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Der Streit in der katholischen Kirche um das Reformprojekt Synodaler Weg eskaliert. Ein Kurienkardinal hat die Reformbemühungen mit der NS-Zeit verglichen. Die Bischöfe sind entsetzt und wollen in Rom für Klarheit sorgen.
Solche Töne hat es bei einer Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz noch nie gegeben: Der Vorsitzende bescheinigt einem Kurienkardinal eine „inakzeptable Entgleisung“, verlangt eine sofortige Entschuldigung und stellt ein Ultimatum. „Wenn diese öffentliche Entschuldigung nicht umgehend geschieht, werde ich eine offizielle Beschwerde beim Heiligen Vater einreichen“, sagte der Limburger Bischof Georg Bätzing am Donnerstag in Fulda.
Der Präsident des Kurienbehörde zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, hatte zuvor in der Wochenzeitung „Die Tagespost“ (Donnerstag) eine Parallele zwischen dem Reformprojekt Synodaler Weg und der NS-Zeit gezogen: „Denn diese Erscheinung hat es bereits während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben, als die sogenannten ‚Deutschen Christen‘ Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben.“
Misstrauen im Vatikan gegenüber Synodalen Weg
Die Nerven liegen blank – in Rom wie in Deutschland. Und das wenige Wochen vor dem Gespräch der deutschen Bischöfe mit dem Papst. Mitte November fahren sie zum sogenannten „Ad-limina-Besuch“ nach Rom. Im Vatikan wird sehr skeptisch auf das geblickt, was Bischöfe und Gläubige auf dem Synodalen Weg beschlossen haben, mit dem sie auf den Missbrauchsskandal reagieren: mehr Gewaltenteilung und eine stärkere Rolle von Frauen in der Kirche.
Ein besonders heißes Eisen ist die Sexualmoral, bei der sich die Bischöfe auch in Fulda nicht einigen konnten. Laut Bibel hat Gott den Menschen „männlich und weiblich“ erschaffen. Die Kirche lehrt daher, dass nur eine Ehe von Mann und Frau als Sakrament die Liebe Gottes abbilden kann; praktizierte Homosexualität verstoße gegen die Naturordnung. Wissenschaftlich und gesellschaftlich ist allerdings längst klar, dass es Variationen in der Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung gibt. Viele Gläubige und viele Bischöfe wollen dies auch kirchlich anerkennen, ohne das aufzugeben, was als christliches Menschenbild biblisch gemeint ist: dass sich Menschen von der Liebe Gottes anstecken lassen und verlässlich füreinander da sind.
Dynamik in der kirchlichen Lehre
Die Kirchengeschichte ist voll von solchen Beispielen des Umdenkens. Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hat bereits 1965 auf die „Geschichtlichkeit des Dogmas“ hingewiesen: Das Verständnis von Schrift (Bibel) und Tradition kann sich im Laufe der Zeit ändern. Die kirchliche Tradition ist ebenso wenig abgeschlossen wie die Geschichte Gottes mit den Menschen – da ist Dynamik drin.
Bätzing hat dies im Blick gehabt, als er in Fulda sagte: „Darum sind mir allzu sicher behauptete Kontinuen, also lückenlose Zusammenhänge nach dem Motto: das ist immer so gewesen; das wurde immer so geglaubt; was gestern falsch war, kann doch heute nicht richtig sein, ehrlich gesagt suspekt.“
Kritiker wollen Tradition bewahren
Kritiker halten dagegen, die Kirche müsse die Tradition unverändert bewahren, um nicht evangelisch zu werden. Doch möglicherweise ist es genau umgekehrt: Weil die katholische Kirche im Unterschied zur evangelischen nicht nur die Schrift (also die Bibel), sondern auch die lebendige kirchliche Tradition in ihre Lehrentwicklung einbezieht, kann sie sich dogmatisch stärker entwickeln.
Ein neues Dogma wie das von 1950, wonach die Gottesmutter Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde, wäre sonst gar nicht möglich gewesen.
Können Bischöfe zu Vorbildern werden?
Die Debatten, die die Bischöfe beim Synodalen Weg und nun auch in Fulda geführt haben, sind nicht nur innerkirchlich relevant. Sie spiegeln grundlegende identitätspolitische Konflikte, die in vielen Ländern zu beobachten sind: Die einen fordern eine diskriminierungssensible Anerkennung aller Minderheiten – die anderen warnen vor einer Zersplitterung in Einzelinteressen und wollen zurück zu dem, was die Gesellschaft zusammenhält: Familie, Tradition, Heimat. Wenn es den katholischen Bischöfen gelingt, beide Seiten zu versöhnen, könnten sie damit zum Vorbild werden.
Bisher gelingt es ihnen nicht. Die Minderheit der Bischöfe, die beim Synodalen Weg gegen das Reformpapier zur Sexualmoral stimmte, ließ sich dem Vernehmen nach auch in Fulda nicht umstimmen – zumal sie Rom auf ihrer Seite sieht. Die Skepsis gegenüber womöglich neuen Lehren aus Deutschland ist im Vatikan groß – nicht zuletzt, weil in Deutschland vor gut 500 Jahren mit Martin Luther die Reformation begann.
Update, 30.9., 9.30 Uhr: In der Debatte um einen mutmaßlichen Nazi-Vergleich fühlt sich der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch missverstanden. Er habe keineswegs den Synodalen Weg zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland mit der Nazi-Ideologie verglichen, „und ich werde dies auch nie tun“, heißt es einer Erklärung Kochs vom Donnerstagabend, die der Katholischen Nachrichten-Agentur vorliegt. In seiner Erklärung betonte Koch, er habe niemanden verletzen wollen. „Ich bin einfach davon ausgegangen, dass wir auch heute aus der Geschichte, auch aus einer sehr schwierigen, lernen können. Wie die heftige Reaktion von Bischof Bätzing und andere zeigen, muss ich nachträglich feststellen, dass dieser Versuch mir misslungen ist. Und ich muss wahrnehmen, dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu sind.“ Seine kritische Anfrage könne er allerdings nicht zurücknehmen. Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz erklärte auf Anfrage, dass Bätzing die Erklärung Kochs erhalten habe. „Der Vorsitzende wird die Antwort von Kardinal Koch lesen und sich derzeit nicht äußern.“ (KNA)