Christoph Gilsbach und sein Stück „Das Leben“

Pantomime nimmt den Tod mit auf die Bühne

Christoph Gilsbach konfrontiert sein Publikum bei seiner Pantomime „Leben“ mit einem Thema, das schwerer kaum sein könnte: mit dem Tod. Das Publikum ist oft zu Tränen gerührt.

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Der Tod sitzt im Keller. Ein wenig verrenkt ruht die gesichtslose Figur hinter der Tür und wartet darauf, mal wieder zum Einsatz zu kommen. Wenn Christoph Gilsbach seinen „Kumpel“ aus dem dunklen Raum unter dem Mehrfamilienhaus in Münster ans Tageslicht holt, ist es eine liebevolle Begegnung.

Wie ein kleines Kind trägt der Künstler die dunkle Gestalt auf dem Arm die Treppe hinauf in seine Wohnung. „Ich muss ihn jetzt erst einmal wiederbeleben“, sagt der Zauberer und Pantomime. Spätestens, wenn beide nebeneinander auf dem Sofa Platz nehmen, wird klar: Hier treffen zwei aufeinander, die einen enorm engen Kontakt aufnehmen werden. Auf der einen Seite mit der Härte des Sterbens, des Lebensendes und der Trauer – auf der anderen Seite mit der Leichtigkeit, dem Humor und der Tiefsinnigkeit des Künstlers.

Pantomime Christoph Gilsbach
Tröstend: Christoph Gilsbach und sein Kumpel Tod. | Foto: Michael Bönte

Die Beziehung hat es also in sich. Das merken die Zuschauer seiner Aufführungen schnell. Es ist ein Pantomimensolo mit dem Titel „Das Leben“. Der Untertitel verrät noch mehr: „Eine lebendige Begegnung mit dem Tod.“ Und wie lebendig sie ist! Denn der Tod ist nur das Zentrum, um das seine Gesten, seine Mimik und seine tänzerischen Bewegungen kreisen. Entscheidend ist das, was um das Unvermeidliche des Lebensendes herum geschieht, sagt Gilsbach: „Und das ist enorm lebendig.“

 

Er wechselt die Rollen

 

Er, ganz in Weiß, die rote Pappnase auf, nimmt dann Platz neben dem grau bemantelten Wesen mit dem schwarzen Loch anstelle des Gesichts. 60 Minuten ringt Gilsbach mit ihm, verändert seine Rollen, wird alter Mann und junge Frau, versöhnt sich, klagt an, schimpft und lacht. „Genauso, wie die Menschen ihm begegnen – in allen möglichen Situationen und Formen.“

Pantomime Christoph Gilsbach
Diskutierend: Gilsbach und sein Kumpel Tod. | Foto: Michael Bönte

Dass der 62-Jährige das so kann, hat zwei Gründe. Zum einen ist da seine künstlerische Laufbahn. Als junger Mensch erlebte er den weltberühmten Pantomimen Marcel Marceau bei einer Show in Wesel. „Mein Unterkiefer klappte herunter und blieb dort“, sagt Gilsbach. Das war der Impuls: Kurse und Fortbildungen im Bereich der Clownerei und Pantomime mündeten schließlich in ein Studium dieser Fächer an der Folkwang-Universität in Essen. Seitdem ist er im In- und Ausland unterwegs – er begeistert, belustigt und macht nachdenklich. Als Clown, Pantomime und Zauberer.

 

Erfahrungen als Klinik-Clown

 

Zum anderen hat der Tod schon seit geraumer Zeit einen Platz in seiner Angebotspalette. Als Klinik-Clown bringt er auch todkranke Kinder zum Lachen, bei Engagements im Altenpflegeheim begegnet er Vergänglichkeit und Sterben. „In der Pantomime ist das Thema ohnehin in vielen berühmten Stücken ein klassisches Motiv.“ Deshalb fühlte er sich auch nicht überrumpelt, als er vor einigen Jahren für die Eröffnung eines Hospizes angefragt wurde. „Das Thema Tod war damit gesetzt“, erinnert er sich.

Pantomime Christoph Gilsbach
Vertraut: Gilsbach und sein Kumpel Tod. | Foto: Michael Bönte

Es gab also keine Berührungsängste. „Eher eine neue persönliche Begegnung“, sagt Gilsbach. Auf der Suche nach Bildern und Motiven für seine Darstellung musste er zwangsläufig auch sein Verhältnis zum Tod klären. Er erinnert sich etwa an den Tod des Vaters eines guten Freundes: „Einen Tag später lud mein Freund mich auf ein Bier in den Biergarten ein.“ Auf die erstaunte Frage Gilsbachs, ob das in seiner derzeitigen Situation denn passe, antwortete der Freund: „Mein Vater ist nicht ganz gegangen, ich habe ihn ja mitgebracht.“ Vor einem leeren Platz stand ein volles Glas Bier.

 

Härte des Themas bleibt

 

Es sind solche Lebensmomente, aus denen Gilsbach die Szenen seiner Auftritte entwickelt. „Da war der Tod plötzlich nicht mehr das schwarze Loch – es war ein Abschied, gefüllt mit Erinnerungen und Glücksgefühlen.“ Und so steht er heute vor jeder Aufführung in seiner kleinen Küche und knetet Ton: Kleine Männchen, die nicht gebrannt werden, sondern nur ein wenig an der Luft härten. Sie kommen in eine große Glasvase voll Wasser, wenn er die Bühne betritt. Am Ende haben sie sich aufgelöst. „Die Figur ist nicht mehr so da, wie wir sie kennen“, erklärt er. „Aber trotzdem gibt es die Materie in neuer Form.“

Christoph Gilsbach
Auf dem Programm von Christoph Gilsbach stehen schwere und leichte Themen in unterschiedlichen Darstellungsformen. Mit im Angebot hat er auch das Stück „Der leere Raum – eine pantomimische Reise durch den leeren Kirchenraum“.  Clownerie, Zauberei, Vorträge und Workshop gehören ebenfalls zu seinem Repertoire.

Gilsbach weiß, dass er dem Thema trotzdem nie die Wucht nehmen wird. „Auch wenn ich mit meiner Pantomime versuche, ein wenig Leichtigkeit in die Begegnung mit dem Lebensende zu bringen.“ Er wird die Zuschauer immer an einem Punkt berühren, an dem Unsicherheit, Ungewissheit und Ängste herrschen. „Das will ich auch.“ Es gelingt ihm oft so intensiv, dass im Publikum Tränen fließen. „Nicht nur dort, sondern auch bei mir.“

 

Berührende Reaktionen

 

Er holt einen Brief aus der Schublade, in dem eine junge Frau ihm schrieb: Kein Film, kein Theaterstück und auch keine Therapie hätten annähernd die Wirkung entwickelt wie seine Pantomime. Als er mit einem Kleinkind auf dem Arm die Bühne betrat, habe sie nur „O nein, bitte nicht!“ gedacht, schreibt sie weiter. Sie selbst hatte ein kleines Kind verloren, hatte es dem Notarzt übergeben müssen mit dem Wissen, es von diesem Zeitpunkt an nie wieder zu sehen. Jetzt stand dort Gilsbach mit seinem weißen Gesicht und hielt das Kind dem Himmel entgegen. „An diesen Punkt wollte ich zuvor niemals zurückkehren“, steht in dem Brief.

Mit dieser Szene aber musste sie es. „Und es war gut, auch wenn meine Tränen liefen“, schreibt sie am Ende. „Der Tod meiner Tochter fühlte sich plötzlich warm und geborgen an.“ Jetzt stockt auch die Stimme von Gilsbach. Er unterbricht seinen Lesefluss und schaut über den Briefbogen in die Ferne. „Da sind wir doch mittendrin in der Passion“, sagt er. „Durch den Schmerz hindurch zur Annahme, zur Liebe, zum Glück.“

 

Schmerzliche und fröhliche Begegnung

 

Pantomime kann solche Reaktionen auf eine wunderbare Art hervorrufen, ist Gilsbach sich sicher. Weil sie verdichte, auf Beiwerk und Worte verzichte – auf das Wesentliche fokussiere. Interpretationen bleiben beim Betrachter, werden persönlich und dadurch intensiv. „In alle Richtungen“, sagt der Künstler. „In die schmerzliche und tragische genauso wie in die fröhliche und hoffnungsvolle.“

Dafür wandert sein „Kumpel Tod“ immer wieder auf die Rückbank seines Autos. Auf den Fahrten zu seinen Auftritten kommt es nicht selten zu Zwiegesprächen. Die Puppe ohne Gesicht ist für Gilsbach längst zu einem Wesen mit Gesicht geworden. In das schaut er zusammen mit seinen Gästen nicht mit Furcht oder Scham, sondern mutig und offen.

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