Luca Wünnemann macht ein Freiwilliges Soziales Jahr

Nach dem Abi für ein Jahr ins Hospiz

Luca Wünnemann hat gerade Abitur gemacht und spielt leidenschaftlich gerne Fußball. Ein typischer 19-Jähriger, sollte man meinen. Seit August macht er ein Freiwilliges Soziales Jahr. Nicht irgendwo, sondern da, wo er Tag für Tag mit dem Tod in Kontakt kommt.

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Luca Wünnemann räumt in der Küche die Spülmaschine aus. Er nimmt zwei weiße Tassen, trocknet sie mit einem Tuch noch einmal nach und stellt sie in den Schrank. Kurz unterhält er sich mit einer Bewohnerin und scherzt mit ihr. Nur ein wenig Smalltalk. Und doch ist es so wichtig.

Luca absolviert gerade sein FSJ, das Freiwillige Soziale Jahr, im Johannes-Hospiz Münster. Dort, wo der Tod zum Alltag gehört, schenkt Luca anderen Menschen seine Zeit. Das Gut, das den sterbenskranken Bewohnern des Hospizes so knapp ist. „Aber im Hospiz schenken wir den Tagen Leben und nicht dem Leben Tage“, sagt der 19-Jährige und zeigt, dass er den Leitspruch des Hospizes bereits verinnerlicht hat.

 

„Die meisten haben Berührungsängste“

 

Im Sommer hat Luca sein Abitur absolviert: „Mir war direkt klar, dass ich ein FSJ machen möchte.“ Auf der Internetseite des Bistums informierte er sich über geeignete Stellen und stieß auf das Johannes-Hospiz: „Danach ging alles ziemlich schnell. Ich habe einen Tag lang hospitiert und mich dann dazu entschlossen, hier zu bleiben. Ich fand das Hospiz vor allem spannend, weil man eher selten etwas damit zu tun hat und die meisten Menschen Berührungsängste haben.“

Die Spülmaschine ist fertig ausgeräumt. Der 19-Jährige mit den blonden, hochgegelten Haaren und blauen Augen schnappt sich die Essensliste und geht die Treppe hinauf. Er klopft bei einem Bewohner. An der weißen Tür hängt ein Kranz aus Zweigen mit einem Engel, Sternen und Tannenzapfen. „Merry Christmas“ steht auf einer braunen Holztafel. Luca öffnet die Tür: „Hallo, ich wollte den Essensplan abgeben“, erklärt er.

 

Einiges zu tun

 

Die Bewohner können zwischen verschiedenen Menüs wählen. Manche füllen die Liste selbst aus, bei anderen geht Luca das Angebot gemeinsam mit ihnen durch. Einige haben gerade Besuch und wollen ihr Menü später auswählen. Luca nimmt die Bestellungen auf und leitet sie weiter. Seine Aufgaben sind jedoch vielfältiger: „Morgens ist der Tag eigentlich immer ziemlich gleich. Ich fange um neun Uhr an, mache die Kaffeemaschine sauber und fülle die Flaschen und Gläser auf. Dann sammle ich die Wäsche ein und stelle die Maschine an.“

Jeden Morgen frühstücken die Mitarbeiter des Hospizes gemeinsam: „Das ist immer ein netter Ausgleich, und wir sprechen über andere Themen als das Hospiz. Das Team ist echt klasse.“

Wenn das Mittagessen geliefert wird, können die Bewohner entscheiden, wann und wo sie essen wollen. Einige bleiben lieber alleine in ihrem Zimmer, während andere gemeinschaftlich in der Küche essen und sich in entspannter Atmosphäre mit den Mitarbeitern unterhalten.

 

„Alle wissen, warum sie hier sind“

 

Nachmittags verläuft jeder Tag anders. Mal fällt etwas Spontaneres an, wie die Reparatur des Küchenradios, oder die Bewohner wünschen sich etwas. Letztens hat Luca beispielsweise mit einem Bewohner „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt. Der Kontakt mit den Menschen gefällt ihm besonders: „Das ist das Schöne an meinem FSJ: Es gibt Dinge wie Wäschewaschen, die man einfach machen muss. Gleichzeitig kann man aber auch in Kontakt mit den Bewohnern treten.“

Diese sind sehr verschieden, wie Luca erzählt. Während die einen sich „pudelwohl“ fühlen, sind andere in ihrer Situation eher verschlossen, öffnen sich aber mit der Zeit. Doch möchte jemand wirklich wenig Kontakt, wird auch das im Hospiz respektiert. Der 19-Jährige geht normal mit den Bewohnern um: „Alle wissen, warum sie hier sind. Da muss man sie nicht mit Mitleid nochmal daran erinnern. Wir wollen ihnen die Zeit so angenehm wie möglich machen.“

 

Und nach Feierabend?

 

Nach Feierabend kann Luca das Geschehene gut abstreifen: „Es ist wichtig, eine gewisse Distanz zu bewahren. Manchmal rede ich auch mit meinen Eltern über das, was am Tag so passiert ist. Mit der Zeit weiß ich besser damit umzugehen.“ Gelernt hat Luca in seiner bisherigen Zeit im Johannes-Hospiz bereits viel: „Ich schaue schon anders auf das Leben und weiß meine eigene Gesundheit auch viel mehr zu schätzen. Dafür bin ich echt dankbar.“

Auch die Bewohner wissen den FSJler zu schätzen. „Luca ist eine gute Seele hier im Haus. Er ist immer eine große Hilfe für die kleinen Dinge, mit denen man die Schwestern zwar nicht nerven möchte, sie aber auch nicht alleine schafft“, erzählt die ehemalige Berufsschullehrerin und Bewohnerin Silke Thoma-Muhs und ergänzt: „Er verbreitet gute Laune. Ich freue mich immer, wenn er da ist.“

 

„Ein Tabu-Thema - schade“

 

Dass ein Hospiz ein Tabu-Thema ist, findet Luca schade: „Viele Freunde haben mir anfangs gesagt: ›Das könnte ich nicht.‹ Die meisten Menschen wissen nichts vom Hospiz, weil sie nie damit Kontakt hatten. Wenn man einmal hier ist, merkt man, dass keine Trauerstimmung herrscht. Es ist ein lebendiger Ort mit Mitarbeitern, die gute Stimmung verbreiten. Ich fände es schön, wenn sich mehr Leute damit befassen würden.“

Zum 1. August sucht das Johannes-Hospiz einen neuen FSJ-Absolvierenden. Informationen dazu und zu Spenden für das Hospiz gibt es unter www.johannes-hospiz.de.

Im Johannes-Hospiz gibt es elf Zimmer, von denen zehn dauernd belegt sind. Leiter Michael Roes kennt das Leben im Hospiz: „Im Schnitt verbringen die Menschen hier sechs bis 27 Tage. Das kann von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Monaten variieren.“ Das Alter der Bewohner sei ebenso unterschiedlich. Auch 50-Jährige verbringen ihre letzten Tage im Hospiz.

 

Bewohner im Mittelpunkt

 

Doch diese Zeit sollen die Bewohner würdevoll leben können. „Die Menschen hier sind schwerkrank und sollen deshalb neben der medizinischen und pflegerischen Versorgung vor allem Aufmerksamkeit und Beachtung erfahren“, erklärt Roes. All das soll in einem normalen Umfeld geschehen.

Neben den 25 Festangestellten sind ungefähr 60 Ehrenamtliche im Hospiz aktiv: Sie sprechen mit den Bewohnern oder singen, begleitet von der Gitarre. Auch auf individuelle Wünsche, zum Beispiel ein Gang in die Stadt, gehen, wenn möglich, die Mitarbeiter ein.

 

Ein Haus voller Leben

 

„Ich nenne das hier immer gerne eine große Wohngemeinschaft“, berichtet Sabine Lütke Schwienhorst, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Und tatsächlich: Das Hospiz wirkt wie ein großes Haus voller Leben. Es ist gemütlich eingerichtet. In der Küche läuft ein Radio. Es wird viel geredet und auch herumgealbert.

Und doch gehört der Tod im Hospiz zum Alltag: Im Flur und auf dem Küchentisch brennt eine Kerze. Das bedeutet, dass einer der Bewohner verstorben ist. Der erste Tod im Hospiz kam sehr abrupt, erinnert sich Luca: „Das war dann schon traurig. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es mir egal war.“ Man müsse sich jedoch immer bewusst machen, warum die Bewohner da sind.

Im Juli 2018 endet Lucas FSJ. Dann beginnt er eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann. Danach? „Mal schauen.“

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