Staatliches Gremium bilanziert Arbeit von drei Jahren

Missbrauchs-Kommission: Vorsitzende nennt 1.700 Opfer-Kontakte

In den vergangenen drei Jahren haben sich rund 1.700 Betroffene von sexualisierter Gewalt bei der Unabhängigen Aufarbeitungskommission gemeldet. Das teilte deren Vorsitzende Sabine Andresen mit.

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In den vergangenen drei Jahren haben sich rund 1.700 Betroffene von sexualisierter Gewalt bei der Unabhängigen Aufarbeitungskommission gemeldet. 56 Prozent von ihnen seien in ihren Familien missbraucht worden, sagte die Vorsitzende der Kommission, Sabine Andresen, am Mittwoch in Berlin. 83 Prozent derjenigen, die sich gemeldet haben, seien Frauen.

Die Kommission nahm im Mai 2016 ihre Arbeit auf. Andresen legte einen Zwischenbericht über die ersten drei Jahre vor.

 

„Wir sehen ein Muster“

 

Die Betroffenen berichteten dem Bericht zufolge von sexualisierter Gewalt in der Familie, im sozialen Umfeld, in der Schule, in Heimen, in der Kirche, beim Sport oder in weiteren Freizeiteinrichtungen. „Wir sehen ein Muster“, sagte Andresen. Angestoßen wurde und werde Aufarbeitung und Aufdeckung von Missbrauch in aller Regel durch Betroffene selbst. Dabei stießen sie jedoch als Kinder und auch als Erwachsene auf Widerstände. Dazu gehöre vielfach „das Schweigen der Anderen“.

Mit Blick auf Missbrauchstaten in Familien sagte die Kommissionsvorsitzende, betroffene Kinder erlebten eine „existenzielle Dauerbelastung“. Oft biete nur ein völliger Bruch mit der Familie einen Ausweg, um den Tätern - oft Väter oder Großväter - zu entkommen.

 

Das Umfeld versagt

 

Es sei auffällig, wie oft das Umfeld bei einem Missbrauch versagt und die Kinder nicht geschützt habe, sagte Andresen. Das gelte für Institutionen wie die Kirchen, die sich selber schützen wollten. Das gelte aber auch für das private Umfeld in Familien, wo Angehörige, Freunde und Nachbarn weggeschaut hätten.

Die Gesellschaft müsse lernen, Kinder ernst zu nehmen, damit sie sich nicht mehr ohnmächtig fühlten, forderte die Kommissionsvorsitzende. Entscheidend sei auch, dass Erwachsene, die mit Kindern umgingen, ständig fortgebildet würden. Sie müssten etwa Missbrauch identifizieren können und über Täterstrategien oder die Folgen von Missbrauch aufgeklärt werden.

 

Ministerin Giffey lobt Kommission

 

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte, die Arbeit der Kommission sei „von großem Wert für unsere Gesellschaft“. Sexualisierte Gewalttaten gegen Jugendliche gingen alle an. Sie unterstütze die Forderungen nach besseren Schutzkonzepten, einer noch aktiveren Aufarbeitung in Institutionen und öffentlicher Anerkennung des geschehenen Unrechts.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, erklärte indes, er wäre sehr froh, wenn die Politik ihr Mitgefühl beim Thema Missbrauch auch materiell unter Beweis stellen würde. Dazu sollten Leistungen für die soziale Entschädigung Betroffener erhöht und die Verfahren sensibler durchgeführt werden.

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