Historiker beschreibt herausgehobene Position der Geistlichen

Missbrauch in der Kirche: Priesterbild half Tätern über Jahrzehnte

  • Geht es um Missbrauch in der katholischen Kirche, geht es auch um das Priesterbild, das diese Taten begünstigt hat.
  • Klerikalismus bedeutet Macht und spirituelle Abhängigkeit – das hilft pädophilen Tätern.
  • Die herausragende Position der Geistlichen habe sich in den vergangenen Jahrzehnten nur wenig verändert, sagt Studien-Autor Klaus Große Kracht.

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Es geht um Autorität, um Macht, um spirituelle Abhängigkeit – der Blick auf den sexuellen Missbrauch durch katholische Priester ist immer auch ein Blick auf das Priesterbild, das diese Taten begünstigt hat. Der Klerikalismus hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zwar geändert, hierarchisches Denken und das Selbstverständnis, als Klerus auf einer anderen Stufe als andere Gläubige zu stehen, ist bei nicht wenigen geblieben, sagt der Historiker Professor Klaus Große Kracht, ein Autor der Missbrauchsstudie im Bistum Münster.
 
„Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, aber auch darüber hinaus, herrschte ein Priesterbild, das den Pfarrer als eine Art heilige Gestalt von den anderen Gläubigen absetzte“, sagt Professor Klaus Große Kracht, der an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster Zeitgeschichte lehrt. „Der Pfarrer war quasi unangreifbar in seiner Autorität.“

Unangefochtene Autorität des Pfarrers

Der Historiker Professor Klaus Große Kracht ist ein Autor der aktuellen Missbrauchsstudie im Bistum Münster. | Foto: Michael Bönte
Der Historiker Klaus Große Kracht ist ein Autor der aktuellen Missbrauchsstudie im Bistum Münster. | Foto: Michael Bönte

Da der Pfarrer auch zentraler Akteur im sozialen Leben der Gemeinde war, galt diese Autorität auch über den Kirchenraum hinaus. Wer Kritik an seinem Verhalten übte, konnte nicht nur schnell als Nestbeschmutzer diffamiert werden, sondern auch vom alltäglichen Leben im Ort ausgeschlossen werden, sagt Große Kracht. „Diese unkritische Verehrung des Priesters hat wesentlich dazu beigetragen, dass über den Missbrauch in der katholischen Kirche so wenig gesprochen wurde.“
 
Das Zweite Vatikanische Konzil änderte an der Rollenverteilung nur bedingt etwas, sagt Alexander Buerstedde, der an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg seine Doktorarbeit zum Thema „Wandel in Priesterausbildung und Priesterbild in der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren“ schreibt. „Das Konzil blieb im Hinblick auf das Amtsverständnis blass.“ Die Zusammenarbeit mit den Laien-Gremien forderte zwar eine neue Kommunikationsfähigkeit. „In lehramtlichen Positionen und in der Ausbildung blieb aber häufig die Vorstellung bestehen, dass der Klerus das Zentrum der Gemeinde ausmache.“

Trennlinie zwischen Geweiht und Ungeweiht

Alexander Buerstedde von der an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. | Foto: privat
Alexander Buerstedde arbeitet bei der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. | Foto: privat

Die Abgrenzung zu den Laien blieb damit, sagt Buerstedde. „Die Ausbildung der Pastoralreferent:innen zum Beispiel wurde von der der angehenden Priester getrennt.“ So sei auch in den Gemeinden vor Ort in vielen Köpfen eine Trennlinie zwischen geweihtem Leben hier und ungeweihten Leben dort geblieben. Die Situation nach dem Konzil sei „von der Hierarchie oft als Bedrohung von Klerus und Kirche wahrgenommen worden“. „Auf den Aufbruch der 1960er Jahre folgte deshalb eine Art Eindämmungspolitik.“
 
Das herkömmliche Selbstverständnis der Priester hatte nicht selten Bestand. „Viele von ihnen haben das Angebot der Arbeitsteilung und Kollegialität in den Gemeinden nicht angenommen und sich hinter ihrem theologischen Amtsverständnis verschanzt – da ist eine Chance verspielt worden“, sagt Große Kracht. Auf der anderen Seite aber entwickelte sich trotzdem ein kritischer Umgang mit diesem Verständnis in der Gemeinde. Was auch Auswirkungen auf das Missbrauchsgeschehen hatte. „Wir sehen einen deutlichen Rückgang der Fallzahlen seit den 1980er Jahren.“

Ein Täter findet immer einen Zugang zum Opfer

Neben dieser sozialen Kontrolle der Kleriker durch die Gemeinde hätten sich für pädophile Täter unter ihnen durch neue Formen der Jugendpastoral aber durchaus neue Möglichkeiten der Tatanbahnung ergeben. „Vom Gitarrespielen am Lagerfeuer bis hin zu den neuen sozialen Medien.“
 
Große Kracht stellt deshalb klar: „Ein pädophiler Täter findet immer Zugang zu seinen Opfern.“ Egal in welcher Position er gesehen werde. Doch ein herausgehobenes Priesterbild erleichtere die Anbahnung von Missbrauch. Umso wichtiger sei es, dass schon in der Ausbildung der Geistlichen auf die Gefahren von Machtmissbrauch und somit auch von sexuellem Missbrauch hingewiesen werde. „Angehende Priester müssen auf jede Form der Asymmetrie zwischen sich und anderen verzichten“, sagt Große Kracht. „Ein nichthierarchisches Priesterbild ist nötig – die Frage ist jedoch, ob dieser Wandel jemals lehramtlich vollzogen wird.“

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