MERZ UND DIE CDU

Bankrotterklärung für das „C“: Humanität ist keine Frage von Mehrheiten

Anzeige

Der Schaden durch die Pläne der CDU zur Migrationspolitik ist immens, sagt Ursula Nothelle-Wildfeuer. Auch an die Bischöfe hat sie Fragen.

Das, was gestern passiert ist, ist der Einsturz der ethischen Brandmauer unserer Demokratie. 

Nicht, dass ich sagen würde, es gäbe keine Handlungsnotwendigkeit im Blick auf die Migrationsfrage. Ja, es gibt Sicherheitsprobleme. Aber lassen sich diese mit den gestern initiierten Anträgen erledigen? Die ohnehin völlig unrealistische Vorstellung, das, was gefordert wurde, sei in absehbarer Zeit realisierbar, ist hier nicht mein Hauptanliegen. Als christliche Sozialethikerin geht mein Blick auf die Frage nach den ethischen Aspekten dessen, was da gestern geschehen ist. 

Ausdrücklich möchte ich auch betonen, dass ich ausgesprochen dankbar war, diese pointierte und klare „Gemeinsame Stellungnahme“ der Büros der katholischen und evangelischen Kirche in Berlin zu dem anstehenden Antrag zu lesen. Diese eindeutige Positionierung für die Humanität und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft sind die Kirchen eben dieser Gesellschaft aus ihrer christlichen Verantwortung heraus schuldig! Um so ärgerlicher, dass einzelne katholische Bischöfe sich bereits wieder von dieser Stellungnahme distanzieren. Was zählt dann noch die einstimmig beschlossene Erklärung der Deutschen Bischöfe zur Unvereinbarkeit von völkischem Nationalismus und Christentum vom Februar 2024?

Humanität steht auf dem Spiel

Die Autorin
Ursula Nothelle-Wildfeuer, Professorin für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Freiburg, beschäftigt sich mit vielfältigen Fragen nach Gerechtigkeit in der Gesellschaft sowie nach der Präsenz und Glaubwürdigkeit der Kirche in der Gesellschaft.

Der große Schaden, der entstanden ist und mit dem morgigen Antrag im Bundestag noch wachsen wird: Völlig zu Recht betont das Begleitschreiben zur kirchlichen Stellungnahme, dass der Gesetzesentwurf geeignet sei, „alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren (und) Vorurteile zu schüren“. Nicht weniger als die Humanität steht auf dem Spiel, zu dem gestern bereits die Mehrheit nur hergestellt werden konnte mit Hilfe einer in Teilen rechtsradikalen Partei. 

Das zentrale Argument, bei diesen Anträgen die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu wissen, ist in den Augen der Ethikerin eine Bankrotterklärung für das „C“ im Namen der Antrag stellenden Partei – die Fragen der Menschenwürde und der Humanität sind keine Fragen der Quantität, es geht um das mehrheitsunabhängige normative Fundament unserer Demokratie.

Populismus statt Kompromissarbeit

Das Dilemma zwischen Humanität und Sicherheit einfach zur Seite der Sicherheit hin auflösen zu wollen, ist Populismus. Politisch gesehen sind einfache Lösungen in unserer komplexen Wirklichkeit nie gut. Vielmehr sind solche dilemmatischen Probleme nicht ohne Kompromissbemühungen zu lösen – und genau das ist die Aufgabe der Politik. 

Ethisch gesehen kann es gar nicht um ein Entweder-oder gehen, vielmehr muss auch bei Sicherheitsüberlegungen das Fundament der Humanität auf jeden Fall bewahrt bleiben. Humanität bedeutet Menschenwürde für jeden Menschen, unabhängig von seiner Hautfarbe, seiner Religion, seiner Herkunft und seinem Geschlecht. Dieser Universalismus ist nicht exklusiv, aber intensiv christlich. 

Alle haben Anspruch auf Sicherheit - auch Geflüchtete

Mit der Humanität ist gestern die ethische Brandmauer deutlich ins Wanken geraten. Abgesehen davon, dass in der konkreten Umsetzung der Anträge zunächst einmal – glücklicherweise – wenig gelingen wird (man denke nur etwa nur an die Hürde der Bundesratsmehrheit für den Gesetzesantrag am Freitag, an die nicht vorhandene Menge an Grenzschützern, an die EU-Rechtslage etc.), ist aus ethischer Perspektive dringend nach Möglichkeiten zu suchen, auf berechtigte Sicherheitsansprüche zu reagieren, aber auf dem Boden der Humanität und des Rechts. 

Sicherheitsansprüche übrigens nicht nur von denen, die zum Volk gehören, weil sie die gleiche Tradition, gleiche Religion und gleiche Kultur haben – ein solches Volksverständnis ist nicht das, was unser Demokratieverständnis prägt. Vielmehr geht es um die Sicherheitsansprüche all derer, die in unserem Land leben. Auch die Kinder von zu uns Geflüchteten, die mit der KiTa-Gruppe im Aschaffenburger Park unterwegs waren, haben selbstverständlich einen unhinterfragbaren Anspruch auf Schutz und Sicherheit. 

Was die Schoa lehrt

Ebenso haben religiöse Minderheiten wie etwa die Juden einen selbstverständlichen Anspruch auf diesen Schutz. Gerade zu Letzterem sind wir noch einmal in besonderer Weise und augenfällig verpflichtet durch unsere Geschichte, an die der Bundestag am Mittwoch in gleicher Sitzung eindrucksvoll erinnert hat. 

Eine der Lehren aus der Schoa ist, dass unser Land Menschen in Not Asyl bietet – und damit ein sicherer Zufluchtsort ist. Das zu gewährleisten ist unsere Aufgabe. Einfache Lösungen gibt es dafür nicht. 

In unseren Gast-Kommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

Anzeige