Philipp Geitzhaus aus Münster demonstrierte in Hamburg

Mit 80.000 gegen G20 – ein Christ erzählt

Philipp Geitzhaus war als Demonstrant gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Dass es laut und provokant wurde, war für ihn als Christ wichtig. Denn dem „Irrsinn“ dieses Treffens müsse man in seinen Augen massiv begegnen. Aber mit Gewalt?

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Vor der Antwort auf diese Frage pustet Philipp Geitzhaus tief durch. „Gibt es eine Rechtfertigung für die ausufernden Krawalle im Schanzenviertel von Hamburg während des G20-Gipfels?“ Sie scheint ihn offensichtlich zu nerven. Wer hört, was der 29-Jährige dazu zu sagen hat, versteht das: „Ist es nicht eine Banalität, dass die Öffentlichkeit und wir als Christen im Besonderen diese Gewalt verurteilen?“ Er spinnt den Gedanken weiter: „Aber ebenso banal müsste es sein, dass wir es in aller Deutlichkeit verurteilen, wenn auf dem Mittelmeer ein Schiff mit hunderten Flüchtlingen sinkt.“

Ist es aber nicht, zumindest nicht mit der enormen Medienpräsenz, in der über die gewalttätigen Aktionen in Hamburg berichtet wurde. Geitzhaus war während des Gipfeltreffens dort, hat selbst an Demonstrationen teilgenommen, hat lautstark den Einsatz für eine gerechte Welt gefordert. „Von den vielen lauten, aber friedlichen Aktionen ist in der Öffentlichkeit kaum etwas herübergekommen“, sagt er. „Allein die brennenden Straßenbarrikaden waren das Bild des Widerstands.“

 

Wie wird man gehört?

 

Nicht etwa die Großdemo mit etwa 80.000 Teilnehmern, für die der Theologie- und Philosophie-Student mit seinen Mitstreitern Plakate gemalt hatte. Nicht die Forderungen, die Inhalte und die provokant formulierten Thesen, für die sie sich einsetzten. „Diese Wirtschaft tötet“, stand in verschiedenen Sprachen auf einem Banner, das sie trugen. „Wenn so viel Menschen gegen den herrschenden Kapitalismus laut werden, sollte das mehr als eine Randnotiz sein.“ Er wird deutlich und scharf: „Wir haben erleben müssen, was man tun muss, um gehört zu werden.“

Geitzhaus arbeitet im Institut für Theologie und Politik (ITP) in Münster. Sein Arbeitsfeld ist „die Kirche der Armen“, „soziale Bewegungen in Europa“, eben die „Politische Theologie“, wie er sagt. Dass er sich nach Hamburg aufgemacht hat, klingt deshalb logisch. Der Aufruf des ITP zur Teilnahme wurde schon im Vorfeld deutlich. „Der Reiche tut Unrecht, und er prahlt dazu, und den Armen geschieht Unrecht, und er fleht dazu“ (Jesus Sirach 1, 3) beginnt der Text. Die folgenden Zeilen unterstreichen die Forderung, nicht die großen Industrie-Nationen über das Wohl von Entwicklungsländern entscheiden zu lassen, ohne diese überhaupt an den Gesprächen zu beteiligen: „Die Verhältnisse, unter denen die meisten Menschen ihr Leben fristen, nennen wir es Kapitalismus, produzieren Elend: Arbeitslosigkeit, Ungleichheit in ihren unterschiedlichsten Formen, Armut und Tod.“

 

„Soziale Bewegungen wurden nicht gehört“

 

Es gibt einen weiteren Grund, warum Geitzhaus nach Hamburg wollte: „Die Stimmen von sozialen Bewegungen, von Friedensinitiativen und Umweltgruppen gehörten nicht zum offiziellen Programm.“ Und eben auch nicht die Stimme der Aktionsgruppe „Christen gegen den G20-Gipfel“. Etwa 20 Teilnehmer aus ganz Deutschland gehörten dazu. Eine verschwindend kleine Zahl unter den Protestlern. „Wir waren viel zu wenige, die bewusst als Christen laut geworden sind“, sagt er. „Neben unserer Aktion gab es nur weitere kleine Gruppierungen.“

Es war eine Enttäuschung, mit der er gerechnet hat, sagt Geitzhaus. „Es gibt Tendenzen, dass Christen sich mehr als Beobachter von Ungerechtigkeit in der Welt sehen.“ Im Klartext: Sie verurteilen und erklären sich solidarisch – sind aber weit entfernt von einer Konkretisierung, von einer Umgestaltung von Prozessen, von einer Verpflichtung, die Welt im persönlichen Einsatz zu verändern.

 

„Wir sind als Christen zu leise geworden“

 

„Dabei ist der Aufschrei gegen Ungerechtigkeit ein wiederkehrendes, tragendes Motiv in der Bibel“, sagt Geitzhaus. „Wir sind als Christen einfach zu leise geworden.“ In seinen Augen ist das ein vernachlässigtes Potenzial. „In Pfarrgemeinden, in Verbänden, in Predigten und Themensetzungen gibt es so viele Möglichkeiten, Christen zum persönlichen Einsatz zu motivieren.“ Papst Franziskus sei ein andauerndes Beispiel dafür.

Da reicht kein gut gemeintes Schreiben, sagt Geitzhaus. Die Solidarität für die Verlierer der Globalisierung muss für ihn handfest werden. Dafür brauche es aber ein Gefühl für die Situation, denn die Armut und das Elend, die durch die Verhältnisse verursacht würden, seien für viele kaum wahrnehmbar. Die Situation von Flüchtlingen aber durchaus, sagt er: „Wer die Lebensbedingungen dieser Menschen an sich heranlässt, wer beim Sterben auf dem Mittelmeer oder beim Leben in den Flüchtlingslagern nicht wegschaut, erkennt schnell, dass auf unserer Welt mit zweierlei Maß gemessen wird.“

 

Mehr politische Kultur

 

Insgesamt wünscht sich Geitzhaus, dass sich in der Kirche wieder mehr politische Kultur entwickelt, die beim „Aufschrei gegen Fehlentwicklungen“ Gehör finden würde. „Eine Kultur, die Papst Franziskus vorlebt, die aber alle Ebenen der Kirche erreichen muss.“ Für ihn ist das eine wichtige Voraussetzung, um glaubwürdig zu sein. „Wir können nicht für Nächstenliebe beten, aber nicht genug dafür tun.“

Die Teilnahme an einer Demonstration ausdrücklich als christliche Gruppe war für Geitzhaus ein kleiner Baustein dieser Kultur. „Wir mussten zeigen, dass so ein G20-Gipfel nicht kritik- und geräuschlos durchrutschen darf.“ Die Zeichen dagegen konnten für ihn nicht laut genug sein. Denn dem nach seiner Meinung völlig ungerechtfertigten Austausch von Staatschefs über das Schicksal völlig anderer wollten er und seine Mitstreiter so viel entgegensetzen wie möglich. „Nur keine Gewalt.“

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