„Das führt zu einer erheblichen Zeitersparnis“

Offizial Schulte erläutert Veränderungen in Eheprozessen

Papst Franziskus hat die Abläufe in Ehenichtigkeitsverfahren vereinfacht. Leiter des Bischöflichen Offizialats, das im Bistum Münster für die Prozesse zuständig ist, ist Kurt Schulte. Er erläutert die Änderungen.

Anzeige

Papst Franziskus hat die Abläufe in Ehenichtigkeitsverfahren vereinfacht. Leiter des Bischöflichen Offizialats, das im Bistum Münster für die Prozesse zuständig ist, ist Kurt Schulte. Er erläutert die Änderungen – und begrüßt sie, denn „hinter den Aktendeckeln“ würden immer „Menschen mit ihrer ganz persönlichen Lebensgeschichte stehen“, denen rasch geholfen werden solle.

Kirche+Leben: Für Nicht-Kirchenrechtler: Was hat Papst Franziskus konkret geändert?

Offizial Kurt Schulte: Es handelt sich um reine Änderungen im Prozessrecht, wie ein Verfahren geführt werden muss. Es sind überhaupt keine Änderungen in der theologischen Lehre der Kirche über die Ehe. Die Veränderungen sollen dazu dienen, dass die manchmal allzu langen Eheannullierungsverfahren schneller durchgeführt werden können. Bisher braucht es drei Richter in der ersten Instanz. Das heißt: Ein Untersuchungsrichter führt das Verfahren, aber am Ende werden die Akten von drei Richtern einzeln bearbeitet, sie erstellen ein persönliches Votum und kommen dann zu einer gemeinsamen Urteilssitzung zusammen. Sie können sich vorstellen, dass das manchmal schon sehr lange dauert, wenn drei Personen nacheinander eine Akte von manchmal mehreren hundert Seiten durcharbeiten müssen und ein eigenes Votum erstellen müssen. Hier sagt der Papst, dass es nun auch möglich ist, dass das Verfahren nur von einem Richter geführt werden kann. Das führt schon zu einer erheblichen Zeitersparnis. Klar ist für mich noch nicht, ob das für alle Verfahren gilt oder nur für bestimmte Verfahren.

Zurzeit braucht es ein zweites gleichlautendes Urteil, damit eine Eheannullierung rechtskräftig ist, jemand also wieder kirchlich heiraten kann. Das heißt, wenn in Münster am Offizialat festgestellt wird, dass eine Ehe nichtig ist, geht die Akte automatisch an ein zweites Gericht. Für Münster ist das das Erzbischöfliche Offizialat zu Köln. Dort wird wiederum ein Gerichtshof mit drei Richtern eingesetzt, die das Urteil, das in Münster gefällt wurde, überprüfen. Das geschieht im Normalfall in einem verkürzten so genannten „Dekretverfahren“. Aber es braucht auch sechs Monate, manchmal auch Jahre. Der Papst hat nun diese zweite notwendige Instanz abgeschafft – auch das schafft eine erhebliche Verkürzung der Dauer des Verfahrens. Für Münster kann ich sagen, dass sich das Verfahren auf die Hälfte der bisherigen Dauer verkürzt – im Durchschnitt. Also auf ein Jahr, manchmal auch erheblich weniger.

Es soll auch besonders verkürzte Verfahren geben, die dann ein Bischof durchführt anstelle eines Richters am Offizialat. Der Bischof ist ja der oberste Richter in einem Bistum, der ja den Offizial damit beauftragt hat, diese Aufgabe in seinem Namen durchzuführen. Aber für welche Verfahren das gelten soll, ist mir noch nicht klar.

Offenkundig kann künftig direkt durch den Ortsbischof ein Urteil bei Ehenichtigkeitsprozessen gefällt werden. Wie muss man sich das vorstellen? Wird das tatsächlich der Bischof tun oder kann das auch an den Offizial oder eine andere Person des Kirchengerichts delegiert werden?

Das ist mir im Moment auch noch nicht klar. Bei der Arbeitsbelastung unseres Bischofs kann ich mir nicht vorstellen, dass er nun auch noch Eheverfahren durchführen soll. Dazu gehören ja Anhörungen der Ehepartner und von Zeugen – das würde dann sicher nicht zu einer Beschleunigung von Verfahren führen. Das wird so sicher nicht gemeint sein. Ich kann mir aber wohl vorstellen, dass in besonderen Fällen wir am Offizialat die Vorarbeit leisten und das Verfahren dann dem Bischof zur Entscheidung vorgelegt wird. Aber all das braucht noch Überlegung und Abstimmung mit dem Bischof, aber auch unter den Diözesen, damit es zu einer einheitlichen Regelung kommt. Denn es kann nicht sein, dass es in Osnabrück anders ist als in Münster.

Welches Anliegen des Papstes steht hinter der Änderung?

Dem Papst geht es wohl darum, dass den Menschen keine unnötig langen Prozesse zugemutet werden. Die Menschen, die eine Eheannullierung anstreben, möchten ihre Lebenssituation mit der Kirche klären, gegebenenfalls kirchlich heiraten oder die Eucharistie empfangen. Daher darf ein Verfahren nicht zu lange dauern, weil es hier um grundlegende Rechte eines Katholiken geht. Hier sieht der Papst auch wohl die dienende Funktion der Kirche. Mit Barmherzigkeit hat dies nichts zu tun, denn hier wird nicht aus Barmherzigkeit vom Recht abgewichen, sondern nur dafür gesorgt, dass schneller Recht gesprochen wird. Darauf haben die Menschen in der Kirche einen Anspruch. Dies ist uns ja vom weltlichen Recht durchaus auch bekannt, dass Verfahren allzu lange dauern und das Rechtsempfinden der Menschen dadurch Schaden nimmt.

Wie bewerten Sie die Vereinfachungen? Wie überrascht sind Sie von der Entscheidung des Papstes – zwei Wochen vor Beginn der Bischofssynode, die sich ja ebenfalls mit dieser Thematik befassen soll?

Ich halte die Verkürzung der Verfahren für gut. Wir in Münster haben immer gut und schnell gearbeitet, weil hinter den Aktendeckeln Menschen mit ihrer ganz persönlichen Lebensgeschichte stehen, denen durch das Verfahren möglichst rasch gesagt werden muss, ob sie gültig verheiratet waren oder nicht. Wobei die gemeinsame Zeit in der Ehe immer ihren besonderen Wert behält und nicht ausgelöscht wird durch eine Feststellung der Nichtigkeit der Ehe. Zudem sind unsere Richterinnen und Richter so gut ausgebildet, dass eine Instanz reicht. Unsere Urteile halten jeder Überprüfung stand. Ich bin überrascht, dass diese Veränderungen vor der Synode bekannt gegeben werden und nicht von der Synode beraten und beschlossen werden. Mir scheint, dass der Papst deutlich machen will, dass er gewillt ist, Veränderungen vorzunehmen, wenn sie verantwortbar sind, der Lehre der Kirche nicht entgegenstehen und dem Menschen dienen. Er hat ja auch Unterstützung von maßgeblichen Kirchenrechtlern aus dem Vatikan bekommen. Der Papst hat keine Angst, Entscheidungen zu treffen.

Was verändert sich für die Arbeit des Offizialats? Werden weniger Richter benötigt?

Wir führen etwa 150 zweitinstanzliche Verfahren durch – dafür braucht es Richterinnen und Richter, Ehebandverteidiger, Notare und Verwaltungskräfte. Ja, das wird erhebliche Veränderungen hervorrufen. Aber zugleich hoffen wir – und das ist ja auch die Hoffnung, die den Papst umtreibt –, dass nun mehr Menschen den Weg zum Offizialat wagen, um ihre Ehe überprüfen zu lassen, die vielleicht vorher abgeschreckt wurden durch Aussagen, dass ein solches Verfahren ewig dauert und kaum Aussicht auf Erfolg hat.

Was raten Sie Ehepaaren in Krisen, die nicht sicher sind, ob ein Ehenichtigkeitsverfahren für sie überhaupt „Erfolg“ versprechen würde?

Ich kann immer nur einladen: Wenden Sie sich an uns und lassen sich beraten! Wir sehen uns bewusst als Dienstleister, und die Rückmeldungen der Menschen, die bei uns im Haus waren, sind durchaus positiv. Die Menschen, die ja aus schwierigen Situationen zu uns kommen, fühlen sich angenommen und wertgeschätzt. Häufig hilft es ihnen auch – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens –, ihre eigene Lebens- und damit auch Ehegeschichte anzunehmen und sich damit zu versöhnen.

Anzeige