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Nicht sein Zuständigkeitsbereich - dieses Argument führt Kirchenrechtler Günter Assenmacher mehrfach in einem Missbrauchsprozess in Köln an. Kommende Woche sagt ein noch prominenterer Kirchenvertreter aus.
Erstmals in Deutschland sagen hohe kirchliche Würdenträger in einem Missbrauchsprozess vor Gericht als Zeugen aus. Am Donnerstag befragte das Landgericht Köln den früheren Leiter des Kölner Kirchengerichts und ehemals sehr einflussreichen Kirchenrechtler Günter Assenmacher (69). Am Dienstag ist dann ein noch prominenterer Kirchenvertreter dran: Hamburgs Erzbischof Stefan Heße (55). Es geht um seine Zeit als Personalchef in Deutschlands mitgliederstärkster Diözese Köln.
Angeklagt ist der frühere Pfarrer U. (70). Er soll sich zwischen 1993 und 1999 in 31 Fällen in Gummersbach an seinen drei minderjährigen Nichten vergangen haben - davon in drei Fällen schwer. Außerdem soll er 2011 in Wuppertal zwei Mal ein elfjähriges Mädchen missbraucht haben. In der bisherigen Gerichtsverhandlung zeichnete sich ab, dass es weitere mögliche Opfer geben könnte, unter anderem eine Pflegetochter von U..
Der Hintergrund
Günter Assenmacher trat nach Veröffentlichung des Missbrauchs-Gutachtens für das Erzbistum Köln als Offizial zurück. | Foto: Erzbistum Köln
Assenmacher und Heße waren bereits 2010 und 2011 mit Vorwürfen gegen U. befasst. Damals zeigte eine der Nichten den Mann wegen Missbrauchs an. Dann zog sie jedoch ihre Anzeige - vermutlich auf Druck der Familie - zurück. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen ein, und das Erzbistum Köln setzte den zwischenzeitlich beurlaubten Pfarrer wieder als Krankenhausseelsorger ein. Eine Meldung an den Vatikan unterblieb.
Im Zuge der Missbrauchsaufarbeitung rollte die Erzdiözese den Fall 2018 wieder auf und wandte sich an die Staatsanwaltschaft. Kardinal Rainer Maria Woelki untersagte U. die Arbeit als Priester. Seit November läuft der Gerichtsprozess.
Gutachten: Assenmacher gab falsche Auskunft
Die Anschuldigungen von 2010 kommen auch in einem Aufarbeitungsgutachten für das Erzbistum Köln vor, das Juristen um den Strafrechtler Björn Gercke vergangenen März vorstellten. Den Juristen zufolge gab Assenmacher - neben anderen Pflichtverletzungen - im Fall U. eine falsche Rechtsauskunft darüber, ob das Erzbistum eine Meldung nach Rom hätte machen müssen. Woelki entließ den Kirchenjuristen daraufhin aus seinen Ämtern.
Vor Gericht betonte Assenmacher mehrfach, er habe in dieser Angelegenheit eine rein beratende Funktion gehabt. Mit Blick auf die zurückgezogene Anzeige sagte er: "Unser Kernproblem war: Wir hatten niemanden, der etwas aussagt." Zudem habe er sich gefragt, "inwieweit ich die Autonomie einer Familie respektiere, Dinge untereinander zu regeln". Er sei nicht dafür zuständig gewesen, das Umfeld des Geistlichen auf mögliche weitere Gefährdungen hin zu überprüfen.
Richter: Erzbistum hätte mehr erfahren können
Richter Christoph Kaufmann erwiderte, das Erzbistum hätte mit nur wenig Engagement sehr viel über U. erfahren können. Der Prozess zeige bislang unter anderem, dass "reihenweise" Mädchen im Hause des Priesters in Gummersbach übernachteten - was dort auch bekannt gewesen sei.
Vor dem Landgericht verfolgten mehrere Journalistinnen und Journalisten Assenmachers Ausführungen. Das Medieninteresse dürfte am Dienstag ungleich höher sein, wenn Erzbischof Heße befragt wird. Auch ihm werfen die Gercke-Gutachter unter anderem Fehler im Fall U vor. So soll etwa eine Befragung des Geistlichen durch Bistumsverantwortliche pflichtwidrig nicht protokolliert worden sein.
Heikle Notiz belastet Heße
In den Akten des Erzbistums fand das Gercke-Team eine heikle Notiz vom November 2010. Erstellt hat sie Heßes damalige Sekretärin. U. habe im Generalvikariat "alles erzählt", steht darin und weiter: "Es wird von uns auch kein Protokoll hierüber gefertigt, da dieses beschlagnahmefähig wäre." Die Notiz trägt Heßes Kürzel.
Er habe das Dokument damals wohl zur Kenntnis genommen, aber nicht "einverstanden" daran geschrieben, hatte Heße den Gutachtern erklärt. Zu jener Zeit sei wohl viel zu tun gewesen. U. habe die Vorwürfe jedenfalls bestritten. Insgesamt habe Heße entspannt auf den Fall geblickt, da ja die Staatsanwaltschaft Ermittlungen geführt habe, was selten vorkomme. Für ihn sei damit klar gewesen, dass sich auf dieser profunden Grundlage das kirchenrechtliche Verfahren anschließen werde.
Rücktrittsangebot abgelehnt
Die Gutachter fanden in den Akten weitere Missbrauchsvorwürfe gegen Geistliche, mit denen Heße fehlerhaft umgegangen sein soll. Insgesamt elf Pflichtverletzungen halten sie ihm vor. Im Lichte dieser Erkenntnisse bot Heße dem Papst seinen Rücktritt an. Franziskus beließ ihn jedoch im Amt. Vor dem Landgericht Köln wird sich der Erzbischof erneut erklären müssen.