Journalistin über Sexualmoral, das katholische Arbeitsrecht und ihre Kirchen-Erfahrungen

Moderatorin Anne Will: Überlege jeden Tag, aus der Kirche auszutreten

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Anne Will (56) gehört der katholischen Kirche an, aber hadert jeden Tag. Die bekannte Fernsehmoderatorin äußert sich im Interview auch zum Arbeitsrecht und zur Sexualmoral der Kirche.

Frau Will, im ARD-Dokumentarfilm "Wie Gott uns schuf - Coming-Out in der katholischen Kirche" haben sich Mitarbeitende der katholischen Kirche als queer geoutet. Warum haben Sie zugesagt, die Laudatio auf den Film beim Katholischen Medienpreis zu halten?

Mir war es ein Anliegen, diesen herausragenden Film auszuzeichnen. Ich finde, er verdient den Hauptpreis. Und mir war es ein Anliegen, darauf aufmerksam zu machen, dass die katholische Kirche dringend ihre Sexualmoral ändern und das Klima der Angst aufhören muss. Es gibt viele Menschen, die der katholischen Kirche positiv gegenüberstehen. Doch wenn sie für die Kirche arbeiten, dürfen sie sich nicht zu ihrer Sexualität und zu ihrer sexuellen Identität bekennen. Das finde ich ganz falsch. Und ich finde es ein Unding, dass es so etwas wie ein kirchliches Arbeitsrecht gibt. Das ist eine klare Diskriminierung.

Haben Sie den Eindruck, die katholische Kirche in Deutschland könne sich Dinge erlauben, die der Islam beispielsweise nicht dürfte?

Ja klar! Beim Islam ist der Aufschrei immer groß. Unsere Gesellschaft ist kulturhistorisch stark von der katholischen Kirche geprägt. Vieles ist historisch gewachsen. Das lässt hoffen, dass man es auch verändern kann.

Sie sind Mitglied der katholischen Kirche. Haben Sie schon einmal an Austritt gedacht?

Jede und jeder überlegt sich das fortdauernd mit jedem weiteren Verbrechen, das im Namen der Kirche und von kirchlichen Würdenträgern verübt worden ist. Gerade, was sexualisierte Gewalt angeht. Mich bestürzt, wie sehr die katholische Kirche die Aufarbeitung behindert, Fälle vertuscht, Priester versetzt, sie wieder mit Kindern zusammenarbeiten lässt und zulässt, dass sich Priester wieder an Kindern vergreifen und ihnen sexualisierte Gewalt antun. Das ist alles furchtbar. Und da habe ich jetzt noch gar nicht über #OutInChurch gesprochen und wie die Kirche mit queeren Menschen umgeht. Ja, man kann eigentlich nicht zahlendes Mitglied der katholischen Kirche sein. Und trotzdem hält mich noch etwas in der Kirche.

Sie sind lesbisch. Was hält Sie in der Kirche?

Ich komme aus einer katholischen Familie und habe in der Kirche auch Schönes erlebt. Ich denke, das hält mich noch. Aber ich überlege mir wirklich jeden Tag, ob ich nicht austreten soll.

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hat 2010 in Ihrer TV-Talkshow gesagt, Homosexualität sei Sünde und widerspreche der menschlichen Natur. Daraufhin hat er viele Protestbriefe erhalten und Gespräche geführt. Mittlerweile hat er seine Meinung geändert. Freut es Sie, dass Ihre Sendung den Anfang eines Lernprozesses markiert?

Das freut mich immer. Wann immer jemand etwas dazulernt, ist das eine große Sache. Ich weiß auch von Bischof Overbeck, dass er nach der Sendung viele Gespräche geführt hat. Er musste sich ständig erklären und ist ein bisschen in Not gekommen. Wenn ein katholischer Bischof dann sagt "Ich ändere meine Meinung", dann verdient das Respekt. Aber das reicht natürlich noch nicht.

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