Anzeige
Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ist einer der fünf deutschen Bischöfe bei der Weltsynode in Rom. Worüber er nicht glücklich ist und was gelingen muss – darüber hat Kirche+Leben unmittelbar vor seiner Abreise nach Rom mit ihm gesprochen.
Bischof Overbeck, was erwarten Sie von dieser letzten Session der Synode?
Das Abschlusspapier nach der Synodalversammlung im Herbst 2023 hat gezeigt, dass es der Synode einerseits um Synodalität geht, andererseits aber auch um ganz praktische Themen des Kirche- und Menschseins – und das sowohl in weltkirchlicher Einheit mit dem Papst als auch in aller kulturellen Verschiedenheit der Themen, die sich nicht nur im weltkirchlichen Maßstab lösen lassen. Der Papst hat nun all diese strittigen Fragen ausgesondert und in Studiengruppen ausgelagert.
Damit scheinen Sie nicht glücklich zu sein …
Synodalität ist nicht nur ein abstraktes Miteinander-auf-dem-Weg-sein, sondern erzeugt auch Dissens und thematisiert so schon die Spannung und Bezogenheit von weltkirchlicher Einheit und ortskirchlicher Besonderheit. Die Ergebnisse der Studiengruppen sollen nun zu Beginn der Weltsynode vorgestellt werden. Ich glaube allerdings, dass nicht nur der Informations-, sondern auch der Diskussionsbedarf immens ist. Das war etwa bei der Rolle der Frau schon im letzten Jahr so.
Rechnen Sie damit, dass Synodale eine Änderung der Vorgehensweise und der Gewichtung einfordern?
Das könnte sein. Es könnte aber auch sein, dass der Papst mit der Form der „Gespräche im Geist“ an runden Tischen sein Verständnis von Synodalität einüben lassen will. Gleichwohl ist es etwas anderes, wenn in der Synode nicht nur durch den Papst, sondern auch durch uns Synodale entschieden wird, mit welchen Prioritäten wir Themen bearbeiten.
Die Ungeduld der katholischen Gläubigen in Deutschland ist nach dem Synodalen Weg arg strapaziert, zugleich wird er in vielen Ländern sehr beargwöhnt, um es vorsichtig auszudrücken. Sie sind als Adveniat- und Militärbischof bestens international und auch im Vatikan vernetzt. Wie exklusiv, wie deutsch sind unsere Themen?
Sie waren nie nur deutsche Themen. Wir haben sie, gedrängt durch den Missbrauchsskandal und seine Folgen, früher als andere bearbeitet. Im Weltmaßstab wird oft geglaubt, das sei ein Problem einiger missgeleiteter Priester und Probleme einer nicht geistlich genug lebenden Kirche. Dem widersprechen wir aus guten Gründen. Denn die Fragen dahinter haben nicht maßgeblich nur mit Sexualität zu tun, sondern vor allem mit Macht. Darüber hinaus haben wir Fragen aufgeworfen, die in der Weltkirche genauso bedrängend sind, aber womöglich in anderen kulturellen Kontexten stehen, in denen die Kirche nicht so stark mit Staat und Gesellschaft verwoben sind. Wir haben in Deutschland lange gebraucht, diese Themen offen zu machen und offen zu besprechen – und es gibt ganz viele Ortskirchen, die diese Zeit noch brauchen. Ich bin kein Prophet, aber es scheint mir doch sehr sicher zu sein, dass wir da weltkirchlich noch viel erleben werden.
Weltkirchlich sei die Kirche bei diesen Reform-Themen noch nicht so weit, heißt es auch aus der Deutschen Bischofskonferenz. Müssen wir Gläubige in Deutschland also um eines größeren Ziels willen hinnehmen, dass sich Menschen weiter von der Kirche und ihrer Botschaft abwenden?
Es gibt diese Ungleichzeitigkeit – auch in unseren Bistümern in Deutschland. Aber die Themen drängen in allen postmodernen Gesellschaften – zum einen wegen der Rolle der Frau, zum anderen wegen der Rolle und Verschiedenheit der Geschlechter und der Fragen zur Sexualität. Das sind und bleiben Lebensthemen, die wir nicht wegdiskutieren oder nicht bearbeiten können, nur weil in anderen Ländern diese Frage nicht so drängen. Das hat allerdings Folgen für das Selbstverständnis der Kirche!
In der Pressekonferenz zur Synode während der Vollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda sagten Sie, die Kirche müsse sich ehrlicher machen. Geht dahin Ihr anderes Selbstverständnis von Kirche?
Sich ehrlich zu machen, bezieht sich darauf, dass wir eine Lösung finden müssen für die besagte Ungleichzeitigkeit. Ich halte es für angeraten, ein großes Spektrum zu eröffnen und unterschiedliche regional-kulturelle Lösungen zuzulassen. Wir müssen dafür sorgen, dass Einheit durch Verschiedenheit und in Verschiedenheit möglich wird. Denken Sie an den Ständigen Diakonat, den Paul VI. ermöglichte. Er ist heute etwa im deutschsprachigen Raum selbstverständlich, in anderen Teilen der Weltkirche aber noch überhaupt nicht angekommen. Trotzdem leben wir gut damit. Das wird auch für jene Fragen gelten, die wir lange für existenziell gehalten haben. Zumindest in postmodernen Gesellschaften wie der unsrigen werden Fragen nach Sexualität und nach Partnerschaft vor allem entschieden werden nach ihrem Gelingen.
Immer wieder wird der Vorrang von Evangelisierung gegenüber einer angeblichen Beschäftigung der Kirche mit sich selbst angemahnt, nicht zuletzt von der Weltsynode selber, die sich ja neben Gemeinschaft und Teilhabe vor allem der Mission widmen will. Wie sehen Sie das Verhältnis von Evangelisierung und kirchlicher Reform?
Evangelisierung und Mission betreffen alle Lebensbereiche. Von daher ist die merkwürdige Ausklammerung bestimmter Lebensbereiche aus der Diskussion nicht richtig – auch dann nicht, wenn man meint, diese Themen seien für die Ewigkeit entschieden und daher nicht mehr diskutabel. Was ist, das ist.
Der Missbrauchsskandal war bei uns Auslöser des Synodalen Wegs. In Rom soll es nun einen Bußakt mit dem Papst zur Synode geben. Wie präsent ist das Thema Missbrauch und seine Betroffenen in der Synodenaula?
Es ist wichtig, dass es diese Liturgie gibt. Das Thema wird jedoch ganz sicherlich ein Türöffner für die gesamte Thematik von Macht und Sexualität sein müssen.
Was geschieht nach der Weltsynode?
Danach kommt das nachsynodale Schreiben des Papstes. Dann liegt es an den Ortskirchen, was daraus wird – zumal Franziskus sehr unterschiedlich mit den Ergebnissen der Synode umgeht, denken Sie an die Amazonas-Synode, bei der er auch Beschlüsse nicht übernommen hat. Wir werden sehen, welche Eigendynamiken die Kirchen vor Ort entwickeln. Sie werden sich ganz sicher nicht zentral steuern lassen, dafür sind die Themen zu divers und zu drängend.
Dann läuft es auf die Frage nach dem Verhältnis von Macht und Gemeinschaft, Hierarchie und Synodalität hinaus …
Das ist so, und das ist nach wie vor nicht geklärt. Die Gemeinschaft der Kirche konnte nicht zuletzt durch das hierarchische Prinzip stark bleiben. Das galt insbesondere für herausfordernde Zeiten der Geschichte. Dennoch ist es mit Blick auf unsere Gegenwart und Zukunft richtig, das Verhältnis zwischen dem hierarchischen Prinzip und dem synodalen Prinzip sehr klug zu bestimmen, gerade auch mit Blick auf die Kirchen vor Ort.
Wir werden im normalen Alltag unserer Gesellschaft und Kirche derart hochdiverse Entwicklungen erleben, dass etwa das klassische Gemeinde- und Pfarreimodell in Westeuropa wahrscheinlich zu Ende gehen wird. Ohne eine strukturierte Form des Lebens von Unterschiedlichkeit werden wir im dritten Jahrtausend nicht mehr Kirche sein können.
Nach zwei Besinnungstagen beginnt die Weltsynode am 2. Oktober und endet am 27. Oktober – jeweils mit einem feierlichen Gottesdienst im Vatikan. An den Beratungen nehmen rund 380 Männer und Frauen aus allen Erdteilen teil, mehr als 270 davon sind Bischöfe. Die von Papst Franziskus vorgegebene Aufgabe: Wege zu einer „synodalen Kirche“ zu finden und sie auf allen Ebenen, vom Vatikan über die Bistümer bis hinunter in die einzelnen Gemeinden, zu verwirklichen. Neben den Bischöfen Bätzing, Genn, Meier, Oster und Overbeck sind bei der Synoder vertreten: Thomas Schwartz (Renovabis) die Theologen Antonio Autiero und Thomas Söding (Münster), der Münsteraner Priester Michael Berentzen, der Jesuit Clemens Blattert sowie der Sprecher der Bischofskonferenz, Matthias Kopp. | KNA