Erste Generationen-Reise der Fachstelle Weltkirche

Mit den Eltern nach Auschwitz - zur Überwindung eigener Sprachlosigkeit

  • Die Fachstelle Weltkirche des Bistums Münster hatte zum ersten Mal Eltern und Kinder gemeinsam zu einer Bildungsreise in die Gedenkstätte Auschwitz eingeladen.
  • Dabei sollte die Sprachlosigkeit über den Holocaust erklärt und überwunden werden, die oft von Generation zu Generation weitergegeben wird.
  • Für die Teilnehmer waren es emotionale Tage, bei dem viel Verständnis wachsen konnte.

Anzeige

Es liegt gut 80 Jahre zurück – und wirkt immer noch nach. Da ist sich Sebastian Aperdannier von der Fachstelle Weltkirche im Bistum Münster sicher. „Intergenerative Weitergabe von Traumata“ nennt er das Phänomen: „Ereignisse, die jene Generation, die sie selbst erlebten, schwer belasten, weitervererben.“ Nicht nur den Kindern, auch den Enkeln und Urenkeln. Bei den Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes ist das nicht anders.

„Gerade die Dinge, die unausgesprochen bleiben, haben dabei eine große Wucht“, sagt Aperdannier. „Weil sie im Unterbewusstsein arbeiten und so durch Verhaltensweisen ihren Weg ins Leben der folgenden Generationen finden.“ In Gesprächen mit jungen Menschen, die ihren Freiwilligendienst im Ausland leisten, hat er das nicht selten heraushören können. Als er in den vergangenen Jahren mit ihnen die Gedenkstätte Auschwitz besuchte, war ihre Frage deutlich: „Warum haben mir meine Eltern nicht mehr davon erzählt?“

Der „schwarze Fleck“ des Schweigens

Reise-Teilnehmer vor der Foto-Wand mit Bildern der Holocaust-Opfer.
Die Gräueltaten des NS-Regimes rückten beim Besuch der Gedenkstätte ganz nah an die Reise-Teilnehmer heran – auch vor der Foto-Wand mit Bildern der Holocaust-Opfer. | Foto: privat

In diesem Jahr brach er deshalb das erste Mal mit zwei Generationen dorthin auf. Die Eltern kamen mit, um Antworten auf die Frage zu finden. Denn es ging bei der einwöchigen Reise eben auch um den „schwarzen Fleck“, wie Petra Rose es nennt. Die 52-Jährige war mit ihrer Tochter Ida mit in der Reisegruppe von 14 Personen, die sich in zwei Bullis Richtung Polen begaben. Der „schwarze Fleck“ ist für sie jene fehlende Kommunikation über die Verbrechen der Nationalsozialisten mit ihren Eltern.

Nicht, dass sie keine Gespräche mit ihnen darüber gesucht hätte. Aber sie war dabei schnell auf ein Schweigen getroffen, „das für mich ziemlich laut war“. Denn es erzählte ihr von nicht aufgearbeiteten Erlebnissen, von Schuldgefühlen, von Ängsten, die Geschehnisse wieder hervorzuholen. „So eine Wortlosigkeit ist furchtbar.“ Als ihre Mutter von ihren Reiseplanungen nach Auschwitz hörte, fragte sie: „Was willst du denn da?“

Sprachlosigkeit überspringt Generationen

Reisegruppe
Die Gruppe aus dem Bistum Münster reiste eine Woche nach Auschwitz. | Foto: privat

Eine Unsicherheit, die auch auf die nächste Generation übersprang. Durch die Sprachlosigkeit der Eltern konnte sie nichts von einer möglichen Verarbeitung an ihre sieben Kinder weitergeben. Wenn damit die Reflexion einer Generation ausfällt, entsteht ein großes Loch. „Dann stehen da nur Daten und Fakten“, sagt Petra Rose. „Nicht aber authentische Erfahrungen und Gefühle.“ Damit ist die Chance der besonderen Nähe zu den damaligen Ereignissen vergeben.

Vor diesem Hintergrund ging es nach Auschwitz, wo sich die Gruppe mehrere Tage Zeit nahm. Nicht nur um die Gedenkstätte zu besuchen. Sondern auch um in Kleingruppen und Zweiergesprächen zu arbeiten. „Wir haben dabei auch viel über unsere Familien gesprochen“, sagt Ida Rose. „Jeder konnte von dem Generationenproblem berichten.“ Die 21-Jährige erzählt von Momenten des gemeinsamen Schweigens, der tiefen Gespräche und auch der Tränen. „Einmal habe ich meine Mutter in den Arm genommen – ein Moment, in dem wir viel von der Last verstanden haben, die die Vergangenheit auch in unserer Familie hinterlassen hat.“ Ihr wurde bewusst, dass ihre Mutter diese kaum mehr aufarbeiten kann. „Die Umarmung war ein Moment, in dem wir das gemeinsam getragen haben.“

Die Scham der Großeltern

Es geht um Scham. Das haben Mutter und Tochter erfahren. Die Scham der Großeltern-Generation, irgendwie mit dem Grauen der Geschehnisse in Verbindung gebracht werden zu können. „Auch, wenn das keine direkte oder aktive Beteiligung war, so waren sie doch in ihrer Jugend nationalsozialistisch auf Linie gebracht worden und fühlten sich dadurch mitverantwortlich“, sagt Aperdannier. „So etwas wächst sich über Jahrzehnte kaum aus, wenn man nicht darüber spricht.“

Die Kulisse von Auschwitz machte für solche Erkenntnisse empfänglich. Wer das Grauen des Holocaust so deutlich vor Augen geführt bekommt, überwindet die nüchterne Betrachtung von Zahlen und Fakten. Die Emotionalität schaffte auch Raum für das gegenseitige Verständnis der Generationen, sagt Ida Rose. „Wir hatten oft das Gefühl, dass wir uns für das Erlebte keiner Sprache ermächtigen konnten – die Sprachlosigkeit meiner Großeltern wurde damit verständlich.“

Anzeige