Premiere am 18. September in Nordwalde

Musik-Experiment: Wenn eine Friedhofskapelle zum Konzertort wird

  • In der Friedhofskapelle Nordwalde findet erstmal ein Nachtkonzert statt.
  • Wo sonst Särge aufgebahrt sind und getrauert wird, spielen erstmals nachts eine Gambensolistin, ein Cembalo-Organist, begleitet von drei Solosängern italienische Liebeslieder.
  • Kirchenmusiker Schlepphorst ist überzeugt, dass es sich lohnen könne, die festgefügten Vorstellungen zu überdenken: „Dann kommt auch mal ein Konzert auf dem Friedhof dabei heraus.“

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„Man muss Denklinien auch überschreiten“. Thorsten Schlepphorst steht in der Friedhofskapelle Nordwalde, einem Klinkerbau aus den 1980er-Jahren. An den Wänden ringsum hängen Kreuzwegstationen. Das Leiden Jesu, in großen geschnitzten Holzrahmen, ist darin auf Leinwand gebannt. Licht flutet durch das schräge Dach. Draußen vor der Tür zieht sich eine junge Frau mit ihren zwei kleinen Kindern eine Grabkerze aus dem Automaten.

Für den langjährigen Kirchenmusiker der Pfarrei St. Dionysius Nordwalde kam die Idee, ein Konzert an diesem eher ungewöhnlichen Ort zu organisieren, fast folgerichtig: „Ich bin ja mindestens einmal die Woche hier und begleite eine Beerdigung“, sagt er und deutet auf die holzverkleidete elektronische Orgel, die neben dem Eingangsbereich steht. Mit dem Bachschen Orgelzyklus von Professor Ludger Lohmann an der Nordwalder Barockorgel sowie vielen kleineren Auftritten hatte die Nordwalder Kirchenmusik auch durch Corona hindurch Bemerkenswertes auf die Beine gestellt. Warum also nicht Denklinien überschreiten, den Horizont erweitern und ein Konzert in einer Friedhofskapelle anbieten?

 

Keine dröhnenden Klänge

 

 Friedhofskapelle in Nordwalde.
Wo sonst getrauert wird, findet erstmals ein Konzert statt: In der Nordwalder Friedhofskapelle. | Foto: Marie-Theres Himstedt

Modern geht es auf dem Nordwalder Friedhof ohnehin zu. Just wurde mit dem Grabfeld „Arche des Friedens“ ein weiterer Schritt in Richtung innovative Bestattungskultur vollzogen: Hier können sich Menschen in kleinen Parzellen bestatten lassen und in dem besonders gestalteten „Friedhof im Friedhof“ die Pflege direkt mitbuchen.

Dort, wo sonst eher geschwiegen wird, werden auch beim „besonderen Nachtkonzert“ am 18. September keine dröhnenden Klänge zu hören sein: Die aus Potsdam stammende Juliane Laake, eine der versiertesten Gambisten des Landes, wird Auszüge ihres aktuellen Programms „Viola Appassionata - von der Liebe und der Finsternis“ vortragen. Begleitet wird sie von den Klängen eines Spinetts, „einem Cembalo für das Wohnzimmer, wenn man so will“, erläutert Schlepphorst, der das Instrument an dem Abend spielt. Katharina Brodesser, Judit Kumpmann und Denis Kumpmann aus dem Kammerchor „Venestra Music“ vervollständigen als Solosänger das Ensemble des Nachtkonzerts, das um 21.30 Uhr beginnt.

 

Musik schlägt eine Brücke

 

Friedhof Nordwalde.
Idylle auf dem Nordwalder Friedhof, wo sich auch das Grabfeld der Krankenschwestern vom 3. Orden des Hl. Franziskus Münster befindet. | Foto: Marie-Theres Himstedt

In Nordwalde werden Stücke aus der Tradition der Madriagale präsentiert, italienische und französische Lieder, die von ihrer Entwicklung aus der Tanzmusik her entstanden seien, um Gefühle auszudrücken. Das Nachtkonzert ist stark an den ersten Korintherbrief „Wenn ich die Liebe nicht hätte…“ angelehnt: „Musik schlägt hier eine Brücke zu dem Raum, in dem normalerweise getrauert wird“, ergänzt Thorsten Schlepphorst. Die Verbindung von Friedhofskapelle und Konzertort passe einfach, zumal die Gambensolistin Laake bereits häufiger in Nordwalde zu Gast war.

Gamben waren nahezu verschwunden aus der modernen Musiklandschaft. Im 17. Jahrhundert, zur Hochzeit des eleganten Instruments, das äußerlich an ein Cello erinnert, hatten sich zwei Streichergruppen entwickelt, die Gambe und die Violine: „Von den Gamben hat in der klassischen Zusammensetzung des Symphonieorchesters nur der Kontrabass überlebt“, sagt Thorsten Schlepphorst. Die im Gegensatz zur Violine leiser klingende Gambe rutschte aus der öffentlichen Wahrnehmung, bis Solisten sie wieder zu Gehör brachten – zum Beispiel beim Nachtkonzert auf dem Friedhof: „Es wird emotional“, bringt es Schlepphorst, der auch Vorsitzender des Verbandes der Kirchenmusiker im Bistum Münster ist, auf den Punkt: „Es ist doch passend, von der Liebe zu spielen, an einem Ort, wo Angehörige, Freunde, Kollegen sich von ihren Liebsten und liebgewonnenen Menschen verabschieden.“

 

Begräbnisseelsorgerin: Tod mehr ins Leben holen

 

Da kann Andrea Beenen, die in der Kirchengemeinde als Begräbnisseelsorgerin arbeitet, nur zustimmen: „Meiner Meinung nach müssen wir den Tod mehr ins Leben holen. Der Tod und dazu gehört auch der Friedhof sollen nicht ausschließlich Finsternis und Ende bedeuten, viel mehr dürfen wir hier empfinden: Begegnung, Leben, Auferstehung und Liebe“, sagt die vierfache Mutter auf Anfrage von „Kirche-und-Leben.de“. Ein liebevoll gestaltetes Konzert könne trauernde Angehörige Hoffnung und Zuversicht geben: „Das Leben geht weiter“, meint Beenen, die 2019 mit 15 weiteren Teilnehmern ihre Ausbildung beim Bistum Münster zur Begräbnisseelsorgerin abgeschlossen hat. „Die Liebe Gottes trägt über den Tod hinaus. In Worten schwer zu verstehen, aber durch Musik vielleicht liebevoll spürbar.“

Nachtkonzert in Nordwalde
Für das Nachtkonzert „Viola Appassionata - von der Liebe und der Finsternis“, am 18. September, Katholischer Friedhof Nordwalde, Altenberger Str. 39, um 21.30 Uhr mit Gambe, Spinett und Gesang sind nur noch wenige Karten verfügbar, der Platz ist auf 50 Besucher ausgelegt. Bei erhöhter Nachfrage wird am Sonntag, 19. September, eine Matinee angeboten. Informationen im Messenger-Kanal „Telegram“ unter „Kirchenmusik Nordwalde“ oder auf der Internetseite https://www.kirchenmusik-nordwalde.de/

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