Pfarrer Leo Wittenbecher über den Auftrag der Kirche

Nur mit Evangelisierung wird alles wieder gut? Das überzeugt nicht

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Statt Reformen in der Kirche mehr Evangelisierung? Ein Ansatz, der nicht überzeugt, meint der leitende Klinkpfarrer an den Universitätskliniken Münster, Leo Wittenbecher.

Es steht außer Frage: In unserer Kirche braucht es einen Aufbruch. Es ist an der Zeit, Neuland zu betreten. Warum? War denn früher alles falsch? Nein! Früher war nicht alles falsch. Früher war vieles richtig. Aber früher war eben früher – und Gott will in unserer Gegenwart gegenwärtig sein. Es braucht Reformen, damit wir heute im Heute ankommen.

Nun ist bei manchen immer wieder zu hören, dass es statt Reformen mehr Evangelisierung brauche – dann werde es schon wieder gut. Ein Ansatz, der mich wenig überzeugt. Warum bleiben wir da nicht einfach katholisch? Denn katholisch kennt sich mit dem „und“ viel besser aus als mit dem „oder“. Also: nicht „Evangelisierung oder Reformen“ sondern „Evangelisierung und Reformen“. 

Der Papst hat die Richtung vorgegeben

Der Autor
Pfarrer Dr. Leo J. Wittenbecher, *1970, leitender Klinikpfarrer an den Universitätskliniken Münster und Referent für das Sachgebiet Krankenhauspastoral im Sendungsbereich 300 des Bischöflichen Generalvikariates Münster, Mitglied der Priestergemeinschaft Jesus Caritas.

Papst Franziskus hat in diesem Sinne die Richtung vorgegeben. Er sagt: „Wenn die Kirche nicht aus sich selbst heraus geht, um das Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank.“ Ein klarer Auftrag: „aus sich selbst herausgehen“ – also Reformen, und „das Evangelium verkünden“ – also Evangelisierung.

Dabei meint Evangelisierung nicht, anderen „die Wahrheit“ überzustülpen – auf Teufel komm raus. Es geht nicht darum, die angeblich so guten alten Zeiten zu beschwören – bis sich die Balken biegen. Evangelisierung muss – und kann – ganz anders aussehen. Und wenn wir in die Bibel schauen, dann wird schnell klar, dass Evangelisierung auch dort schon anders aussieht.

Es braucht Mut, Vielfalt zu ermöglichen

Jesus macht uns vor, wie es geht und da sieht man schnell, dass nichts bleibt, wie es war: Wunden heilen – auch bei Menschen, die dem ersten Anschein nach gar nicht dazu gehören. Ängsten wird die Macht genommen. Da sehen wildfremde Menschen die Welt plötzlich mit anderen Augen, erleben Wertschätzung. Der Mensch steht im Zentrum – so wie er ist.

Jetzt braucht es Mut, Vielfalt zu ermöglichen! Es gilt, bei den Reformen der Versuchung zu widerstehen, um uns selbst zu kreisen, nur in unseren kirchlichen Logiken zu denken und zu planen. Leben wir Evangelisierung, indem wir einfach den Weg mit den Menschen teilen – ihren Weg, mit dem, was ihn ausmacht, im Vertrauen darauf, dass Gott schon längst an ihrer Seite ist. Dieser Weg kann uns dann helfen, Ballast abzuwerfen, er kann uns helfen, verstärkt dahin zu kommen, wo die sind, die wir sonst nicht (mehr) sehen – z.B. in den Schulen, in den Krankenhäusern, in den Beratungsstellen und vielleicht auch in den Kneipen und auf den Fußballplätzen – damit Unmögliches wieder möglich wird.

In unseren Gastkommentaren schildern die Autor:innen ihre persönliche Meinung zu einem selbst gewählten Thema. Sie sind Teil der Kultur von Meinungsvielfalt in unserem Medium und ein Beitrag zu einer Kirche, deren Anliegen es ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

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