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Wenn sich Andrea Greshake zu einem alten Menschen setzt, dauert es nicht lange und die Lebensgeschichte sprudelt nur so aus dem Bewohner des Altenheims St. Johannes in Senden heraus. Am Ende gibt es oft ein zentrales Thema, sagt die 57-Jährige: der nahende Abschied vom Leben. Schon lange kann sie davon nicht mehr überrascht werden. Denn das Gespräch über den Tod hat für sie längst seinen Schrecken verloren. Und das hat eine lange Geschichte.
Die beginnt in ihrer Ausbildung Anfang der 1980er Jahre. Sie saß als Lehrling in einer Bank am Schreibtisch und spürte sehr schnell, dass diese Aufgabe nicht ihr Ding war. „Zu viele Zahlen, zu wenig Menschen.“ Aber gerade im Gespräch, im Zuhören und im gegenseitigen Verständnis fühlte sie sich wohl. Das fehlte ihr am Arbeitsplatz. „Zum Glück wurde ich damals in meiner Heimatpfarrei angesprochen, ob ich nicht als Firmkatechetin einsteigen wolle.“ Wollte sie. Auch weil sie sich in St. Laurentius in Senden immer schon wohl gefühlt hatte.
Das Soziale war ihr Ding
Dort traf sie auch eine Ordensfrau der Joseph-Schwestern von Chambéry. „Mit einer feinen Ausstrahlung, sozial engagiert, lebendig.“ Das war viel mehr ihr Ding. Sie entschloss sich, in den Orden einzutreten und ging nach Norwegen. Fünf Jahre blieb sie in Oslo, beendete ihr Noviziat und legte ihr erstes Gelübde ab. Dann aber kamen Zweifel, ob das Klosterleben das richtige für sie ist, und sie trat wieder aus dem Orden aus. „Die Entscheidung war viel schwerer als die, in den Orden einzutreten.
Live-Stream
Die Beauftragungsfeier findet am Sonntag, 29. September, um 14.30 Uhr im St.-Paulus-Dom in Münster statt. Bischof Felix Genn werden die Männer und Frauen zu Beginnn des Gottesdienstes vorgestellt. Später werden sie von ihm gesegnet und erhalten ein Bibel als Zeichen ihres Auftrags, sich für den Glauben einzusetzen. Die diesjährige Feier haben die Pastoralreferentinnen und -referenten unter den Leitspruch „Für sein Leben gern – für mein Leben gern – für dein Leben gern“ gestellt. Die Feier wird ab 14.30 Uhr live auf www.kirche-und-leben.de übertragen.
Sie kehrte zurück und saß bald wieder in einer Bank am Schreibtisch. Der soziale Einsatz ihrer Ordenszeit fehlte ihr. „Aber ich musste erst einmal wieder Geld verdienen.“ Im Kirchenchor lernte sie damals ihren Mann kennen, wurde Mutter von drei Kindern und ging in Elternzeit. Den Wunsch, sich darüber hinaus für andere einzusetzen, verlor sie aber nicht. Es sollte ein Zeitungsartikel sein, der ihr die Chance gab, diesem Wunsch weiter nachzugehen. Er berichtete über Nachwuchsprobleme bei der Notfallseelsorge im Kreis Coesfeld und dem neuen Konzept, Laien zu ermöglichen, diese Aufgabe ehrenamtlich zu übernehmen. „Das war absolut mein Ding“, sagt Greshake. „Näher an Menschen in Not konnte ich gar nicht sein.“
Es brachen alle Dämme
Wie nah, das erfuhr sie bei ihrem ersten Einsatz nach ihrer Ausbildung. Ein junger Familienvater war mit seinem Motorrad tödlich verunglückt und sie überbrachte seiner Frau und dem Sohn die Nachricht. „Als die Polizisten gegangen waren, brachen alle Dämme“, erinnert sie sich. Auch bei ihr. Ziemlich mitgenommen fuhr sie an diesem Abend heim. „Ich musste mir immer wieder sagen, dass es nicht mein Mann war, der gestorben war.“
Zweifel an ihrem Engagement bekam sie nicht. Im Gegenteil: „Ich spürte immer mehr, wie bereichernd es war, für Menschen da zu sein, denen es echt beschissen ging.“ Sieben Jahre war sie das, insgesamt rückte sie etwa 100 Mal aus. Ihre Begeisterung für diesen Dienst blieb anderen nicht verborgen. Die Leiterin der Notfallseelsorge machte sie schließlich darauf aufmerksam, dass es im Bistum Münster die Möglichkeit gebe, sich zur Krankenhaus-Pastoralreferentin ausbilden zu lassen.
Emotional intensive Zeit
Das war ihre Chance, sagt Greshake. 2014 begann sie mit der vierjährigen praxisbegleitenden Ausbildung in der Uniklinik in Münster und rückte wieder ein Stück näher heran an schwere Schicksale. „Da ging es nicht um entzündete Blinddärme oder gebrochene Beine, sondern um schwerste Erkrankungen, um Abschied nehmen, um Tod.“ Gerade die Situation junger Menschen auf der onkologischen Station forderte sie emotional intensiv.
Und dann ging es ihr selbst plötzlich „richtig schlecht“. Sie bekam eine Krebsdiagnose, musste operiert werden und in die Strahlentherapie, kämpfte mit dunklen Gedanken. „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“ Die Auseinandersetzung mit dem Sterben rückte viel näher an sie heran, als sie es vorher als Seelsorgerin erlebt hatte. Von den Patienten kannte sie die Situation, aber nicht von sich selbst.
Seitenwechsel
Ihr Mentor, ein erfahrener Krankenhausseelsorger, sagte ihr damals: „Du hast die Seiten gewechselt – von der Seelsorgerin zur Patientin.“ Er machte ihr aber immer wieder Mut. In dieser Zeit erlebte sie am eigenen Leib, was sie an anderen Patienten immer bewundert hatte, sagt sie. „Wie stark sie mit ihrer Situation umgingen, Ruhe und Klarheit fanden, selbst trösten konnten.“ Greshake fand diese Reaktion gerade für ihre eigene Familie mit den heranwachsenden Kindern wichtig. „Für sie war ich stark und kämpfte.“
28 neue Pastoralferentinnen und -referenten absolvierten in den vergangenen vier Jahren eine umfangreiche Ausbildung im Institut für Diakonat und Pastorale Dienste (IDP) in Münster. Zwei weitere kamen über andere Ausbildungswege dazu. | Foto: Michael Bönte
Eigentlich war jene Phase eine Zeit, in der sie nur auf sich hätte schauen dürfen. In der andere für sie stark hätten sein müssen. „So denkt man dann aber nicht“, sagt sie. Dazu gehörte für sie auch der Gedanke, ihre Ausbildung zur Pastoralreferentin trotz Therapien wieder aufzunehmen. Sie begann ihre Abschluss-Arbeit zu schreiben. Der Titel: „Umgang mit einer Krise – wie sich meine Krebs-Diagnose auf meine Arbeit als Krankenhaus-Seelsorgerin auswirkt.“
Abschlussarbeit wie ein Tagebuch
Wie ein Tagebuch habe sie das manchmal geschrieben, erinnert sich Greshake. „Autobiografisch, aber immer aus der Sicht der Seelsorge reflektiert.“ Die Situationen, die sie in ihrem Alltag als Patientin erlebte, waren dann Vorlage für theologische oder methodische Auseinandersetzungen.
„Als ich einmal aus dem Computer-Tomographen kam und Schatten an Leber und Wirbelsäule gefunden worden waren, war das für mich ein furchtbarer Tiefschlag“, erinnert sie sich. In ihrer Abschlussarbeit beschrieb sie diese Gefühle, aber auch die Möglichkeiten, jemandem in dieser Situation zu helfen.
Außergewöhnliche Empathie
Wenn sie am kommenden Sonntag von Bischof Felix Genn offiziell mit dem Dienst als Pastoralreferentin beauftragt wird, hat sie mit allen Unterbrechungen eine Ausbildungszeit von fünf Jahren hinter sich. Sie ist von der Uniklinik in Münster in das Altenheim in Senden gewechselt. Auch weil ihr die Situation der Onkologie-Patienten in ihrem Arbeitsalltag zu nah an der eigenen wäre. Einige Therapien hat sie noch nicht beendet. „Auch wenn es im Augenblick sehr gut aussieht, wäre mit die alltägliche Nähe zu Menschen mit ähnlichem Schicksal zu intensiv, zu anstrengend.“
Aber auch in die Gespräche mit den alten Menschen kann sie mit einer außergewöhnlichen Empathie gehen. Auch dort gibt es oft genug Momente, in denen das Sterben und der Tod im Mittelpunkt stehen. Dann begegnet sie jenen Gefühlen, die sie nur allzu gut selbst kennt. „Es ist unglaublich bereichernd, wenn die Bewohner mit Dankbarkeit auf ihr Leben zurückblicken und der Erfahrung Ausdruck geben, dass Gott auch in schweren Zeiten bei ihnen war.“ Sie erlebt darin immer wieder jene Gelassenheit und jenen Mut, die für sie zum Kern ihrer eigenen schweren Zeit geworden ist: „Im Vertrauen auf etwas, das mich durch diese Krise trägt – im Vertrauen auf Gott.“
Pastoralreferenten im Bistum Münster
Im Bistum Münster sind etwa 500 Pastoralreferentinnen und -referenten im Einsatz. Sie haben einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss und eine prasixbezogene Ausbildung im Institut für Diakonat und Pastorale Dienste im Bistum Münster absolviert. Anders als in anderen Diözesen wird in Münster nicht zwischen den Berufsbezeichnungen Pastoralreferent und Gemeindereferent unterschieden. Die Einsatzbereiche in den Pfarreien sind vielfältig: Jugendarbeit, Erwachsenenbildung, Sakramentenvorbereitung, Gottesdienstgestaltung, Religionsunterricht, Besuchsdienste und einiges mehr. Für das Spezialgebiet der Krankenhausseelsorge gibt es ergänzende Lehrinhalte.