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Er ist bekannt für seinen Einsatz gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie. Als Christ geht für Peter Kossen kein Weg am lauten und wütenden Protest vorbei.
Laut will er sein. „Weil ich wütend bin, manchmal auch jähzornig“, sagt Pfarrer Peter Kossen. Denn die Not ist für ihn „himmelschreiend“. „Es geht um die Situation konkreter Menschen.“ Um Ungerechtigkeit, Ausbeutung, sozialen Missbrauch. Auf den Plakaten, die er im Keller seines Pfarrhauses in Lengerich sammelt, findet er oft noch deutlichere Worte. „Moderne Sklaverei beenden!“, steht da etwa. Oder: „Wohnungen statt Ghettos!“ Damit demonstriert er auch mal vor Großbetrieben oder Ministerien.
Kossen macht sich schon viele Jahre gegen die prekären Arbeitsverhältnisse vor allem osteuropäischer Leiharbeiter in der deutschen Fleischindustrie stark. 2019 hat er den Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ gegründet. 260 Mitglieder bieten mittlerweile Betroffenen Rechtsberatung, arbeitsrechtliche Unterstützung, soziale Leistungen oder Integrationshilfen. Er selbst ist dabei vor allem Sprachrohr – eben laut, deutlich und auch „skandalisierend und polarisierend“. Das gibt er zu.
Kossen: Christen haben die Pflicht, die Großen zu stören
„Weil diese Wucht wichtig ist.“ Dafür findet er gute Gründe in der Bibel, „bei den Propheten“. „Die machen ja keine alltägliche Wettervorhersage, sondern eine harte Gesellschaftsanalyse mit deutlicher Kritik an bestehenden Verhältnissen.“ Was Kossen in der biblischen Botschaft findet, „kontrastiert Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft“. Genau darin besteht für ihn die Pflicht zu handeln. Für Warten, Zögern oder Abwägen sieht er weder Raum noch Zeit. „Christen haben das immer gemacht und damit die Größen ihrer Zeit gestört.“
Auch er konnte und wollte nicht anders, sagt Kossen. Als er in seiner früheren Pfarrstelle in Emmerich von den arbeitsrechtlichen Missständen in einem neuen Unternehmen am Ort erfuhr, wurde er in seinen Predigten laut. „Nicht zur Begeisterung aller, da durch die Niederlassung der Firma viele Arbeitsplätze geschaffen wurden und Steuergelder flossen.“ In Vechta dann war es die Fleischindustrie, die von ihm nicht verschont wurde. Damals bereits in der großen Öffentlichkeit – die Medien wurden aufmerksam, es gab TV-Auftritte und Demonstrationen. In Lengerich setzte sich das fort.
Kossen: Seit 40 Jahren Missstände in der Fleisch-Industrie
Themenwoche: Wo Kirche an die Ränder geht
Papst Franziskus wird seit Beginn seiner Amtszeit nicht müde zu betonen, die Kirche ihren Blick auf „Peripherien der Existenz“ richten muss, wo Ungerechtigkeit herrschen. Die Gläubigen sollten sich den Armen und zuwenden. Kirche+Leben stellt Christen vor, die mit ihrem Wirken an die Ränder unserer Gesellschaft gehen.
In dieser Zeit wurde die Auseinandersetzung intensiver und kontroverser. Bis hin zu massiven Drohungen, die gegen ihn ausgesprochen wurden. Im Zentrum immer die Fragen: Muss er als katholischer Priester immer wieder anprangern und bloßstellen? Gehört sich das für einen Geistlichen? Gefährdet er damit nicht funktionierende Strukturen? Hat er nicht irgendwann genug gesagt?
Seine Antworten sind deutlich und geben etwas von der Wut preis, die er dabei empfindet. „Wir Christen sind in der Pflicht, für Ungerechtigkeit zu sensibilisieren und politischen Druck dagegen zu schaffen.“ Ein grundsätzlicher Auftrag für ihn, der nie kleiner wird oder erledigt ist. „Die Missstände in der Fleischindustrie gibt es schon über 40 Jahre – da kann ich nicht irgendwann sagen: Jetzt ist gut!“ Und: „Ja, gerade ich als Priester kann mich da stark machen – ich stehe in der Öffentlichkeit, werde gehört, kann unabhängig sein, bin keiner Familie verpflichtet, nur dem Glauben.“
200 Tonnen Fleisch in einer Schicht
Er weiß genau, wovon er spricht. Durch sein Engagement bleibt ihm die weiterhin prekäre Situation der Leiharbeiter immer deutlich vor Augen. Sein Bruder ist als Arzt im Oldenburger Land aktiv. „Die Hälfte seine Patienten kommen aus der Fleischindustrie – psychisch und körperlich schwer krank.“ Vielleicht drei Jahre schaffen es die Arbeiter in Schnitt, dem Druck standzuhalten.
„Mehrere Generationen sind dabei schon verschlissen worden.“ Für Kossen sind das nicht nur Zahlen. Er kennt die Gesichter und Geschichten dazu. Etwa die von der Drei-Mann-Schicht in einer Geflügel-Fabrik. „Sie mussten Puten aufhängen, elfeinhalb Stunden am Tag, sechs Tage die Woche.“ Erschreckende Zahlen: „26.500 Tiere mussten sie verarbeiten, das waren etwa 200 Tonnen pro Personen an einem Arbeitstag.“ Dazu kamen fehlende Ruheräume, geringe Bezahlung und schlechte Unterbringungen.
Das ist die Ungerechtigkeit, die Kossen nicht verstummen lässt. „Ich muss da nervig bleiben.“ Unangenehm. Das fordert er generell von der Kirche. Von den hauptamtlichen Akteuren genauso wie von den Menschen in den Gemeinden und Verbänden. Er sieht Gründe, warum das so selten gelingt. „Ich sehe die Gefahr einer Verbürgerlichung“, sagt er. „Ein Setting, in dem viel Gutes geschieht, aber die Sensibilität für die Probleme am Rande der Gesellschaft verloren gehen kann.“
Solidarität bedeutet Verzicht