Bis heute umstrittenes Thema

Münster-Attraktion oder grausames Relikt: Lamberti-„Käfige“ zeitgemäß?

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Warum hängen mit den drei Eisenkörben bis heute Hinrichtungszeugnisse am Kirchturm von St. Lamberti in Münster? Die touristische Attraktion der Stadt ist ein Dauerthema. Darüber gesprochen wurde jetzt beim Katholischen Bildungforum St. Mauritz/Konrad.

„Sollen die Täufer-Körbe am Turm von St. Lamberti am Prinzipalmarkt in Münster bleiben?“ Wenn es nach den 50 Interessierten eines Gesprächsabends des Katholischen Bildungsforums St. Mauritz/Konrad in Münster ginge, gebe es kein eindeutiges Ergebnis. Befürworter und Ablehner halten sich zahlenmäßig die Waage, so das Meinungsbild unter den Teilnehmenden.

Die Frage am Schluss seines Vortrags stellte Jan Matthias Hoffrogge, Referent für Historische Bildungsarbeit im Stadtarchiv Münster. Hoffrogge ist ein profunder Kenner über die Zeit der Wiedertäufer im 16. Jahrhundert und darüber hinaus ein Beobachter, wie die Herrschaft der Wiedertäufer bis heute die Menschen fasziniert.

Symbole der Stadt Münster

„Die Körbe sind ein Wahrzeichen der Stadt, eine touristische Attraktion, sie gehören zur Erinnerungskultur und zählen zu den Symbolen, die jede Stadt braucht“, sagte Hoffrogge. Die Lambertikirche, der Schwan am Aasee und der Kran am Hafen – das seien Symbole, die für Münster ständen.

Schnell die Körbe abzuhängen, um an die Zeit der Wiedertäufer nicht mehr zu erinnern, ist für Hoffrogge eine zu simple Lösung: „Mein Plädoyer ist, die Körbe am Turm von St. Lamberti zu belassen – aber anders zu nutzen, zum Beispiel mit einer Lichtinstallation an besonderen Tagen und vor allem mit Hinweistafeln, die diese Körbe erklären“, sagte der Historiker. Auch wenn Münster sich als Friedensstadt verstehe, könne man die jeweils 250 Kilogramm schweren und 1,80 Meter großen Eisenkörbe am Turm als Erinnerungsort hängen lassen.

Körbe oder Käfige?

Für Hoffrogge handelt es sich um Körbe und nicht um Käfige. Diese Unterscheidung sei wichtig: „In einem Käfig werden Lebewesen zur Schau gestellt, Menschen oder Tiere. Ausgestellt wurden 1536 aber die drei Leichname, nicht die noch lebenden Gefolterten.“

Bei den Toten handelte es sich um die Anführer der Wiedertäufer-Herrschaft Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling. Sie wurden 1535 gefangen genommen, nachdem Truppen des Bischofs Franz von Waldeck die Stadt eroberten und die dreijährige Herrschaft der Wiedertäufer beendeten.

Grausame Hinrichtung

Im Januar 1536 wurden die drei Anführer gefoltert und hingerichtet. Anschließend legte man ihre Leichname in Eisenkörbe und hängte diese an der Lambertikirche auf. Jeder Bürger sollte sehen, wie gefährlich es war, sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen.

Die Körbe sollten als Warnung und Abschreckung „für alle unruhigen und aufrührerischen Geister der Gegenwart und der Zukunft“ dienen, wie es hieß. Die Körper der Hingerichteten wurden nicht bestattet. Man ließ sie in den Körben, bis nichts mehr von ihnen übrig war.

Zerstörung des Lambert-Kirchturms

Die Wiedertäufer und die Körbe sind im Lauf der Geschichte immer wieder als Wertmaßstab benutzt worden. Geschaffen wurde ein regelrechter „Wiedertäufer-Mythos“. Die Körbe seien schnell zum Wahrzeichen der Stadt geworden, erklärte Hoffrogge: „Jeder Besucher, jeder Durchreisende berichtete von ihnen. Gelegentlich hieß es, die drei Wiedertäufer-Anführer seien wie wilde Tiere ausgestellt worden, was aber nicht den historischen Tatsachen entspricht.“

Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Körbe für einige Jahre abgenommen, um sie restaurieren und anderweitig in Münster auszustellen. Im Zweiten Weltkrieg zerstörte ein Bombenangriff 1944 Teile des Lamberti-Kirchturms: Dabei stürzte ein Korb in einen Bombentrichter auf dem Kirchplatz, ein zweiter auf die Orgelbühne, der dritte blieb über der Kirchturm-Uhr hängen. 1948 erfolgte der Wiederaufbau des Turms mit den drei Körben.

Kunst im öffentlichen Raum

Im Rahmen der Ausstellung „Skulptur im öffentlichen Raum“ schuf Lothar Baumgarten die Installation „Irrlichter“ und hängte in die Körbe jeweils eine elektrische Glühbirne, die an die Seelen der drei Wiedertäufer erinnern sollten. Während der „Skulptur-Projekte Münster 2007“ stellte die amerikanische Künstlerin Martha Rosler drei weitere Körbe vor dem Eingang der Stadtbücherei aus.

Seit der künstlerischen Auseinandersetzung mit den zu Symbolen gewordenen Körben stellten sich viele die Frage, ob ein Zur-Schau-Stellen von Instrumenten der Strafjustiz aus einer Zeit religiös motivierter Grausamkeiten noch zeitgemäß sei, sagte Hoffrogge. Auch dürfe man fragen, wie die „Himmelsleiter“ von Billi Thanner zu interpretieren sei, als diese direkt über den Körben installiert worden sei.

Karnevalisten nennen sich „Wiedertäufer“

Jeder und jede sehe in den Körben etwas anderes: Touristen schätzen sie als interessantes Foto-Motiv, historisch Interessierte als Symbol für die Schreckensherrschaft der Wiedertäufer und als Machtanspruch der katholischen Kirche. Die Lamberti-Körbe und die Wiedertäufer hätten immer wieder Menschen dazu gebracht, diese wieder ins Gedächtnis zu rufen, sagte der Mitarbeiter des Stadtarchivs.

So gebe es in Münster beispielsweise den Karnevalsverein „Die Wiedertäufer“. In den 1970er und 1980er Jahren hätten linksalternative Studenten in Münster ihr Stadtmagazin „Knipperdolling“ genannt.

Sollen die Lamberti-Körbe in Münster hängen bleiben?
Ja, auf jeden Fall. Sie gehören zur Stadtgeschichte.
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Ja, aber eine bessere Erklärung wäre notwendig.
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Nein, dieses grausame Relikt gehört abgebaut.
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Ich habe (noch) keine Meinung dazu.
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