Dreitägige Reise des Pontifex durch das Baltikum

Papst Franziskus mahnt in Litauen Kirche und Gesellschaft

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Auch am zweiten Besuchstag in Litauen trägt der Papst der Geschichte Rechnung: Bei der Messe thematisiert er die Judenverfolgung, die Sowjetbesatzung vor Priestern und Ordensleuten - denen wäscht er aber auch den Kopf.

Papst Franziskus schert sich wenig um vorbereitete Redetexte, wenn ihm etwas wichtig ist. So auch am Sonntag in der Kathedrale von Kaunas bei seiner Begegnung mit Ordensleuten und Priestern aller drei baltischen Staaten. „Wenn ich euch sehe, sehe ich hinter euch viele Märtyrer“, beginnt Franziskus aus dem Stegreif. Eine deutliche Anspielung auf die Zeit der Sowjetbesatzung, in der auch viele Gläubige für die Verkündigung ihr Leben ließen. „Vergesst nicht, haltet die Erinnerung lebendig, ihr seid Kinder von Märtyrern“, sagt Franziskus und bekommt für diese Worte schallenden Applaus.

 

Appell für eine glaubwürdige Kirche

 

Zugleich geht er auch hart ins Gericht mit seinen Zuhörern: Priester wie Ordensleute mahnt er, ihren Dienst nicht wie Geschäftsleute anzugehen. Er mahnt Nähe zum Volk und Nähe zu Gott an und verurteilt erneut Klerikalismus. Seine Rede vor baltischen Priestern und Ordensleuten ist ein flammender Appell für eine glaubwürdige Kirche, die bei den Menschen und bei Gott ist.

Gegen das Vergessen der Geschichte ist Franziskus bereits am Morgen angegangen - beim spirituellen Höhepunkt seiner Reise nach Litauen, der Messe im Santakos-Park von Kaunas. Laut Veranstaltern gut 100.000 Gläubige sind auf das grüne Gelände in der zweitgrößten Stadt des Landes gekommen. Auch das Wetter spielt mit: kalt, aber sonnig. Die Gottesdienstbesucher schwingen Landesflaggen unter strahlend blauem Himmel: Vielfach sind die Vatikanfarben Gelb-Weiß zu sehen, das Gelb-Rot-Grün der litauischen Fahne. 

Beim Angelus-Gebet erinnerte der Papst auch an den 23. September vor genau 75 Jahren, als das Ghetto von Vilnius geräumt wurde. Ein neues Aufkeimen „solch verderblicher Haltung“ müsse rechtzeitig erkannt werden, besonders angesichts all derer, „die diese Zeit nicht erlebt haben und die manchmal versucht sind, solchem Sirenengesang nachzulaufen“, mahnt Franziskus. Er selbst gedachte am Sonntagnachmittag an einem Gedenkstein in Vilnius der Opfer des Ghettos - rund 40.000 Juden, die bis auf wenige ermordet oder in Konzentrationslager deportiert wurden.

 

Papst: Machtstreben als Kriegsauslöser

 

Als Auslöser von Krieg und Unterdrückung machte der Papst am Morgen Machtstreben aus, als Gegenmittel fordert er eine von Gottes Wort ausgehende „Globalisierung der Solidarität“. Sein Gegenmittel gegen Machtkämpfe? Die Geringsten in die Mitte stellen, etwa ethnische Minderheiten oder „Arbeitslose, die gezwungen sind auszuwandern“. Beide Beispiele sind genau gewählt - Litauen macht die Abwanderung junger Leute zu schaffen, zudem gibt es neben der Mehrheit der Litauer auch einige Minderheiten - etwa Weißrussen, Russen, Ukrainer oder Letten.

Wie am Vortag ruft Franziskus zum Brückenbau und zu Einheit auf - passend zum Ort, am Beispiel der Flüsse Neris und Memel, die in Kaunas zusammenfließen. So dürfe auch die Kirche keine Angst haben, „hinauszugehen und sich selbst hinzugeben, auch wenn es scheint, dass wir uns auflösen, dass wir uns an die Geringsten verlieren, an diejenigen, die in den existenziellen Randbereichen leben“, so Franziskus.

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