Lüdinghauser hat mit seinen Touren 183.000 Euro für soziale Projekte gesammelt

Peter Friemel: Fahrrad fahren, Gutes tun und Don Boscos Lieder pfeifen

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Zwanzig Jahre lang hat sich Peter Friemel aufs Rad gesetzt, um für soziale Projekte der Salesianer Don Bosco Geld zu sammeln. 170.000 Kilometer und 183.000 Euro Spenden später beendet er sein Projekt. Nicht ohne noch einmal Danke zu sagen – mit dem Fahrrad natürlich.

Und dann radelte er los. 20 Jahre lang, immer wieder. Oft ein Lied auf den Lippen, meistens gepfiffen. Von Lüdinghausen aus ging es in alle Himmelsrichtungen, insgesamt 170.000 Kilometer. Das hat dem 84-Jährigen gut getan. Peter Friemel ist fit geblieben und hat ein „fröhliches Herz“ behalten, sagt er. Der eigentliche Sinn aber war ein anderer: Gutes tun für andere Menschen. Fast 183.000 Euro hat er in dieser Zeit gesammelt – für Kinder und Jugendliche in Not auf der ganzen Welt.

Als Friemel 2001 als Lehrer pensioniert wurde, war seine Idee längst ausgereift. Die vielen Projekte der Salesianer Don Bosco kannte er nur zu gut. Er selbst war auf Schulen der Ordensgemeinschaft gegangen, die sich besonders für benachteiligte junge Menschen einsetzt. Der Gedanke daran hatte ihn sein Leben lange begleitet. Mit seinen Schülern der Wolfem-Gesamtschule in Olfen veranstaltete er Spendenaktionen. Er war Gründungsmitglied des Vereins Bosco Sevana, der sich später umbenannt zum Verein „roterkeil“ gegen Kinderprostitution einsetzte.

 

Startschuss Pensionierung

 

„Es stand also außer Frage, dass ich auch meine Zeit als Pensionär für den guten Zweck nutzen würde.“ Das Konzept stand schnell: Jedes Jahr ein soziales Projekt der Salesianer als Spendenziel, jedes Jahr mit einer wochenlangen Radtour und leichtem Gepäck Geld dafür sammeln. Mit viel Öffentlichkeitsarbeit: Über Zeitungen, vor allem aber über persönliche Kontakte aktivierte Friemel Menschen, die bereit waren, seine Fahrten finanziell zu unterstützen. „Große und kleine Geldgeber“, erinnert er sich. „Mal 10.000 Euro von einem Unternehmer, mal vierzig Cent von einem kleinen Jungen.“

Alles war willkommen, floss es doch zu 100 Prozent in die Projektarbeit des Ordens. Die Organisation und Verwaltung übernahm zum größten Teil seine Frau Luise im heimischen Lüdinghausen. Meterweise Ordner hat sie gesammelt, alle Spenden und Helfer genau dokumentiert. Dankesbriefe, Spendenquittungen, sämtlich Berichte abgeheftet. Das war ihnen von Beginn an wichtig, sagt sie: „Wir wollten transparent sein, glaubwürdig, authentisch – zeigen, wie das Geld Gutes bewirkt.“

 

In alle Himmelsrichtungen

 

Dafür verzichtete sie jedes Jahr im Sommer einige Wochen auf ihren Mann. Der packte dann seine Satteltaschen, setzte sich auf sein Tourenrad und peilte immer ein neues Ziel an. Die ersten 1.000 Kilometer führten ihn nach Benediktbeuern, zum Kloster der Salesianer. „Gen Süden“, sagt Friemel, weil er es sich zunächst die vier Himmelsrichtungen vorgenommen hatte. „Danach ging es nach Schweden, Moskau und Taizé.“

Es waren Fahrten ohne Luxus. Alles, was an Kosten anfiel, bezahlte Friemel aus eigener Tasche. „Ich wusste morgens nicht, wo ich abends schlafen würde.“ Oft waren es Menschen, die ihm privat ein Quartier boten, sonst übernachtete er in Pensionen und Hotels. Auch die Rückreisen stemmte er finanziell selbst. „Am Anfang fuhr ich die Strecke noch mit dem Rad zurück.“ Später, bei größer werdenden Entfernungen kam er mit dem Zug oder Flugzeug heim.

 

Immer ein Lied auf den Lippen

 

Dass sich auf diesen Reisen jede Menge Erlebnisse angesammelt haben, ist logisch. Wer zum Beispiel 17 Tage lang über 2.000 Kilometer nach Ungarn fährt, hat genug Zeit für Abenteuer. Dazu zählt er auch das Alleinsein auf seinem Rad, stundenlang nur mit sich selbst und der Natur. „Ich habe oft ein Lied gepfiffen.“ Damit fühlt er sich immer nah dran am Grundsatz des Ordensgründers der Salesianer, Don Bosco: „Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen.“

Friemel selbst bevorzugte Motetten von Johann Sebastian Bach. Wenn er davon berichtet, dann immer mit einer Kostprobe. Es ist herauszuhören, dass die Melodie nach so vielen Kilometern sitzt. „Meine Fahrten waren immer auch spirituelle Erlebnisse für mich.“ Gebete bei 20 km/h gehörten dazu, Rosenkranzandachten vor Wegkreuzen und Gottesdienste. Angst vor den Herausforderungen kamen damit nie auf. „Ich habe mich immer sicher und getragen gefühlt.“

 

Angespannte Situationen

 

Wenngleich es durchaus Situationen zum Verzweifeln gab. Etwa jene letzte Etappe nach St. Petersburg. „Morgens hatte ich den einzigen Unfall in all den Jahren“, erinnert er sich. „Zwei Hunde liefen mir ins Rad.“ Mit dem Schrecken und nur kleinen Blessuren davon gekommen, überquerte er die Grenze zu Russland am 8. Mai, dem Tag, an dem die Russen die Befreiung von Nazi-Deutschland feierten. Die Friedenskerze, die er dem Grenzer überreichen wollte, lehnte dieser ab.

Bei strömenden Regen verfuhr er sich vollständig und musste in einer Kneipe um Hilfe bitten. „Dort wurde der Jahrestag gerade ausgiebig bejubelt.“ Er als Deutscher fühlte sich nicht wohl und suchte auf der Straße nach einem Ortskundigen. „Es war ein junger Mann, der Igor hieß“, erinnert sich Friemel an seinen Helfer, der ihn kilometerweit bis zu seinem Ziel führte. „Igor hat dann die Friedenskerze als Dankeschön angenommen.“

 

Es ist immer alles gut gegangen

 

Der Marmeladenvorrat im Keller der Friemels ist in diesem Jahr schon arg geschrumpft: Jeder Spender bekommt ein Glas als Dankeschön. | Foto: Michael Bönte
Der Marmeladenvorrat im Keller der Friemels ist in diesem Jahr schon arg geschrumpft: Jeder Spender bekommt ein Glas als Dankeschön. | Foto: Michael Bönte

Es gibt viele Geschichten, die Friemel von seinen Touren erzählen kann. Alle gehen gut aus. Auch die von der abendlichen Suche nach einer Unterkunft, die zu scheitern drohte. Wegen einer Großveranstaltung waren alle Zimmer in seinem Etappenziel in Süddeutschland belegt. „Ich hatte alle Pensionen und Hotels abgeklappert.“ Fündig wurde er schließlich spät abends, als er noch einmal an die Tür eines kleinen Hotels klopfte. „Auch dort war alles voll, aber ich durfte in der Wäschekammer schlafen.“

Von diesen großen und kleinen Glücksmomenten erfuhr seine Frau jeden Abend, wenn er sich telefonisch meldete. „Ich habe mir manchmal schon große Sorgen gemacht“, sagt sie. Sie hielt dann die Spender auf dem Laufenden, organisierte die begleitende Berichterstattung in den Zeitungen. „Die Menschen haben bei den Touren richtig mitgefiebert.“

 

Marmeladen-Dankeschön

 

Das Projekt war Kontaktpflege pur – das ganze Jahr über. Nach seinen großen Touren setzte sich Friemel immer wieder aufs Rad, um sich bei den Spendern zu bedanken. Ein Glas Marmelade von der heimischen Streuobstwiese in der Satteltasche radelte er dann durchs Münsterland. Die Besuche waren aber nicht nur Dankes-Touren, sondern auch „wie Seelsorge“, sagt Luise Friemel. „Viele, vor allem ältere und einsame Spender freuten sich schon das ganze Jahr auf seinen Besuch und riefen im Vorfeld an, wann er denn endlich komme.“

Spendenakquise musste er bald kaum noch machen. Dafür waren er und seine Aktion nach den ersten Jahren viel zu bekannt. „Wenn ich auf den Wochenmarkt ging, wollten die Menschen wissen, wie die vergangene Fahrt war und wo es das nächste Mal hingeht.“ Nicht selten öffnete dann jemand sein Portmonee, um die Projekte zu unterstützen. „Auch der ein oder andere Marktbeschicker griff spontan in die Kasse.“

 

Großes Vertrauen

 

Die Menschen konnten sich sicher sein, dass von ihrem Geld obdachlose Kinder in Moskau unterstützt wurden, Kindersoldaten in Afrika geholfen wurde oder Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche in Lateinamerika geschaffen wurden. Dafür standen Friemel und seine Frau immer ein, präsentierten Zahlen und berichteten von den Hilfsprojekten. Nur so konnte über 20 Jahren ein Vertrauen wachsen, das eine so große Spendensumme ermöglichte.

In diesem Jahr aber startete er nicht mehr. Zumindest nicht mehr die große Tour. „Ich wollte, dass er aufhört, solange alles gut geht“, sagt seine Frau. „Das Projekt sollte nicht mit einem Sturz enden.“ Immerhin: Ein Herzschrittmacher und zwei künstliche Kniegelenke konnten ihren Mann bislang nicht davon abhalten, immer wieder zu starten. „Aber auch ich werde älter“, sagt er. Seine Fahrten kosten nicht nur ihm jede Menge Energie – auch die Organisation daheim führt seine Frau immer mehr an die Grenze des Machbaren.

 

Marmeladen-Tour läuft noch

 

Gefahren ist er trotzdem in diesem Sommer – seine bekannte Danke-Schön-Tour zu mehr als 100 Spendern ist noch nicht abgeschlossen. „Jetzt aber nur noch maximal 40 Kilometer am Tag.“ Mit dabei immer ein Marmeladenglas. Der Vorrat im heimischen Keller ist schon arg geplündert. Auf jedem Glas klebt ein Etikett. „Danke“, steht darauf. Und: „Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen.“ Friemel lässt es sich dann nicht nehmen, den Spendern die passende Melodie dazu vorzupfeifen.

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