Diskussion in Heilig-Geist-Münster

Nach Eklat um Predigt von Zurkuhlen: Heftige Kritik aus der Gemeinde

Zu einem Diskussionsabend über eine umstrittene Predigt des emeritierten Pfarrers Ulrich Zurkuhlen (79) über Vergebung und Missbrauch hatte die Heilig-Geist-Gemeinde in Münster eingeladen.

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Acht Tage nach dem Eklat infolge einer umstrittenen Predigt des emeritierten Pfarrers Ulrich Zurkuhlen (79) in der Heilig-Geist-Kirche in Münster haben sich die Besucher einer Diskussionsveranstaltung am Montagabend unvermindert betroffen gezeigt. Von Fassungslosigkeit, Trauer, Schock, Unverständnis und Wut war die Rede. Organisiert hatte das Gespräch die Pfarrgemeinde selbst. Mehr als 100 Teilnehmer waren der Einladung gefolgt, darunter zahlreiche Gottesdienstbesucher, die persönlich die Predigt von Zurkuhlen gehört hatten.

„Wir wollen Ihnen Gelegenheit geben, ihren Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen“, sagte der leitende Pfarrer Stefan Rau zu Beginn. Zurkuhlen selbst war auf eigenen Wunsch nicht gekommen. Nach der Sommerpause könne es womöglich eine weitere Veranstaltung geben, an der gegebenenfalls auch Zurkuhlen teilnehmen könne, sagte Rau.

 

Wie kann man Ehe mit Missbrauch vergleichen?

 

Moderiert wurde der Abend von der Präventionsbeauftragten im Bistum Münster, Beate Meintrup, und dem Supervisor Michael Sandkamp. Beide sprachen zunächst jene Teilnehmer an, die bei der Predigt dabei gewesen waren. Es ginge ihnen darum, die Stimmen und die Eindrücke vom Ablauf der Ereignisse zu sammeln.

Auf Unverständnis stieß bei zahlreichen Teilnehmern vor allem, dass in der Predigt ein Zusammenhang von Ehefrauen, die über ihre Männer lästern, und Vergebung und Missbrauch hergestellt wurde. „Wie kann man eine Ehe mit einem sexuellen Akt an einem Menschen vergleichen, der das gar nicht will?“, fragte ein Mann: „Das finde ich total daneben.“

 

Predigt als frauenfeindlich empfunden

 

Einige Teilnehmer erklärten, sie hätten die Predigt als „frauenfeindlich“ empfunden. „Was machen wir Frauen falsch, dass wir so schlecht wegkommen?“, fragte eine. Ein Mann bestätigte, er habe sich bei der Schilderung der lästernden Frauen schon unwohl gefühlt. Noch schlimmer sei es geworden, als Zurkuhlen den „Schlenker auf den Missbrauch machte“.

 „Zurkuhlen ist ein Vertreter der Kirche.“ Wenn er fordere, dass die Opfer von Missbrauch den Tätern vergeben müssten, „empfinde ich das, als würde der Priester uns als Gemeindemitglieder missbrauchen“.  Dem emeritierten Pfarrer habe die Sensibilität gefehlt, die Betroffenheit der Gemeinde überhaupt wahrzunehmen, sagte eine andere. „Er wollte den Gottesdienst durchziehen. Das ist wie in den Sechzigerjahren“, kritisierte sie.

 

„Kein Tumult“

 

Zahlreiche Diskussionsteilnehmer erklärten, dass es einen Tumult oder gar einen „schreienden Mob“, wie von Zurkuhlen behauptet, während der Predigt nicht gegeben habe und auch nicht danach. Die Menschen hätten die Kirche still verlassen.

„Ich war fassungslos. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte“, sagte eine Teilnehmerin, die geblieben ist. „Ich meine gehört zu haben, dass Zurkuhlen sogar die Frage gestellt hat: Wie sollen die Täter weiterleben, wenn ihnen die Opfer nicht vergeben?“

 

„Was hier im Kleinen passiert, macht die große Krise der Kirche aus“

 

Das Gefühl, sich verhört zu haben, äußerten mehrere Teilnehmer. „Mein Sohn war Messdiener und hatte Tränen in den Augen“, erinnerte sich eine Frau. Auch sie habe das Gefühl gehabt: „Hast du das jetzt falsch verstanden?“

„Ich kann jetzt unmöglich singen“, beschrieb eine Chorsängerin ihre Lage. Zurkuhlen habe zwar Verständnis für die Täter, aber keines für die Opfer gezeigt, kritisiert ein Mann. „Was hier im Kleinen passiert, das macht letztlich die große Krise der Kirche aus: Frauenfeindlichkeit und der Umgang mit Sexualität“, erklärte ein Mann.

 

„Akt der Selbstermächtigung der Gemeinde“

 

„Das ist wieder etwas, für das ich mich schämen muss“, erklärte ein Vater dreier Kinder. „Die Kirche ist mein Zuhause, ich bin nicht in der Lage zu gehen. Aber wie kann ich dabeibleiben?“, fragte er mit gebrochener Stimme.

So schrecklich der Gottesdienst gewesen sei, es sei doch gut gewesen, dass „wir aufgestanden und rausgegangen sind“, sagte jemand. Andere Teilnehmer empfanden das als „Akt der Selbstermächtigung der Gemeinde“. Es sei „ein Markenzeichen von Heilig Geist“, dass das Gemeindeleben stark „von unten“ gestaltet werde.

 

Entscheidungen liegen beim Bistum

 

Es gab auch Stimmen, die Zurkuhlen als Priester schätzen. So erklärte eine Frau, es werde über Zurkuhlen geredet, aber nicht mit ihm. Eine andere Frau hatte ihn vor 20 Jahren als „fortschrittlich und offen“ erlebt.

Zum Schluss wurde mehrfach gefragt, wie man nun mit dem emeritierten Pfarrer in den Gremien, Einrichtungen und Gottesdiensten umgehen könne. Pfarrer Stefan Rau erklärte, er werde das Gesagte in das Seelsorgeteam, den Pfarreirat und den Kirchenvorstand tragen. Zurkuhlen sei nicht suspendiert, Bischof Felix Genn habe ihn allerdings aufgefordert, nicht mehr zu predigen. Weitere Entscheidungen würden nicht der Gemeinde obliegen, sondern dem Bistum.

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