GEMEINDELEBEN

Entsetzen in Horstmar: Pfarrei diskutiert über prominenten Missbrauchsfall

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Mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs ist eine Pfarrei im Kreis Steinfurt konfrontiert. Der Fall wirft viele Fragen auf.

 

Wie konnte das nur geschehen? Viele Gemeindemitglieder der Pfarrei St. Gertrudis in Horstmar und Leer zeigten sich entsetzt und fassungslos, als sie im Rahmen einer Pfarrversammlung über einen möglichen sexuellen Missbrauch diskutierten, der sich durch einen Priester der Weltkirche zwischen den Jahren 2005 und 2007 im Ort ereignet haben soll.

„Die Staatsanwaltschaft ist eingeschaltet. Sie ermittelt. Wir stehen in Kontakt mit der betroffenen Person“, sagte die Interventionsbeauftragte des Bistums Münster, Svenja Bauland. Zusammen mit dem Personaldezernenten des Bistums, Matthias Mamot, und der stellvertretenden Bistumssprecherin Anke Lucht stand sie Rede und Antwort, wie der Vorwurf einzuschätzen ist.

Beschuldigter ist heute Bischof in Indien

Der Beschuldigte war von 2001 bis 2012 und von 2017 bis 2020 als Kaplan beziehungsweise Pastor in der Pfarrei tätig. Der aus Indien stammende Priester wechselte dann in die Pfarrei St. Bartholomäus nach Essen (Oldenburg) im Kreis Cloppenburg. 2024 wurde er Bischof von Nalgonda (Indien).

Wie Svenja Bauland erläuterte, handelt es sich bei dem Vorwurf um einen laufenden Prozess, bei dem die Rechte der betroffenen Person und des Beschuldigten gewahrt bleiben müssen. Für den Beschuldigten gelte die Unschuldsvermutung.

Missbrauchsverdacht in Horstmar: Antrag löste Verfahren aus

Den Stein ins Rollen gebracht hat ein Antrag der betroffenen Person auf „Anerkennung des Leids“. Mit diesem von der Deutschen Bischofskonferenz 2021 eingeführten Verfahren haben Betroffene sexuellen Missbrauchs die Möglichkeit, ohne die Belastungen eines Gerichtsverfahrens Geldleistungen zu erhalten. Ein solcher Antrag wurde am 6. März 2025 von der betroffenen Person gestellt.

„Daraufhin haben wir mit dieser Person ein persönliches Gespräch geführt und die Tatvorwürfe besprochen. Mit dem Beschuldigten gab es wenig später ein sogenanntes Konfrontationsgespräch“, sagte die Interventionsbeauftragte über den Ablauf. Das Bistum Münster habe den Fall am 15. April an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Die Vorwürfe seien plausibel und als glaubwürdig einzuschätzen.

Auch der Vatikan prüft den Missbrauchsvorwurf

Wie Matthias Mamot erklärte, ist eine kirchenrechtliche Untersuchung ebenfalls auf den Weg gebracht worden. Für Fälle, in denen es gegen einen Bischof Vorwürfe sexuellen Missbrauchs gibt, hat Papst Franziskus 2019 besondere Verfahrensregeln festgelegt.

Danach ist das Bistum, bei dem die Vorwürfe erhoben werden, verpflichtet, sowohl das Dikasterium für die Glaubenslehre in Rom als auch den Metropoliten der Kirchenprovinz, in dem der Beschuldigte seinen Wohnsitz hat, zu informieren. Im Fall des Bischofs von Nalgonda ist das der Erzbischof von Hyderabad, Kardinal Anthony Poola. Diesen Verpflichtungen ist das Bistum Münster nachgekommen. Kardinal Poola muss nun das Dikasterium für die Glaubenslehre bitten, die Untersuchung des Falls einzuleiten.

Bistum Münster: Antonius Hamers handelte umgehend

„Dieses Verfahren hört sich kompliziert an. Die Kirche nimmt Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs sehr ernst“, sagte der Personaldezernent.

Auch aus diesem Grund hat der Diözesanadministrator des Bistums Münster, Antonius Hamers, unmittelbar gehandelt und dem Beschuldigten bis auf Weiteres die Ausübung sämtlicher priesterlicher Dienste im Bistum Münster untersagt. „Das ist nötig gewesen, weil der indische Bischof zu Besuchen im Bistum Münster erwartet worden war“, erläuterte Matthias Mamot. Wie in der indischen Diözese auf den Vorwurf reagiert werde, wisse er nicht.

Wahrung der Persönlichkeitsrechte

 

Svenja Bauland bat die Gemeindemitglieder um Verständnis, nicht auf alle Fragen befriedigende Antworten geben zu können. „Persönlichkeitsrechte müssen gewahrt werden. Die Staatsanwaltschaft wird Verjährungsfristen zu prüfen haben wie auch die Schwere der Vorwürfe.“

Die Notwendigkeit, mit der Anschuldigung an die Öffentlichkeit zu gehen, begründete die Bistumssprecherin Anke Lucht mit dem Hinweis, dass für das Bistum der Schutz der betroffenen Person an erster Stelle steht: „Das tun wir nach Absprache. Der Schutz vor möglichen weiteren Übergriffen hat Vorrang. In der Vergangenheit hat man der Kirche oft den Vorwurf der Vertuschung gemacht. Wir wissen um unsere Verantwortung.“

Warum jahrzehntelanges Schweigen?

Mehrere Gemeindemitglieder fragten sich, warum erst jetzt nach 20 Jahren die Vorwürfe bekannt gemacht worden seien und wie die Anschuldigung auf Glaubwürdigkeit geprüft werde. Andere sprachen von Schwierigkeiten im Umgang mit Missbrauch: „Wie hätte ich das merken können?“, fragte eine Horstmarerin, die, wie sie sagte, den Beschuldigten als liebenswerten und engagierten Menschen kennengelernt habe.

Die Interventionsbeauftragte wies darauf hin, dass zum jetzigen Zeitpunkt von einem Einzelfall gesprochen werden kann. Betroffene würden oft erst nach langer Zeit über einen Missbrauch sprechen können. „Und einige sprechen nie darüber“, sagte Svenja Bauland. Der Weg in die Öffentlichkeit sei zu gehen, um auch möglichen weiteren Betroffenen – unabhängig von dem Vorwurf in Horstmar – Mut zu machen, sich bei den zuständigen Beratungsstellen zu melden.

Aufbau von Vertrauen

Ortspfarrer Johannes Büll sagte: „Der Vorwurf macht uns sprachlos. Viele haben den Beschuldigten als liebenswerten Menschen erlebt. Und doch: Wir dürfen nicht vertuschen und schönreden. Jeder und jede muss sich in unserer Pfarrei und Kirche sicher fühlen. Vertrauen ist bedroht und zerstört. Unser Versprechen ist: Wir wollen Vertrauen wieder aufbauen.“

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