Was hilft, wenn Ruhe einkehrt und das Nachdenken beginnt?

Nach der Flut: Was tun, wenn Trauer und Trauma einsetzen?

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Bis die Betroffenen der Flutkatastrophe das Ausmaß ihrer Verluste und ihrer Trauer ganz erfassen, wird es noch dauern, sagen Experten. Und was, wenn es soweit ist?

Momentan seien die Menschen im "Funktionsmodus", sagt die Trauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper. Sie sieht darin durchaus Vorzüge. Nach der Flut wird sehr deutlich: Wer anpackt, kommt voran, schafft sich Raum, tut etwas gegen Chaos und Ohnmachtsgefühle. Wenn die unmittelbare Gefahr vorbei ist und die gröbsten Trümmer beseitigt sind, kommt jedoch oft Anderes an die Oberfläche: Traurigkeit, Ängste, Traumata.

Heiko Marquardsen, Priester in Ahrweiler, ist besorgt: "Ich habe Angst vor dem Moment, wo nichts mehr zum Schippen da ist, wo Warten angesagt ist, die Menschen Zeit haben zum Denken und zum Sprechen." Dann werde es professionell ausgebildete Kräfte brauchen, die den Betroffenen zur Seite stünden.

 

"Die Seele braucht Zeit"

 

Für den Malteser Hilfsdienst ist die psychosoziale Unterstützung rasch in den Fokus gerückt. Von körperlicher Anstrengung erhole sich der Mensch verhältnismäßig schnell, erklärt Präsident Georg Khevenhüller. "Die Seele aller - Betroffener wie Helfer - aber braucht Zeit."

Manche seelische Wunde ist tief. Der Verlust allen Hab und Guts ist ein Schock, die Sorge um das eigene Zuhause hat vielen Betroffenen zugesetzt. Andere mussten mitansehen, wie Nachbarn ertranken oder sind selbst nur knapp dem Tod entronnen.

 

"Auch der Stärkste muss auftanken"

 

Ihnen müsse man beistehen, sagt der evangelische rheinische Präses Thorsten Latzel. Vor Ort stehe momentan "keine Interpretation oder Deutung an, sondern es geht darum, dass man einfach nur dem anderen Menschen etwas zuruft, ihm Mut macht".

Auch er beobachtet, dass viele Menschen "noch in der ersten Krisenreaktionsphase" sind. "Denen ist noch gar nicht so viel nach Reden zumute. Die packen einfach an", sagt Latzel, der tagelang im Hochwassergebiet unterwegs war. Allerdings, betont Trauerbegleiterin Schroeter-Rupieper: "Auch der Stärkste muss einmal durchatmen und auftanken."

 

Wie ein Trauerfall

 

Es werde immer jemanden geben - im Ort, im Freundeskreis, unter den Helfern -, der alles zusammenhalte, sagt die Expertin. Das zu wissen, könne Einzelne entlasten: "Wenn der eine nicht mehr kann, übernimmt jemand anders." Wichtig sei, sich gegenseitig zu ermutigen - und sich Erholungspausen zuzugestehen.

Mittelfristig brauche auch die Traurigkeit ihre Zeit, sagt Schroeter-Rupieper. Sie vergleicht die Situation mit einem Todesfall im engen Umfeld: Direkt danach kämen viele Hilfsangebote, Menschen erkundigten sich, übernähmen Besorgungen für Trauernde. Nach einer Weile lasse das Interesse jedoch nach.

 

Hilfs-Gutscheine für später

 

"Momentan sind die Trümmer sichtbar, aber die Betroffenen werden auch in einem Jahr noch Hilfe brauchen." Eine Möglichkeit sei, Gutscheine auszustellen, die Flutopfer in ein paar Monaten einlösen könnten.

Raum für Klage bieten - auf diesem Feld sieht die evangelische Regionalbischöfin Petra Bahr künftig auch die Kirchen gefragt. "Hier muss ein Ort sein für das Erzählen, das stockende, hektische, verzweifelte oder tieftraurige Erinnern der Bilder und Erlebnisse", schreibt sie in der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt".

 

Akute und langfristige Hilfe

 

Von ersten entsprechenden Einblicken berichtet die Telefonseelsorge. Einzelne Anrufe oder Chats ließen erahnen, "wie es in vielen Menschen aussieht", teilt die Organisation mit.

Psychologen unterscheiden zwischen akuter und langfristiger Therapie. In der Akutphase sei Ablenkung sinnvoll, erklärt die Vizedirektorin der psychiatrischen Uniklinik in Bonn, Ulrike Schmidt, im "Spiegel".

Langfristig sei es dagegen wichtig, intensiv über traumatische Erlebnisse zu sprechen. Wie lange die Verarbeitung dauere und welche Therapie angemessen sei, hänge von verschiedenen Faktoren ab. Die Gesellschaft müsse sich darauf besser einstellen und derartige Probleme nicht in die Nische drängen, fordert Schmidt: "Wenn man nicht allein ist bei der Traumatisierung, hilft das enorm."

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