Wissenschaftler wollen bis 2027 forschen

Missbrauchsstudie: Ganzes Leben von Kardinal Hengsbach unter der Lupe

Anzeige

Von KNA

Heiliger oder Täter? Soziologen und Historiker wollen die Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Essener Kardinal Franz Hengsbach untersuchen. Gleichzeitig soll eine neue Biografie des Geistlichen entstehen.

Es soll nicht nur um mutmaßliche Missbrauchstaten eines späteren Kardinals gehen - sein ganzes Leben soll unter die Lupe genommen werden: Mit einer soziologisch-historischen Studie wollen Forscher die Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen den verstorbenen Essener Kardinal Franz Hengsbach aufarbeiten. Die Studie ist auf drei Jahre angelegt, teilten die Wissenschaftler in einem Online-Pressegespräch mit.

Vorwürfe aus zwei Bistümern gegen populären Geistlichen

Frühere Aufarbeitungsstudien hätten häufig bestimmte Regionen wie zum Beispiel ein Bistum untersucht, sagte der Hamburger Historiker Thomas Großbölting. „Diesmal wird eine Biografie im Vordergrund stehen. Wir hoffen, dass wir mit dieser neuen Form der Untersuchung noch mal einen innovativen Akzent setzen können.“

Die Bistümer Essen und Paderborn hatten 2023 zwei Missbrauchsvorwürfe gegen den bis heute als Anwalt der Arbeiter und Bergleute im Ruhrgebiet populären Hengsbach bekannt gemacht. Sie beziehen sich auf die 1950er und 1960er Jahre, waren aber erst später gemeldet und zunächst für unplausibel erklärt worden. Mittlerweile seien sieben weitere Hinweise auf mögliche sexualisierte Gewalt beim Bistum Essen eingegangen, sagte Generalvikar Klaus Pfeffer.

Hengsbach hatte viele Ämter in der Kirche

Die Beschuldigungen beziehen sich zum einen auf Hengsbachs Zeit als erster Bischof des neu gegründeten Bistums Essen nach 1958, zum anderen auf die Zeit davor als Priester und Weihbischof im Erzbistum Paderborn. Hengsbach hatte darüber hinaus viele weitere Ämter in der katholischen Kirche inne: Er war Militärbischof (1961-1978), Generalsekretär und -assistent im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (1947-1968) und Vorsitzender des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat.

Alle fünf Institutionen haben die Studie gemeinsam in Auftrag gegeben. Beauftragt wurden das Institut für Praxisforschung und Projektberatung in München und die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Beide waren schon an mehreren kirchlichen Missbrauchsstudien beteiligt.

Biografie über die Missbrauchsvorwürfe hinaus

Der sozialwissenschaftliche Teil der Studie wolle die aktuellen Meldungen im Bistum Essen und den Umgang der Verantwortlichen damit aufarbeiten, sagte die Soziologin Helga Dill. Es gehe aber auch darum, ob Hengsbach in seinen anderen Tätigkeitsfeldern Missbrauch oder Vertuschung nachgewiesen werden könne.

Der historische Teil wolle einen Beitrag zur Bewertung der Person Hengsbach leisten, der über die Missbrauchsvorwürfe hinausgeht, so der Historiker David Rüschenschmidt. Leitfragen seien etwa, wie sich Hengsbach zu gesellschaftlichen und politischen Fragen positionierte, welches Priesterbild er hatte und wie er über Sexualmoral dachte. „Unsere Intention ist nicht nur die Produktion einer Skandalgeschichte.“ Es solle eine historische Biografie entstehen.

Forscher rufen Betroffene auf, sich zu melden

Die Forscher bitten alle Menschen, die sexualisierte Gewalt durch Hengsbach erlebt haben, sich bei ihnen zu melden. Auch an den Aussagen von Zeitzeugen, die den Geistlichen persönlich erlebten, seien sie interessiert.

Die Studie kostet nach Angaben der Forscher 785.000 Euro. Abschlussergebnisse wollen sie im Herbst 2027 präsentieren. Vorher sollen bereits Zwischenergebnisse veröffentlicht werden.

Anzeige