Sozialpädagoge: Kindern den Wert des Wartens vermitteln

Papa, wann ist endlich Weihnachten?

Kinder warten nicht gerne. Sie wollen, dass ihre Wünsche sofort erfüllt werden. Warum sie das Warten dennoch lernen sollten, erklärt der Sozialpädagoge Gerd Büscher.

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Advent ist Wartezeit auf Weihnachten. Für Kinder können die Wochen bis zum Fest lang werden, zumal erst dann die begehrten Geschenke unterm Weihnachtsbaum liegen. Wenn überall um sie herum bereits Weihnachtsmärkte ihre Waren anbieten und Weihnachtslieder erklingen – warum dann noch warten?

Auf etwas warten zu können, ist für Gerd Büscher eine Tugend. „Warten will aber gelernt werden und hat viel mit Geduld zu tun“, sagt der Sozialpädagoge vom Regionalbüro für Kinder- und Jugendseelsorge Ost im Bistum Münster. „Langen Atem brauchen wir immer wieder im Leben, um unsere Ziele zu erreichen“, sagt der Vater von vier Kindern im Alter von vier bis zwölf Jahren. Nicht alle Bedürfnisse müssten sofort befriedigt werden. „Es lohnt, Kindern den Wert des Wartens zu vermitteln – durch das eigene Vorbild und in vielen kleinen und altersgemäßen Schritten.“

 

Der Marshmallow-Test: Warten wird gelernt

 

Babys können gar nicht warten, Kinder bis zum 18. Monat gerade mal 30 Sekunden, zitiert die Zeitschrift „Baby und Familie“ aus einer Studie des US-amerikanischen Forschers Walter Mischel. Der Psychologe hatte in den 60er-Jahren beim so genannten Marshmallow-Test herausgefunden, dass Zweieinhalbjährige etwa zwei Minuten und Drei- bis Fünfjährige maximal 15 Minuten warten können. Und auch nur, wenn ihnen eine tolle Belohnung winkt.

Mischel hatte seinen kleinen Probanden ein Stück süßen Mäusespeck vorgesetzt und in Aussicht gestellt, dass sie ein zweites Stück bekommen, wenn sie ein wenig warten. Dann beobachtete er das Verhalten der Kinder. Einige aßen den Schaumzucker sofort, andere hielten durch und lenkten sich sogar ab, indem sie im Raum herumspazierten. Alles nur, um den zweiten Marshmallow zu ergattern. Rund 40 Jahre später nahm der Forscher erneut Kontakt zu seinen Probanden auf und stellte fest: Wer als Kind warten konnte, geht auch als Erwachsener leichter mit frustrierenden Erfahrungen um. Er ist zudem erfolgreicher, hat einen höheren Schulabschluss, einen besseren Beruf und mehr Geld.

 

Büscher: Kinder erlebten sich als Mittelpunkt der Welt

 

Gerd Büscher hat weitere Argumente, die fürs Wartenlernen sprechen: „Kinder brauchen auch Geduld, um zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen. Zum Beispiel, indem sie jemanden zuhören und sich auf ihn einlassen.“

„Warten will gelernt sein“, sagt Gerd Büscher.„Warten will gelernt sein“, sagt Gerd Büscher. | Foto: Karin Weglage

Kleine Kinder erlebten sich als Mittelpunkt der Welt. „Sie wollen ihre Bedürfnisse sofort erfüllt haben.“ Wenn Eltern auf jede Unterbrechung und jeden Wunsch augenblicklich reagierten, könnten Kinder nicht lernen, dass sie nicht allein auf der Welt sind.

 

„Je mehr gute Gründe es gibt, umso leichter fällt das Warten“

 

Allerdings sollten die Erwachsenen die Notwendigkeit einer Wartezeit kindgemäß erklären. Büscher nennt Beispiele: „Warte bitte, ich unterhalte mich gerade mit jemandem“, sei so ein Satz, der Kindern zeige: Neben den eigenen Bedürfnissen gibt es noch die Bedürfnisse der anderen. Und auf „Wann fahren wir zu Oma?“ sei „Bald“ keine hilfreiche Antwort. „Noch drei Mal schlafen, dann geht es los“, dagegen eine Aussage, mit der auch kleine Kinder etwas anfangen könnten.

„Je mehr gute Gründe es gibt, umso leichter fällt es Kindern, auf etwas zu warten.“ Wenn sie die Zeit als langweilig erlebten, sei das aber kontraproduktiv. Zwar gehörten Enttäuschungen und Frust zum Leben, gibt Büscher zu bedenken. Letztlich komme es aber auf die innere Haltung an. Wird das Warten als Last erlebt oder als Bereicherung umgedeutet? „Manchmal müssen Kinder auch abwarten, um bestimmte Prozesse zu verstehen, die sich erst mit der Zeit ergeben.“

 

Büscher: Rituale bereichern das Warten im Advent

 

„Ein Kind, das sich langweilt, aber genug Zeit hat, sich eine eigene Beschäftigung zu suchen, hat auch gute Chancen, kreativ zu werden“, sagt Büscher. „Flow“ nennt sich das Phänomen, wenn Kinder oder Erwachsene ganz in ihrem Spiel oder ihrer Beschäftigung aufgehen.

„Kinder lernen am Vorbild“, sagt Büscher. „Lebe ich vor, dass ich jede freie Minute nutzen muss, oder kann ich auch zur Ruhe kommen?“ Die Adventszeit eigne sich, das Warten als etwas Bereicherndes zu erfahren.

Rituale, wie gemeinsam Plätzchen zu backen, zu basteln und die Zeit in der Familie zu genießen, zeigten Kindern, dass Wartezeiten auch schön sein können.

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