Westphal.

16 Fallbeispiele analysiert

Dies gelte vor allem für die Zeit unter den Bischöfen Helmut Hermann Wittler (1957-1987) und Ludwig Averkamp (1987-1994). In den vergangenen Jahren habe es nur noch wenige Verstöße gegen Aufsichts- und Interventionspflichten des Bistums gegeben.

Für den ersten Teil der Studie haben die Forscher 16 anonymisierte Fallbeispiele - 15 Priester und einen Diakon – ausführlich analysiert, erläuterte Westphal. Insgesamt gebe es laut derzeitiger Aktenlage ungefähr 90 Beschuldigte, von denen 50 Fälle bereits bearbeitet seien.

Betroffene und Zeugen werden interviewt

Betroffene von Missbrauch sind aufgerufen, sich beim Bistum Osnabrück zu melden. Die Kontaktdaten sind auf der Webseite des Bistums abrufbar.

Im zweiten Teil des auf drei Jahre angelegten Projekts soll das gesamte Ausmaß sexualisierter Gewalt im Bereich der Diözese seit 1945 ermittelt werden. Dafür wollen die Forscher neben dem Aktenstudium soweit möglich Betroffene und Zeitzeugen interviewen. Auch haben sich Mitarbeiter in Archive des Erzbistums Hamburg begeben, dessen heutige Gebiete bis Januar 1995 zur Diözese Osnabrück gehörten.

Vor allem aber wollten die Forscher, so Westphal weiter, auf jene Menschen in Gemeinden und Nachbarschaften achten, die einen Verdacht hatten, aber nichts unternahmen: „Wie waren Bedingungen? Warum wurde verschwiegen, geschützt, vertuscht?“ Auf diese Weise hoffe man, auch das Dunkelfeld bei den insgesamt 2.800 Klerikern, die das Bistum seit 1945 hatte, aufzuhellen.

Recht auf Akteneinsicht gefordert

Karl Haucke, als Betroffener sexualisierter Gewalt Mitglied in der Steuerungsgruppe des Forschungsprojekts, forderte das Recht auf Akteneinsicht für jeden Betroffenen „unabhängig vom kirchlichen Datenschutz“. „Das große Anliegen von Betroffenen“ sei es, endlich anerkannt zu werden und „im günstigsten Fall Gerechtigkeit zu erhalten“ und die Öffentlichkeit aufzuklären.

Anders als andere Diözesen hat Osnabrück laut Schulte-Nölke die Leitfrage der Studie nicht vorgegeben. Vielmehr habe die Universität den Forschungsansatz eigenständig formuliert. Den habe das Bistum akzeptiert und für das Projekt 1,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Vertraglich vereinbart wurden uneingeschränkter Zugang zu Akten, Befragungen von Verantwortlichen und völlige wissenschaftliche Freiheit. Diese Abmachungen wurden nach Aussage von Projektkoordinator Jürgen Schmiesing weitestgehend eingehalten.

Update, 15.50 Uhr: Text durchgehend aktualisiert mit weiteren Details. Erste Reaktion von Bischof Bode (vierter Absatz) ergänzt.

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