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Angesichts der langen Krankheit des Papstes stellt sich im Vatikan die Frage nach der Zukunft: Wie sehen mögliche Szenarien aus?
Angesichts des langen Klinikaufenthalts des Papstes werden derzeit rund um den Vatikan mehrere Szenarien für die nahe Zukunft an der Kirchenspitze diskutiert. Ein Überblick:
Variante 1: Der Papst stirbt.
Das wäre der Fall, der am klarsten geregelt ist: Der Papst stirbt, sein Tod wird rechtmäßig festgestellt, die Sedisvakanz verkündet. Der Pontifex wird feierlich zu Grabe getragen, das weltweite Kardinalskollegium einberufen. Zwei Wochen später beginnt das Konklave, also die Wahl eines neuen Kirchenoberhaupts. All das ist genau geregelt; die letzten drei Päpste haben manche Bestimmungen noch einmal geändert, man muss sich nur daran halten.
Variante 2: Der Papst erklärt seinen Amtsverzicht selbst.
Auch diese zweite Variante für die Sedisvakanz ist klar geregelt: Wenn der Papst seinen Rücktritt verkündet, läuft ab dem von ihm festgelegten Datum alles nach demselben Schema wie beim Tod – jedoch ohne Begräbnis und Totenmessen. Eine kleine Unsicherheit gibt es aber wegen des äußeren Rahmens der Bekanntgabe. Seit Gregor XII. im Jahr 1415 und Benedikt XVI. im Jahr 2013 ihren jeweiligen Rücktritt im Rahmen eines „Konsistoriums“ den dort versammelten Kardinälen kundtaten, gilt dies als der Königsweg für einen solchen Schritt.
Das allgemeine Kirchenrechtsbuch, der „Codex Iuris Canonici“, schreibt lediglich vor, dass der Amtsverzicht „frei geschieht und hinreichend kundgemacht, nicht jedoch, dass er von irgendwem angenommen wird“. Das klingt einfach, ist es aber nicht in jedem Fall. Wäre es „hinreichend“, wenn der Papst auf dem Krankenbett seinen Rücktrittswillen mit leiser Stimme einem Kardinal anvertrauen würde? Oder genügt es, wenn er den entsprechenden Satz auf einem Blatt Papier unterzeichnet? Müsste ein Notar Zeuge dieser Handlung sein? Hingegen wäre eine Bekanntgabe bei einer Kardinalsversammlung über jeden Zweifel erhaben.
Variante 3: Der bedingte Rücktritt wird ausgerufen.
Noch mehr Probleme bringt die „bedingte Rücktrittserklärung“ mit sich, die Franziskus nach eigenem Bekunden schon früh in seinem Pontifikat unterzeichnet hat. Unter Kardinälen und anderen Fachleuten wird derzeit gerätselt, ob er sich dabei wohl am Vorbild von Papst Paul VI. aus dem Jahr 1965 orientiert hat. Dessen Schreiben hat unlängst ein italienischer Historiker veröffentlicht. Darin heißt es: „Wir, Paul VI. [...] erklären, dass wir im Fall einer schweren Krankheit, die als nicht heilbar oder von langer Dauer gilt […] oder im Fall einer anderen schweren und lang anhaltenden Behinderung […] auf unser Amt verzichten.“
Auch hier ist ein Verfahren, das zunächst einfach klingt, voller Fallstricke. So wurde nie bestätigt, dass dieses Schreiben wirklich beim Kardinalstaatssekretär hinterlegt ist. Es wird aber allgemein vermutet, dass es so ist – weil der Papst selbst es einmal gegenüber Journalisten so gesagt hat. Ferner ist unklar, ab wann der Verwahrer des Schreibens dieses aus der Schublade ziehen sollte. Dann, wenn der Papst nicht mehr sprechen kann? Wenn er nicht mehr ansprechbar oder geistig verwirrt ist? Oder erst, wenn er ins Koma fällt?
Offen ist auch die Frage, wen der Hüter des Papst-Schreibens vorher zu Rate ziehen sollte. Nach Auffassung führender Theologen müsste dies das Kardinalskollegium sein. Fiele der Papst in ein stabiles Koma, würde demnach zuerst die Einberufung der Kardinäle zu einem Konsistorium erfolgen. Diese würden dann den Fall der Verhinderung des Papstes für eingetreten und im selben Atemzug den Beginn der Sedisvakanz erklären – und könnten bald darauf mit dem Konklave beginnen.
Variante 4: Der Papst kommt zurück.
Sollte Papst Franziskus so weit genesen, dass er wieder in den Vatikan zurückkehren kann, würde sich sein Pontifikat wohl stark von dem bisherigen unterscheiden. Die Zahl der öffentlichen Auftritte, Audienzen und Reisen würden drastisch reduziert werden. Vieles müsste seiner chronischen Atemwegserkrankung angepasst werden. Er wäre nicht mehr der spontane, kommunikative Papst Franziskus, wie man ihn kennt – aber er bliebe weiterhin der Papst.
Beim Verlesen seiner Texte und bei manchen Reisen könnte er sich vertreten lassen. Wahrscheinlich würden die ganz auf seiner Linie liegenden Kardinäle wie sein Landsmann Víctor Manuel Fernández in der Glaubensbehörde oder die beiden Synoden-Vordenker Mario Grech und Jean-Claude Hollerich mehr Sichtbarkeit und Eigeninitiative entwickeln, um das Pontifikat vor einem längeren Beinahe-Stillstand zu bewahren.