Interview mit dem künftigen Generalvikar des Erzbistums Berlin

Pater Kollig nach Berlin-Anschlag: „Nicht von Angst leiten lassen“

Nach dem mutmaßlichen Attentat von Berlin ermutigt der künftige Generalvikar des Hauptstadt-Bistums, Pater Manfred Kollig, sich nicht von Angst leiten zu lassen. Im Interview mit Kirche+Leben warnt er vor Vorverurteilungen.

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Nach dem mutmaßlichen Attentat von Berlin ermutigt der künftige Generalvikar des Hauptstadt-Bistums, Pater Manfred Kollig, sich nicht von Angst leiten zu lassen. Im Interview mit Kirche+Leben warnt er vor Vorverurteilungen und politischer Instrumentalisierung.

Kirche+Leben: Pater Manfred, Sie sind designierter Generalvikar von Berlin. Was geht am Morgen nach dem mutmaßlichen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin in Ihrem Kopf vor?

Pater Manfred Kollig: Einmal mehr wird mir bewusst, wie wenig wir als Menschen in unseren Händen haben. Ob das der Terroranschlag am Sonntag in Südjordanien ist, bei dem zehn Menschen ums Leben gekommen sind, oder gestern in Berlin – wir müssen weltweit damit leben. Ganz deutlich wird darin die Spannung zwischen der Sehnsucht der Menschen nach einem guten, gelingenden Leben, nach Frieden – und jenen Menschen, die so voller Hass sind, dass sie diese Sehnsüchte mit Füßen treten. Sie wollen den Menschen den Glauben an das Gute nehmen.

Wie gehen Sie persönlich damit um?

Ich bin dankbar, in dieser Situation glauben zu können, dass Gott sich nicht entfernt hat, sondern mittendrin ist. Welche Perspektive hätten wir sonst? Wo wir sagen: „Es geht nicht mehr, es ist nur furchtbar“ – da sagt Gott: „Ja, es ist furchtbar, aber ich gebe euch dennoch die Zusage auf ein Leben in Fülle.“ Er hat immer wieder unsere Erwartungen und Wünsche angenommen, aber uns auch damit irritiert, dass er sie eben nicht einfach erfüllt, sondern das Leiden, den Terror und die Gewalt zulässt, obwohl er der Friedensstifter ist.

Im Gespräch
Pater Manfred Kollig, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat Münster und ab dem 1. Februar Generalvikar des Erzbistums Berlin. | Foto: Michael Bönte

Ich bin sehr froh, dass Erzbischof Heiner Koch heute für zwölf Uhr zum Gebet in die Berliner Hedwigskathedrale eingeladen hat. Wenn wir überzeugend verkünden wollen, dass Gott solidarisch ist mit unserer Trauer, dann müssen wir als Kirche diese Solidarität zeigen, auch wenn wir keine Antworten haben. Unser Kerngeschäft ist es nicht zu ermitteln oder zu spekulieren, sondern Zeuginnen und Zeugen der Hoffnung zu sein. Wo wir sagen: „Da ist Schluss!“, da ist gewiss noch nicht das Ende.

Falls sich bewahrheitet, dass es sich um einen ausländischen Täter, möglicherweise einen Flüchtling handelt – wie bewerten Sie das?

Für mich ist das Schreckliche, dass es sich um einen Menschen handelt. Dass ein Mensch zu einer solchen Tat in der Lage ist, ganz gleich, welcher Nationalität oder Religion er angehört. Wie human sind wir Menschen noch? Wie viel Herz haben wir noch? Was machen wir mit unseren Händen? Mich interessiert es wenig, woher dieser Mensch kommt oder was er glaubt. Diese Tat ist eine Katastrophe für diesen Menschen und für die Menschheit.

Der NRW-Vorsitzende der AfD, Marcus Pretzell, hat die Opfer des Anschlags als „Merkels Tote“ bezeichnet. Was sagen Sie dazu?

Ich kann nur an das Gewissen jedes Menschen appellieren, nicht auf unredliche Weise zu manipulieren und sich Vorteile zu verschaffen. Es ist enttäuschend für mich, wenn Leute gewissenlos handeln und alles ausnutzen – ganz gleich, ob das durchdacht, redlich, verantwortlich ist –, um sich Vorteile zu verschaffen.

Was sagen Sie Menschen, die Angst vor weiteren Gewalttaten in Berlin, aber auch in anderen deutschen Städten haben? Trotzig weiter auf Weihnachtsmärkte gehen?

Einerseits müssen wir die Ängste von Menschen immer ernst nehmen – ganz gleich, ob das die Angst vor Terror ist oder vor Krankheit, Verlust eines vertrauten Menschen, Armut. Gleichzeitig dürfen wir uns von der Angst nicht leiten lassen. In der Angst höre ich die Zusage Gottes: Hab Vertrauen, fürchte dich nicht. Das ist sicherlich kein Rezept, das kann ich nicht verordnen. Aber für mich selber kann ich sagen: In meinen Ängsten, die ich auch kenne, höre ich dieses Wort, und ich bin dankbar, dass es in meinem Leben immer stärker gewesen ist als meine Angst: „Ich bin mit dir.“

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