Jede fünfte Frau bei der Caritas-Schwangerenberatung kommt aus Syrien

Nach der Flucht – Kinderwunsch im fremden Land

Die nördlichste katholische Schwangerenberatung im Bistum Münster steht in Wilhelmshaven Frauen bei. Die Hälfte der Hilfesuchenden sind Zuwanderer mit unsicherer Zukunft. An einen Schwangerschaftsabbruch denkt trotzdem keine – im Gegenteil.

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Das „Ob“ ist fast nie ein Thema für sie. Ob eine Frau ihr Kind austragen soll? Ob es nicht zu viel wird? Ob die Familie das alles schafft?

Marion dos Santos Sousa schüttelt den Kopf. Sie fasst ihre Erfahrungen mit den Frauen, mit denen sie es in der Schwangerenberatung der Caritas in Wilhelmshaven seit kurzem immer mehr zu tun hat, in eine Zahl: „99,9 Prozent der Frauen aus arabisch sprechenden Ländern wollen ihr Kind, freuen sich drauf, wünschen es sich sehnlichst. Nur: Sie brauchen Hilfe.“

 

Immer mehr Flüchtlingsfrauen

 

Immer mehr Flüchtlingsfrauen – die Beratungsstelle in der Hafenstadt bildet da keine Ausnahme unter den 20 katholischen Beratungsstellen im Bistum. Überall ist der Anteil hilfesuchender Frauen aus dem außereuropäischen Ausland deutlich gestiegen.


Monika Stamm. | Foto: Michael Rottmann

In Wilhelmshaven machen sie derzeit rund die Hälfte der mehr als 430 Frauen, Paare und Familien aus, um die Beraterin Marion dos Santos Sousa und ihre Kolleginnen sich kümmern. Frauen aus Afrika, Asien oder vom Balkan. Aus ihrer aktuellen Liste zählt sie einige der etwa 40 Herkunftsländer auf: Irak, Syrien, Vietnam, Armenien, Bulgarien, Türkei, Eritrea, Gabun, Albanien, Afghanistan.

 

Junge Mütter, die jetzt Kinder wollen

 

Manche von ihnen haben die Helfer vom „Café International“ an die Beratungsstelle vermittelt. Der wöchentliche Treff im Pfarrsaal der St.-Willehad-Gemeinde versteht sich als Anlaufstelle und Kontaktbörse für Wilhelmshavener und Zugewanderte – und als Teil des Hilfsnetzes der Kirche.

Auch dort gehören schwangere Frauen immer mehr ins Bild. „Kein Wunder“, meint Monika Stamm, die für die Caritas die ehrenamtliche Arbeit koordiniert, „durch die Zusammenführung von Familien treffen sich junge Paare wieder, die sich zum Teil lange nicht gesehen haben. Bei denen steht das Thema Familie eben jetzt an.“

 

Sie vertrauen dem Caritas-Zeichen

 

Manche fragten nach Caritas-Angeboten. „Unter den Flüchtlingen ist das Caritas-Zeichen sehr bekannt und genießt einen guten Ruf. Viele kennen es schon aus ihrer Heimat“, sagt Monika Stamm und erzählt von einer muslimischen Frau:  „Das habe ich auf der Flucht gelernt“, habe sie ihr gesagt, „zu den Christen kann man kommen, wenn man Hilfe braucht.“


Hinweisschild der Caritas-Schwangerenberatung in Delmenhorst. | Foto: Michael Rottmann

Auch wenn die Zahl der Flüchtlinge abnimmt, die Nachfrage in der Schwangerenberatung bleibe auf konstant hohem Niveau, sagt Marion dos Santos Sousa. Jede fünfte Klientin in Wilhelmshaven stammt derzeit aus Syrien. Frauen, die eine schwierige Flucht hinter sich und eine ungewisse Zukunft vor sich haben. Stellt sich da bei der einen oder anderen vielleicht auch die Frage nach einem Abbruch der Schwangerschaft? „So gut wie nie“, antwortet die Beraterin, schüttelt den Kopf. „Im Gegenteil.“

 

Hilfe auch bei Kinderwunsch

 

Im Gegenteil? Sie erklärt lächelnd: „Da geht es eher schon mal um eine Kinderwunsch-Behandlung. Etwa, wenn es in der Ehe einer 19-Jährigen nach sechs Monaten noch nicht mit einer Schwangerschaft geklappt hat – immer noch nicht.“

Damit habe sie häufiger mal zu tun.  „Der Wunsch nach Kindern ist gerade bei Arabisch sprechenden Frauen groß. Kinder werden als Reichtum empfunden.“ Zwar kennt die Beraterin auch Ausnahmen: Frauen, die sich über Verhütung informieren wollen. „Zum Beispiel, weil sie festgestellt haben, dass noch mehr Kinder die Integration schwieriger machen.“ Aber das komme selten vor.

 

Die Sprache ist ein Problem

 

19 Jahre als Schwangeren­beraterin bei der Caritas hat die Sozialarbeiterin hinter sich. Davor war sie Krankenschwester. Seit ihrem Ruhestand in diesem Sommer ist die 63-Jährige immer noch stundenweise im Einsatz und jetzt mit ganz neuen Broschüren, auf Arabisch. Die haben die Beraterinnen drucken lassen, als sie  nach 2015 in Flüchtlingsheimen unterwegs waren. Die Zahl der Ankommenden war gerade deutlich angestiegen. Und damit auch die Zahl der Flüchtlingsfrauen in der Schwangerenberatung, um fast ein Viertel. Das stellte die Caritas vor neue Fragen: Wie verständigt man sich, wenn Frauen kein Deutsch sprechen? Wie erklärt man, welche Hilfen es gibt oder welche Dokumente gebraucht werden? Wie vereinbart man einen Termin?

Auf Arabisch können die Frauen das jetzt selber nachlesen. Es gibt Hinweise auf die Baby-Kleiderkammer, auf Beihilfen, Infoabende, Adressen arabisch sprechender Ärzte. Ab und zu präsentieren sie Marion de Santos Sousa dann später freudestrahlend ihre Kinder, bedanken sich mit Gebäck für die Hilfe oder schicken ein Kinderfoto für die Pinnwand.

Erstmals sind islamische Frauen die größte konfessionelle Gruppe
Der zwischenzeitlich Anstieg der Flüchtlingszahlen hat nachhaltige Auswirkungen auf die Arbeit der 20 kirchlichen Beratungsstellen für Schwangere im Bistum Münster. Der Anteil der aus dem nichteuropäischen Ausland stammenden Klientinnen hat sich seit 2015 verdoppelt (von 1364 auf 2771); 2017 stammte fast jede vierte Frau nicht aus Europa, davon der Großteil aus Syrien. Die Gesamtzahl der Beratungsfälle stieg in diesem Zeitraum um 6 Prozent, von 10 748 auf 11 419. Diese Entwicklung erkläre sich eindeutig durch Frauen aus Kriegs- und Krisengebieten, heißt es dazu im vom Diözesan-Caritasverband jetzt veröffentlichen Jahresbericht. Das spiegelt sich auch wider in der Religionszugehörigkeit. Erstmals machten 2017 muslimische Frauen in den Beratungsstellen im NRW-Teil des Bistums die größte Gruppe unter den Konfessionen aus. Ihr Anteil lag bei 36,2 Prozent, 34,5 Prozent waren katholisch, 12,6 Prozent evangelisch. Geldsorgen rückten dabei stärker in den Vordergrund. Das hat sich mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen noch verstärkt. Nannten 2015 weniger als 60 Prozent der beratenen Frauen ihre finanzielle Situation belastend, waren es 2016 mehr als 80 Prozent.