Diskussion in St. Amandus in Datteln - Historiker Frings zu Gast

Missbrauch: Leitungsversagen Lettmanns macht Gemeinde fassungslos

  • Rund 50 Interessierte haben in Datteln über das Gutachten der Universität Münster zu den Missbrauchsfällen im Bistum Münster durch Priester diskutiert.
  • Historiker Bernhard Frings sprach dabei über die unzureichende Dienstaufsicht des aus Datteln stammenden Reinhard Lettmann (1933-2013), der von 1980 bis 2008 Bischof von Münster war.
  • Gemeindemitglieder beklagen einen immer noch vorhandenen Klerikalismus in Teilen der Kirche.

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Warum das Leiden der vom sexuellen Missbrauch betroffenen Kinder und Jugendlichen nie oder vielleicht nur am Rand gesehen wurde, macht viele Gemeindemitglieder der Pfarrei St. Amandus in Datteln im Kreis Recklinghausen fassungslos: „Warum konnten Mehrfachtäter einfach weitermachen, ohne dass die Bistumsleitung eingeschritten ist?“, fragte eine Teilnehmerin während einer Veranstaltung über das Missbrauchs-Gutachten für das Bistum Münster im Heimatort des früheren Bischofs von Münster, Reinhard Lettmann.

Über dessen Verhalten zu den Missbrauchsfällen von Priestern sprach der Historiker Bernhard Frings. Er gehörte zum Forscherteam des Missbrauchs-Gutachtens.

Leitungsversagen im „Fall Pottbäcker“

Am „Fall Pottbäcker“ machte Frings deutlich, wie ein pädosexueller Straftäter und Priester immer wieder neue Aufgaben als Seelsorger bekam, die dieser dann nutzte, um unbeaufsichtigt immer wieder und über mehrere Jahrzehnte Kinder und Jugendliche an verschiedenen Orten des Bistums zu missbrauchen.

„Dieser Fall macht wohl am eindrücklichsten das Leitungsversagen von Lettmann deutlich. Er wusste von den Missbrauchsfällen, die Heinz Pottbäcker begangen hatte, er versetzte diesen Priester in immer neue Gemeinden und hat sich nie um das Leid der Betroffenen erkundigt“, fasste Frings den „Fall Pottbäcker“ zusammen.

Fortlaufendes Vertuschen im Bistum Münster

Historiker Bernhard Frings in Datteln
Der Historiker Bernhard Frings hat an der Missbrauchsstudie mitgearbeitet und den „Fall Pottbäcker“ aufgearbeitet. | Foto: Johannes Bernard

Heinz Pottbäcker (1937-2007) wurde in 43 Jahren 14 Mal versetzt, zweimal strafrechtlich verurteilt – und nie gestoppt. Dieser Fall steht sinnbildlich für das Wegschauen und das Vertuschen sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster, für das Lettmann als Generalvikar, Weihbischof und als Bischof von 1980 bis 2008 Leitungsverantwortung trug.

Im Gutachten wird der „Fall Pottbäcker“ ausführlich beschreiben. 21 Betroffene sind aktenkundig und haben sich beim Bistum Münster gemeldet. „Die Dunkelziffer der Betroffenen ist deutlich höher“, sagte Frings, der die Akten zum „Fall Pottbäcker“ bearbeitet hat.

Dattelner Pfarrei stellt sich der Aufarbeitung

Über die Aufarbeitung des Versagens der Kirche sagte Ortspfarrer Heinrich Plaßmann: „Reinhard Lettmann ist am Kirchplatz der St.-Amandus-Kirche aufgewachsen und war unserer Gemeinde und der Stadt Datteln zeitlebens eng verbunden. Es ist gut, dass unsere Pfarrei nach Bekanntwerden des Ausmaßes von Missbrauchsfällen die Rolle Lettmanns thematisiert hat, auch wenn es einigen Gemeindemitgliedern nicht leichtgefallen ist.“

Bereits vor einigen Jahren hatte sich die Pfarrei mit der Rolle Lettmanns im Missbrauchsskandal beschäftigt. Nach intensiven Diskussionen wurde 2019 das Pfarrheim, das seit seiner Eröffnung 2014 zunächst Reinhard-Lettmann-Haus hieß, in Amandus-Forum umbenannt. Zudem wurde eine Urnenwand im Kolumbarium St. Antonius, die den Namen „Reinhard“ getragen hat, in „Liudger“ (erster Bischof von Münster) umbenannt.

Mitverantwortung der Gemeinde

Mehrere Teilnehmende wie auch Plaßmann betonten das verhängnisvolle Wechselspiel von Gemeinde und Klerikalismus im früher geschlossenen katholischen Milieu. „Der Priester galt als unanfechtbar. Wir mussten gehorchen, was er sagte“, sagte ein älteres Gemeindemitglied. Leider gebe es immer noch einen Klerikalismus, der eine Aufarbeitung der Ursachen von Missbrauch im Raum der Kirche erschwere.

Der Ortspfarrer bat darum, Machtstrukturen und „klerikales Getue“ sofort zu benennen: „Ich weiß, dass einige Amtskollegen ihre Autorität genießen und gern abgehoben sind. Ich sehe meine Aufgabe anders. Sollte es Anlass zur Kritik geben, muss das auch gesagt werden können“, sagte Plaßmann.

Hoffen auf Erneuerung der Kirche

Wie sehr die Enttäuschung über das Versagen der früheren Bistumsleitungen sitzt, machte eine in der Gemeinde engagierte Frau deutlich: „Die Kirche hat in ihrer Geschichte immer nur für ihre Strukturen gekämpft. Ich bin pessimistisch, wie Gemeindearbeit da noch weitergehen kann.“

Diesen Pessimismus nicht teilen wollte der Pfarreiratsvorsitzende von St. Amandus, Stefan Feldhaus: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich die Kirche erneuern kann. Es liegt an uns, wie es weitergeht. Wir möchten in Datteln eine offene Kirche sein, wo ein gutes Miteinander gelebt wird und die Aufarbeitung des Versagens selbstverständlich und schonungslos geleistet wird.“

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